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paolo guerrero

Faschorentner, Nuttenzeitungen, Trainerwechsel. Blog-trifft-Ball betreibt Fauxpas-Analyse und argumentiert pro Paolo (Guerrero). Ein Pamphlet.

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Von Pfadfinder Jack

Es war vor rund zwei Jahren, als ich im frostigen Winter in der Neuen Großen Bergstraße (NGB) Slacker-like Paolo Guerrero traf. Ich reichte ihm im Vorbeigehen die Hand, er fiepste etwas vor sich hin. Nun ja, es gibt euphorischere Momente für einen sonnenverwöhnten Peruaner, als bei fiesem Nordwind die taubenbekackte NGB runterzuspazieren und einem Reporter, an den er sich kaum erinnert, halbgar grüßen zu sollen.

Wie schizoid diese Situation war, wurde mir klar, als ich ersann, was für ein geiles Jahr Guerrero beim großen HSV überhaupt gespielt hatte. Was mir dabei als regelmäßiger Beobachter stets ins Auge gefallen war: Er war ein krassgeiler Teamplayer gewesen; lief viel, ackerte für die Mannschaft, bereitete Tore vor, schoss selber welche. Eine Art Fußballer, wie er dem damals arg aufstrebenden HSV sehr zu Gesichte stand. Gerade in Anbetracht der Tatsache eines anstehenden Umbruchs.

Dieser hätte damals, aus heutiger Sicht, personeller Prägung sein müssen. Doch – Trainerwechsel hin- oder her – an der Schnittstelle zwischen Martin Jol und Bruno Labbadia wurde auch ein spieltaktisches Konzept verbrannt, jenes eines offensivfreudigen Intelligenzfußballs, dessen Weichen personell und strategisch schon gelegt waren. Inzwischen ist viel passiert, und der HSV steht vor den Scherben seiner eigenen, verpassten Zukunft. Kein Spieler verkörpert diese verpasste Transformation in die Bundesliga-Spitze so sehr wie Paolo Guerrero.

Und da der Peruaner in den vergangenen Monaten – teils selber verschuldet – derbe viel auf die Fresse bekommen hat, soll hier eine Lanze für ihn gebrochen werden.

Gerade vorige Woche hat die regelrechte Demontage Guerreros ihren Höhepunkt erreicht. Ohne die Verfehlungen, die nochmal kurz aufgelistet werden, zu rechtfertigen, steht hier ein Pamphlet für Guerrero in sportlicher Hinsicht.

Die wohl devianteste Handlung des Südamerikaners war der berühmt-berüchtigte Plastikflaschenwurf im April, bei dem er einem pöbelnden Fan eine dreiviertel volle Wasserflasche an den bierroten Döns schmetterte. Dafür musste er dem DFB-Sportgericht 20.000, vereinsintern 60.000 und gerichtlich 100.000 Euro blechen, zudem eine wochenlange öffentliche Treibjagd ertragen. Genug geblutet also.

Es war das erste Heimspiel Guerros, nach seiner wegen eines Kreuzbandrisses siebenmonatigen Verletzungspause gewesen. In dieser wiederum hatte der Peruaner wochenlang in seiner Heimat wegen angeblicher Flugangst ausgeharrt – viele Skeptiker bezichtigten ihn der Lüger- und Trickserei.

Nunja, im schlimmsten Fall zog er einer frustrierenden Reha in muffigen, nach Plastik und Schweiß riechenden Räumen, die Rekonvaleszenz eher am sonnendurchfluteten Pazifikstrand von Lima vor. Wohlwissend, dass auch die besten Ärzte einen notwendigen und strapaziösen Heilungsprozess kaum verkürzen können. Unprofessionell und ungeheuerlich zwar, würde es eher wie ein Kavaliersdelikt anmuten, als wie ein Kapitalverbrechen.

Doch sein Ruf war spätestens nach dem Flaschenwurf nachhaltig beschädigt. Ein Falschparken mit Porsche auf einem Behindertenparkplatz – verpetzt von einem Faschorentner, auf die Titelseite einer Boulevardzeitung, die mit Nuttenseiten Kohle macht, gehoben – sowie ein genervtes Bandeweggrätschen nach seiner Auswechslung (geht nicht, versteht aber jeder Fußball-Heißsporn) gegen Bayern gaben seinem demolierten Ruf in diesem Herbst den Rest.

Nun auch noch die Posse um sein Handspiel vorletzten Samstag gegen Hannover (Schiri tat alles, ihn in eine dumme Situation zu manövrieren; Guerrero versuchte ein wenig zwielichtig nicht zu lügen, was im per se doppelbödigen Profi-Fußball Common Sense ist, dünnhäutigen Seuchenvögeln aber misslingt), woraufhin ihn Coach Armin Veh unverzüglich auswechselte.

Brainwashing für den Troublemaker. Die Demontage war perfekt. Guerrero, seit Anfang 2006 bei den Rothosen, und seit diesem Sommer mit einem neuen, vier Jahre dauernden, hochdotierten Vertrag ausgestattet, sitzt seit Samstag in der hinterletzten Reihe auf der Reservebank, sogar U-23-Knipser Änis Ben-Hatira wurde gegen Stuttgart eingewechselt, Guerrero nicht.

Und wo ist das Pamphlet?

Als gelernter Stürmer lauert Guerrero meist hinter dem Stoßstürmer und verrichtet dort, ohne zu Murren, seinen Job. Doch egal, ob ihn seine zahlreichen Trainer auf der hängenden Sturmposition, Außen oder als zweiten, eher vogelwilden Angreifer einsetzten, der kleine Krieger, wie Guerrero meist fälschlich übersetzt wird (Guerrero heißt Krieger), verrichtete in weiten Phasen verlässlich und unermüdlich seine Dienste.

Beste Indizien für seine hohe Wertigkeit lieferte der 2:1-Sieg am 11. Spieltag gegen die TSG Hoffenheim, der auch die ganze Ambivalenz Guerreros auf dem Platz widerspiegelte. In der Tat leidet er bisweilen unter heftigsten, immer wieder von enervierenden, oft längeren Verletzungen flankierten Formschwankungen.

Gegen die Kraichgauer nun lieferte Guerrero auf der linken Flanke ein derart unspektakuläres, aber laufintensives Spiel ab, dass die zunächst gerade physisch extrem überlegenen Hoffenheimer langsam zermürbt wurden. Durch einen unglaublichen Kraftakt gewann der HSV durch ein spätes Tor des Stoßstürmers Mladen Petric mit 2:1. Alle huldigten der kroatischen Diva, Guerrero hatte uneigennützig die Drecksarbeit verrichtet.

Überhaupt ist Petric an guten Tagen kongeniales Pendant der Nummer 9 beim HSV und stellt deren große Bedeutung für die Mannschaft dar. Während Petric kaum gegen den Ball arbeitet, eher ein gedankenschneller Zauberfuß mit Hang zum schnellen Abschluss ist, ist Guerrero der moderne Stürmer mit sowohl kämpferischem Herzen als auch taktischer Intelligenz.

Er ist der Thomas Müller des HSV, auf jeder Offensivposition einsetzbar – und er verrichtet sie ohne zu Murren.

Und was hat dies mit seinem Charakter zu tun? Ganz einfach: Ein derartiger Teamplayer, der nie eine Position für sich einfordert, auch auf der Bank im Vergleich zu anderen Protagonisten eher kleinlaut ist und auf dem Feld immer Eigeninteressen hinter den Dienst an der Mannschaft stellt, kann kein ferngesteuerter Egomane sein, als der Guerrero oft dargestellt wird.

By the way: Dem HSV steht der wohl größte Umbruch der vergangenen zehn Jahre bevor. Den alten Leistungsträgern Van Nistelrooy (34 Jahre), Zé Roberto (36) und Co gehört nicht die Zukunft, die Jungen (Besic, Son, Torun) sind noch nicht soweit.

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Die Hoffnung muss um Spieler wie Trochowski, Aogo und Jansen gestaltet werden, allesamt erfahrene Haudegen und trotzdem mit Mitte 20 noch im besten Fußballalter. Guerrero, 26 Jahre, gehört auch dazu.

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.