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nils pichinot | von eichede nach jena

Den Aufstieg des Nils Pichinot würde man bis zu einem gewissen Karrierepunkt als außerordentlich steil bezeichnen. Mit 19 Jahren SV Eichede, plötzlich  Fastprofi beim FC St. Pauli. Heute ist der 21-Jährige bei Carl-Zeiss Jena gelandet. Die Pichi-Reise.

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Von Mario Jurkschat

Es ist 2008

Im Winter kontaktiert Curslacks Trainer Torsten Henke das Talent. Er sieht Pichinot bei einem Jugendspiel des SC Vier-und Marschlande und notiert: Pichinot, 19 Jahre, schnell, robust, schießt Tore am Fließband. Zu einem Wechsel kommt es jedoch nicht. „Vier-und Marschlande stellte sich quer und wollte mich sperren,“ begründet der Abiturient heute seine damalige Zwangsabsage. Er verlässt Hamburg und wechselt stattdessen ins holsteinische Nirgendwo. Nach Eichede.

die woche sechs – ehm das auslaufmodell, stolina der arrogante

„Ich war mit Cordi fast klar“

Im Sommer 2009 dann der nächste Angriff. Henke lässt nicht locker, wählt wieder die Nummer des Stürmers. Auch andere Vereine aus der Ober- und Landesliga sind inzwischen an ihm dran. Aber Dassendorf und Concordia, wo er im Probetraining war, ziehen den Kürzeren.

Dabei: „Ich war mit Cordi fast klar, aber irgendwie fühlte ich mich mit der Entscheidung nicht wohl.“ Zweifel plagten den Jungspund. In Jahren, wo Teenager unbekümmerte Entscheidungen treffen, wirkt Pichinot ausgesprochen erfahren. Absage an Concordia. Er wechselt nach Curslack.

Pichinot lässt Herz und Verstand entscheiden, sagt: „Das lag an den Ambitionen und Hoffnungen, die ich hatte.“ Ihm imponierte die Curslacker Ehrlichkeit. Trainer Henke überzeugte ihn mit klaren Perspektiven.

Torsten Henke über Nils Pichinot: „Total bodenständig, keine Starallüren, ein ganz feiner Kerl, der weiß wo er herkommt. Nils hat sich immer hundertprozentig korrekt verhalten und schaut beizeiten immer noch in Curslack vorbei.“

Im Nachhinein eine logische Entscheidung. Pichinot ist ein Familientyp. Die Eltern, die Freunde, seine Freundin, es ist auffällig wie häufig er seinen engsten Kreis ins Gespräch einbezieht.

Henke der Freund

Folglich genoß der unfertige Pichinot das wohlige Vereinsleben in Curslack. Zu Trainer Torsten Henke entwickelt sich im Laufe der Zeit sogar ein freundschaftliches Verhältnis. „Torsten war sogar bei den Gesprächen mit St. Pauli dabei. Auch vor dem Wechsel zu Jena haben wir uns ausgetauscht.“

ranking | die diamantenspiele der hinrunde

Der kantige Brechertyp gilt während seiner Zeit in Curslack als idealer Sturmpartner für den Kollegen Spill. Gleich in seiner Debütsaison trifft er wie er will. Im ersten Pflichtspiel netzte er dreimal gegen Condor, 14 weitere Treffer sollten während der Spielzeit folgen. „Ich fühlte mich unheimlich wohl in Curslack. Es war wie in einer riesigen Familie. Alles lief perfekt. Ich konnte mich schnell durchsetzen, war dann Stammspieler. Genau das, was ich wollte und hoffte, trat ein.“

Die Konsequenz: Die Scouts einiger Profivereine werden auf ihn aufmerksam.

C’gammes Manager Torsten Schönsee über Pichinot: „Ein ruhiger, zurückhaltender Junge. Der aber, trotz der anfänglich schüchtern wirkenden Art, total offen für alle Menschen ist. Auf Malle, da lernt man ihn richtig kennen.“

Es ist 2009

Dann geht alles sehr schnell. Der FC St. Pauli klopft an. „Ich habe mich bis dahin überhaupt nicht mit dem Profifußball beschäftigt.“ Gemeinsam mit Freund und Helfer Torsten Henke geht’s in die Verhandlungen. Beide saßen mit Helmut Schulte, Joachim Philipkowski und Jörn Großkopf am Tisch, sprachen über die Perspektiven des Jungspielers.

Auch der VfL Wolfsburg zeigte Interesse

„Versprochen habe ich mir nicht wirklich viel, ich habe es lediglich als minimale Chance und Erlebnis aufgenommen.“ Pichinot zweifelt für sich – trotz seiner traumhaften Oberligaquote. Ist St. Pauli etwa doch eine Nummer zu groß. Am Ende überwiegt die Abenteuerlust. Er steigt um ins braun-weiße Dress. Deich ade!

Übrigens: Auch der VfL Wolfsburg rummste zu jener Zeit an der Tür. Doch nach nur einem Probetraining unter Bernd Hollerbach brach der Kontakt wieder ab. Also St. Pauli. Und dann gleich das: Nach einer harten Sommervorbereitung steht der 20-jährige im ersten Punktspiel gegen Rot Weiss Ahlen im Kader der Profis.

jakob sachs | profi oder halbprofi?

In der 77. Minute wird Pichinot eingewechselt. 13 Minuten später steht der Debütant an der Eckfahne, tanzt mit den Stars. Das Stadion tobt. St. Pauli siegt dank seines Treffers mit 2:1. „Das war unnormal, irgendwie nicht greifbar.“

Die Medien bejubeln den Kicker vom Deich, interviewen das Pichinot-Umfeld rauf und runter. Und trotzdem, der besonnene Held des Tages bleibt auf dem viel zitierten Boden der Tatsachen.

„Ich dachte darüber nach, mich im Kader der Ersten zu etablieren, aber ich hatte immer im Hinterkopf, dass verletzte Spieler wiederkommen und ich wohl die meisten Spiele in der zweiten Mannschaft verbringen darf.“

Er behält Recht. Der große Durchbruch bleibt aus.

Dem Abenteuer gegen Ahlen folgt also der ewige Absturz in die Zweite. Doch Pichinot ist kein Durchdreher, er geht selbstkritisch mit seiner Situation um und bewertet die bescheidene Regionalligasaison ehrlich: „Ich habe keine optimalen Leistungen gebracht. Das weiß ich. “ In der Abstiegssaison trifft der Knipser viermal, bleibt hinter seinen eigenen Ansprüche zurück.

„Aus der St. Pauli-Zeit habe ich trotzdem sehr viel mitgenommen. Ich hatte vorher nie so regelmäßig und vielfaches Training und somit konnte ich mich schon ein ganzes Stück, gerade auch in den Basisfähigkeiten, weiterentwickeln. Es war mir immer sehr wichtig oben im Training zu sein.“

ranking | die perlen der hinrunde

Er bekam Tipps vom einen oder anderen Spieler, versuchte sich etwas vom Verhalten der anderen Stürmern abzugucken. Der Wissenshunger prägte ihn. „Von einem Ebbers lernt man in jeder Woche etwas.“

Nils Pichinot, 21 Jahre
geb. am 29.08.1989 / 1,82 m / Stürmer
SV Eichede, SV Curslack-Neuengamme, FC St. Pauli, Carl Zeiss Jena
Marktwert: 200.000 Euro
Leistungsnachweis: Ein Zweitligaspiel – ein Tor, 30 Regionalligaspiele – vier Tore, 48 Oberliga – 33 Tore

Es ist 2010

„Dank“ des Abstiegs aus der Regionalliga ist Pichinot zurück in der Hamburger Oberliga – und wie: 16 Tore nach 17 Spielen stehen auf dem Konto, eine sensationelle Statistik, wenngleich es „nur“ die bessere Stadtliga ist.

Und weil es „nur“ gegen Paloma und Condor geht, ist das Bundesligateam Lichtjahre entfernt. Er spürt das, fühlt sich sportlich immer häufiger fehl am Platz. Denn der symphatische Beau hat andere Pläne, größere. Das Abenteuer Ahlen war eben zu gut. Millerntorstadion, 20.000 Zuschauer, der Jubel an der Eckfahne.

St. Paulis Amateurtrainer Jörn Großkopf traut es dem Stürmer zu. „Menschlich ist er sowieso eine Granate und in der Oberliga war es eine Augenweide ihm zuzusehen. Er kann das packen…“

Es ist 2011

Ich will auf die große Bühne

Im Winter wechselt das Talent nun nach Jena in die dritte Liga. „Ich will eine Chance haben mich höherklassig zu beweisen. Das hätte ich bei St. Pauli nicht mehr gekonnt. Einige Leute trauten es mir einfach nicht zu.“

Die ersten Tage in Jena, es gefällt ihm. Das Team, das Umfeld und das Stadion sind „toll“, wie er seine ersten Eindrücke beschreibt. Er brauchte diesen Tapetenwechsel jetzt. „Ich sehe es als große Chance mich deutschlandweit auf einer größeren Bühne zu beweisen. Ich bin noch jung und habe noch viele Jahre vor mir“, blickt er auf seine neue Herausforderung und setzt sich gleichzeitig unter Druck: „Ich muss mich zeigen, schließlich habe ich nur ein halbes Jahr Vertrag in Jena.“

Ein anderes konkretes Angebot hatte er nicht. Carl Zeiss war der einzige Interessent. Und dahingehend wächst auch die Ungewissheit. Was passiert nach Jena wenn es nicht klappt? „Wenn ich weiterhin mit meinem Hobby Geld verdienen möchte, dann muss ich jetzt Gas geben. Auch deshalb habe ich eine so weite Reise auf mich genommen.“

es geht wieder los – blogtippen

Knapp drei Monate hat er nun Zeit sich für ein weiteres Engagement zu empfehlen.

Seine Adresse ist momentan die eines Hotels. Sechs Wochen wohnt der Neuzugang auf Kosten des Vereins dort. Eine Wohnung sucht er momentan nicht. „Dann sind es ja nur noch zwei Monate, daher lohnt sich das erst einmal nicht. Obwohl es schon unbequem in so einem 20 Quadratmeter Zimmer ist.“

Egal. Dieser Tage kommt Pichinot wieder zufrieden rüber. Jena scheint ihm gut zu tun. Auch aufgrund seines Anti-Abzock-Beraters, welcher sich um das Wohl seines Schützlings sorgt. Man vertraut sich blind. „Wir haben viel und sehr guten Kontakt, pflegen ein gutes Verhältnis miteinander. Er richtet sich nach meinen Wünschen und versucht mir nicht etwas einzureden, wo er nicht das Gefühl hat, dass es auch für mich gut ist.“

„Langfristig zieht es mich wieder nach Hamburg“

Die große Reise beginnt also. Das erste Mal Hamburg für längere Zeit verlassen, ohne Familie, ohne Freunde und ganz besonders ohne seine Freundin, mit der er viel Zeit in Hamburg verbrachte. „Die Distanz, besonders zu meiner Freundin, macht mir schon zu schaffen, aber ich habe mir das ausgesucht und daher müssen wir da jetzt durch“, parolt er.

Wolfang Frank, Trainer Carl-Zeiss Jena: „Wir haben einen jungen, schnellen und geradlinigen Stürmer gesucht. Schließlich sind wir auf Nils Pichinot aufmerksam geworden. Für ihn ist es wichtig, dass er sich schnell in Jena zurecht findet und den Konkurrenzkampf annimmt. Die Fähigkeiten für Liga drei bringt er mit.“

„Für einen Einsatz in den ersten Spielen hat es noch nicht gereicht, aber die Saison ist ja noch lang“, schöpft er Hoffnung.

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Immerhin: Am Wochenende schoss er für Jenas Zweite den Chemnitzer FC ab. Vier Tore steuerte er zum 5:2-Auswärtssieg bei. Wolfgang Frank, Cheftrainer des Drittligateams, ist angetan. „Das war sicher ein guter Einstand und eine klasse Empfehlung.“ Holger Stanislawski formulierte es damals ähnlich.

ps: PICHI, wir wünschen es DIR!

Presse: Jenas neuer Stürmer Pichinot: Vier Tore als Empfehlung

Harry Jurkschat

Seit Gründung mit auf dem brennenden BTB-Rasen. Im Gegensatz zu Semmler ist Jurkschat smart. Eine Mischung aus Mehmet Scholl und Günter Netzer. Der ewig 31-Jährige Insiderexperte harmoniert sich von Meppen bis Kiel, ist der Ausbügler und Staubsauger in der 2. Reihe. Dazu kommt aufgrund internationaler Fussball-Erfahrung (6 Länderspiele für Deutschland) Know-How im Wesentlichen. Manko: Bisweilen zu symphatisch und häufig mit den Sekretärinnen beschäftigt.