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schnelsen | größenwahn oder fleiß?

germania schnelsen

Dank Torjäger Stephan Rahn kann in Schnelsen die Oberligameisterschaft 2012 gefeiert werden. Jens Paeslack wird zum Trainer des Jahres gewählt. Der Bau eines kleinen Stadions ist in vollem Gange. Die Regionalliga begrüßt Germania Schnelsen.

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Bei derlei abstrakten Gedanken würde man heute wohl eher Gelächter ernten. Schließlich ist der Verein, der schon bald zur Hamburger Elite gehören möchte, bestenfalls ein ausgeflippter Außenseiter, der die Balance zwischen Größenwahn und echtem Ehrgeiz noch nicht gefunden hat.

Oder doch?

Holger Spethmann, Germanias Projektantreiber, bestellt den Latte Macchiato – per Handy. Er trägt eine Goldkette, qualmt Marlboromassen und würde mit etwas Fantasie auch einen statthaften Flavio Briatore abgeben.

„Ich bin geil auf Erfolg“

„Ich bin geil auf Erfolg“, hebt er passenderweise ab und schwebt in Gedanken einige Minuten auf der Siegerwolke. „Die Pläne für das neue Stadion liegen in der Schublade.“ Eine Idee für den Namen hat er sofort parat. „Von mir aus nennen wir das Ding Rote-Meile-Arena“.

Der gelernte KFZ-Mechaniker Spethmann probiert sich seit einigen Monaten dem größeren Sport anzunähern. Er schwadroniert über Königtransfers, Puzzleteile und Marketingstrategien. Kurz vor unserem Treffen tütet er eine Flyerkampagne ein. Schon demnächst soll nicht nur Fußball am Königskinderweg zu bestaunen sein – sondern auch „Events“.

holger spethmann

Spethmann der Showmann.

Da sitzt er nun, dieser Typ, dem ab und zu der Wahnsinn nachgesagt wird. Er lächelt eher selten und referiert angefixt vom Rahndeal über die anstehende Leistungsexplosion seines Teams. „Viele Teams wollen 2012 Meister werden. Wir werden es.“

Herr Spethmann, bauen Sie nicht etwas viel Druck auf, möchte man da fragen, ehe er die Antwort selber serviert. „Na ja, der Trainer visiert die Plätze eins bis fünf an. Ich denke, das ist auch realistisch.“

Spethmann hasst den Begriff „One-Man-Show“. Dabei ist er genau das. Zwar ohne Glamour, dafür mit maximaler Lautstärke, lenkt er den Verein Germania Schnelsen. Und er steuert die Spitze an.

„Noch fehlen uns Jahre zu Vicky und Altona. Aber wir holen auf“, formuliert Spethmann seine Drohung an die bisherigen Platzhirsche. Und tatsächlich: Sie holen auf.

11-Mann-Stab malocht für Germania

Erst im vergangenen Jahr holten sich die Germanen einen fetten Rekord ab. Keine Niederlage in 30 Punktspielen. Noch nie ist ein Team derart souverän in die höchste Hamburger Spielklasse eingestiegen. Nun ist ein Platz unter den besten Fünf zumindest nicht auszuschließen.

Dazu: Mit Stefan Westbrock, Mirko Schulz, Mladen Tunjic, Felix Sager und Stephan Rahn luchste die Germania-Crew in kürzester Zeit viele Spieler vom SC Victoria ab. Wohlgemerkt, vom SC Victoria.

„Wir entwickeln uns schrittweise und verbessern die sportliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Monat zu Monat“, erklärt Spethmann paffend, und schiebt hinterher, dass er über einen „eher kleinen Etat“ verfügt.

Dafür hat er einen üppigen Stab um sich gepflanzt. Ein elfköpfiges Team ist für Germania Schnelsen inzwischen im Einsatz, darunter der Trainer Jens Paeslack, Manager Andreas Herrmann, Obmann Heino Stemmann und Berater wie Dieter Fuchs und Heinz-Jürgen Lipski.

Und das muss man Spethmann lassen. Er verweist oft auf diejenigen, die seltener gefragt werden. Beispielsweise fädelte Kollege Fuchs den lukrativen Astra-Deal (sind Brustsponsor) ein. „Im Grunde macht jeder im Verein mehr als ich“, erkennt Spethmann die Notwendigkeit eines tüchtigen Funktionteams.

Klaus Thomforde übt mit Grubba

Doch der Schnelsen-Boss lobt nicht nur die machenden Hände rund um das Oberligateam. Jüngst schuf er gemeinsam mit dem Initiator Jürgen Tunjic ein Patenprojekt für den Nachwuchsbereich.

Zwei Mal im Monat stehen Spieler der Ligamannschaft für Trainingszwecke bei den D- bis A-Junioren zur Verfügung. „Die Geschichte wird prima angenommen.“

Die St. Pauli-Legende Klaus Thomforde ist als Torwarttrainer für den Nachwuchsbereich zuständig. Er werkelt am Können der kleinen Keeper und kümmert sich intensiv um Tobias Grubba. Beachtlich: Sechs Spieler des Oberligakaders gingen aus der eigenen Jugendarbeit hervor.

Als Holger Spethmann seinen dritten Latte Macchiato per Handy bestellt und sich ins Büro bringen lässt, menschelt es.

Der 49-Jährige dreht das Gespräch und findet einen anderen Ton. „Wir wollen nicht nur Leistung abliefern. Wir wollen auch Spaß haben. Jeder von meinen Jungs ist mir wichtig. Und das wissen sie auch. Deswegen kriegst du auch kaum einen Spieler aus Schnelsen weg.“

Tatsächlich weiß man nun: Wenn der Trainer zu seinen Tanzabenden ins „H1“ einlädt, kommen alle, und bleiben lange. Und als Spethmann vor geraumer Zeit seinen Rücktritt plante, überraschte ihn die Mannschaft mit einer sicherlich ungewöhnlichen Geste. „Plötzlich saß die komplette Mannschaft in meinem Wohnzimmer. Sie wollten damit zeigen, dass ich bleiben soll.“

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Die Schnelsener Fußballwelt scheint in Ordnung. Fluktuationen wie in anderen Vereinen muss der Verein nicht fürchten. Nur wenn klassenhöhere Vereine anklopfen, würde der Klub seine Spieler sofort ziehen lassen. Das anständige Abkommen gilt intern als Versprechen.

13. Februar, 14 Uhr
Germania Schnelsen – FC St. Pauli 2

Auch der Ex-Profi Stefan Schnoor hat sich von der positiven Vereinsstimmung anstecken lassen und will bleiben, und noch ein weiteres Jahr dranhängen. „Das Team ist einfach großes Kino. Ich fühle mich da sehr wohl“, begründet er sein Vorhaben.

Als Spethmanns expansive Bestrebungen endgültig in unserem Notizblock untergebracht sind, klingelt sein Handy. Ein Spieler aus der Oberliga ist dran. Kein Schlechter, aber mit satten Vorstellungen. „Nur in Schnelsen wächst das Geld nicht auf den Bäumen,“ stellt der Projektantreiber klar. Man wolle ja nicht größenwahnsinnig werden.

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.