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ich habe noch zwei jahre

christoph gehr

PORTRAIT: Christoph Gehr hat die jahrelange Odyssee durch Hamburg satt. Die Jahre in Norderstedt und Lurup liegen dem 27-Jährigen noch schwer im Magen. Im Sommer kehrte er dorthin zurück, wo seine Männerkarriere begann. Zum Bramfelder SV. Ein Spaziergang mit dem Torjäger.

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Von Mario Jurkschat

Eigentlich kenne ich den Typen null. Man hat ihn mal auf dem Sportplatz und in der Torjägerliste gesehen. Geredet wurde nicht. Habe auch irgendwie keinen Bock gehabt. Und als er bei unserem Termin superlässig aus seinem Minicooper steigt, denke ich mir „Typisch Gehr.“

Südländischer Teint, schwarzes, langes und vor allem gegeltes Lockenhaar – er könnte auch Cordalis heißen.

Seine Arme sind mit Tattoos bemalt. Am rechten Armgelenk protzt eine riesige Uhr. Ein grauer Schal schmückt seinen Hals. Seine nette Figur wird von einem eng-grauen T-Shirt betont. Modelhaft. Und man meint ja zu wissen, wie Models so sind.

Doch schon bei der Begrüßung wandelt sich der Eindruck . Der nach Gucciparfum schnuppernde Halbspanier begrüßt mich mit einem leisen „Hallo, ich wusste anfangs gar nicht, ob ich das hier überhaupt möchte. Ich stehe nicht so auf Rummel, wie zum Beispiel der Spill in der Bild.“

Gehr ist schüchtern. Das hätte ich nicht gedacht. Wir gehen in den Eilbeker Park.

Er beginnt zu erzählen. „Die lauten Zeiten sind vorbei. Meine Freundin hat mich ruhiger gemacht.“ Gemeint ist Rita. Die ist 29 und offenbar sehr, sehr wichtig für ihn.

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Zusammen wohnt man in Hummelsbüttel. Der gelernte Versorgungstechniker hat die Wohnung komplett selbst eingrichtet. Alle Zimmer sind anders. Mal amerikanisch, mal asiatisch, mal spanisch. Der Weltenbummler verknüpft seinen Wohnbereich mit seinen Lebenserfahrungen. Amerikanisch wegen der Mustangs und Harleys, die er liebt. Asiatisch aufgrund der Lebensphilosophien und den Tattoos.  Spanisch wegen seiner Mutter. Mit viel Liebe zum Detail und akribischer Arbeit bis in die Perfektion hat er die Wohnung gestaltet. „Ich mache keine halben Sachen, alles muss exakt sein. So bin ich ja auch auf dem Platz.“

Inzwischen unterhalten wir uns zehn Minuten. Und allmählich macht sich eine gewisse Sympathie breit. Gehr ist ein angenehmer Gesprächspartner.

Für die Mitspieler ist Gehr ein verrückter Vogel. „Und manchmal stimmt das auch. Ich kann anderseits aber auch schnell auf 180 fahren. Früher ging ich auf die Schiris los. Jetzt bin ich viel aber ausgeglichener. “

Früher. Man merkt, er hat einen Reifeprozess hinter sich. Die Jahre nach seinem Kreuzbandriss waren hart. „Da merkt man erstmal, wie schnell alles gehen kann“, stammelt er fast schon wehleidig, aber man hört auch die Hoffnung in der Stimme. Körperlich gehe es ihm schon wieder besser als noch vor einem Jahr.

Die Mannschaft beflügelt ihn. Prädikat „Überragend“ verleiht er dem BSV. Er kann dort spielen, ohne groß nachzudenken. Da sind finanzielle Abstriche egal. Dem Norderstedter und Luruper Portemonnaie wich er von der Seite. Wieder spielen und treffen war, dass ist ihm wichtiger als Geld. Und die Bramfelder geben Gehr so ein unwahrscheinlich gutes Gefühl, dass sie ihn brauchen und vollstens hinter ihm stehen.

Extraschichten für den Erfolg spart er sich. Das macht der lädierte Körper nicht mit. Dienstag nur Laufeinheiten, während die anderen auf dem Platz stehen. „Ich werde alt“, sagt er zwar mit einem Grinsen – und wirkt gleichzeitig betroffen. Sein Arzt sagt, er habe noch zwei Jahre, dann ist Schluss mit Fußball. Gehr hat einen Knorpelschaden im Knie.

Weiterspielen will er dennoch. “Ich kann nicht mit 30 aufhören, das geht nicht.“ Auch wenn das Training reine Quälerei ist und er Stammgast auf der Massagebank ist. Die anderen lachen darüber, aber er braucht das eben.

Seine sechs Tore nach sechs Spielen erklärt der Hobbykoch (Spezialität: Italienische Tomatensuppe à la Gehr) so: „Früher hab ich mich immer verrückt gemacht. Aber man muss einfach rauf auf den Platz und spielen.“

Wie van Nistelrooy, sein großes Vorbild. Hackentricks können andere machen, er kann sie nicht. Und besinnt sich auf das Torschiessen.  Zwar ist er nicht mehr so schnell wie damals, „aber das kommt wieder.“

Wir gehen ins Einstein. Christoph isst einen Salat. Er hat gleich Training. Gesund lebt er. Fast ohne Alkohol, keine Zigaretten, anständiges Essen. Ich nehme einen Kaffee.

Wir spinnen rum. „Angenommen, du machst 25 Tore. Geht es dann noch eine Liga höher?“ Gehr wird nachdenklich. Es war immer sein Traum höher zu spielen. Aber er muss nachdenken. Seinen Job würde er niemals aufgeben. „Wie gesagt, rumgesponnen. Man lebt im Jetzt. Ich bin keine Träumer.“

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Dann stelle ich die letzte Frage. Seine Tattoos. „Wieviele sind es denn?“  „Viele“, grinst er und zieht die Hose hoch. „Als nächstes ist ein Koikarpfen an der Wade geplant.“ Und er beschreibt auch warum und erzählt eine Geschichte aus China, wo ein Fluß berghoch läuft. Koikarpfen kämpfen sich dort hinauf. Darin findet er sich wieder. Kampfkraft.

Und dann erzählt er noch von seinem spanischen Schriftzug am rechten Unterarm. ‚Un regalo de dios‘ – Ein Geschenk Gottes. Viele fragen, was das für ein Assispruch sei, aber keiner weiß letztendlich, dass er einen Sinn hat. Christoph kam drei Monate zu früh zur Welt. Sein Leben stand auf der Kippe. Aber er kämpfte sich durch.

Ende. Er zahlt und lädt mich ein. Sympathisch dieser Christoph.

Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.