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ETV | Wir heben zu schnell ab

Lange, schon sehr lange hätten wir uns mit Dennis Mitteregger unterhalten sollen. Nun hat’s geklappt. Da passte es prima, dass ETVs junger Trainer am Mittwoch mit gerade mal 28 Jahren den ODDSET-Pokal gewinnen kann. Das Interview.

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Wir treffen Dennis Mitteregger in der Geschäftsstelle des ETV in der Bundesstraße. Und legen los.

Kennen Sie André Villas Boas?
Nein, der Name sagt mir nichts.

Der Herr ist 33 Jahre jung, Trainer des FC Porto und frischer Triple-Gewinner. Meisterschaft, Pokal, Europa-League. Herr Mitteregger, den müssen Sie doch kennen.
Nein. Ich höre den Namen zum ersten Mal.

Dann drücken wir die Reset-Taste und starten nochmal. Sie sind 28 und stehen im ODDSET-Pokalfinale. Das muss doch eine Riesengeschichte für einen so jungen Trainer sein.
Na ja, als ich mit 23 als Trainer anfing, hatte ich auch das Gefühl, dass ich noch ziemlich jung bin. Inzwischen hat sich das deutlich normalisiert. Die meisten Spieler sind ja auch vier, fünf Jahre jünger als ich.

Ihr jugendliches Alter ist demnach kein Thema beim ETV?
Nein. Überhaupt nicht.

Herr Mitteregger, häufig macht man sich vor einem Interview ein Bild von der Person. Sie sind für uns der Fußballprofessor in klein, der daheim stapelweise Skizzen von Aufstellungen rumliegen hat und mit dem Bleistift im Mund den nächsten Matchplan entwirft.
Ich habe zumindest große und viele Aktenordner, in denen die Trainingsinhalte abgeheftet sind. Nach zehn Jahren, mit 18 habe ich ja mit den ersten Aufzeichnungen angefangen, kommen einfach eine Menge Papiere zusammen. Dann trägt das sportwissenschaftliche Studium auch seinen Teil zum Chaos bei. Insofern: So falsch lagen Sie mit Ihrer Vorstellung gar nicht.

Könnten Sie aus dem Stehgreif und ohne Ordner eine Trainingswoche füllen?
Natürlich. Aber das kann jeder Trainer, der den Job mit Engagement ausfüllt. Ich habe mit 17 schon drei Trainingseinheiten in der Woche mit meiner C-Jugend gemacht. Irgendwann kannst du gewisse Übungen im Schlaf.

Ist die Anerkennung in der Szene mit den Pokalerfolgen gestiegen?
Im Vergleich zu früher hat sich das Ansehen natürlich verändert. Aber, und das will ich ganz klar sagen, erwarte ich das überhaupt nicht. Es ist nämlich unheimlich schwierig, die Arbeit von Trainerkollegen beurteilen zu können. Die Arbeit, selbst in den unteren Ligen, ist sehr komplex. Oftmals steht hinter einem Trainer noch ein mehrköpfiges Team, wo alle einen Teil zum Erfolg beitragen. Eine fundierte Einschätzung ist demnach sehr schwer. Selbst nach intensiven Unterhaltungen mit einem Kollegen, kann ich nicht sagen, ob er ein guter oder schlechter Trainer ist. Das ist bei Spielern deutlich einfacher.

Das Scouting-Netz der Profiklubs macht’s möglich: Ein hochtalentierter 17-Jähriger wird fast immer entdeckt. Ein 28-Jähriger, der als Trainer erfolgreich ist, bleibt in den Niederungen des Amateurfußballs. Doof, oder?
Ich will nicht zu bescheiden sein und gerne bestätigen, dass ich einen Teil zum diesjährigen Erfolg beigetragen habe. Aber letztlich war es für mich mit dieser Mannschaft eine dankbare Aufgabe. Die Jungs sind immens lernwillig und saugen jede neue Information auf.

Sie haben die vorige Frage irgendwie nicht beantwortet. Also: Wie sieht’s mit Ihren Zielen aus?
Es gibt keine langfristige Planung. Der Verein möchte zwar auch immer wieder mit mir über die nächsten zwei Jahre sprechen, aber das interessiert mich nur wenig. Unlängst habe ich auch nochmal über einen Auslandsaufenthalt nachgedacht. Ehrlich, es gibt keinen Plan.

Angenommen ein Angebot eines ambitionierten Oberligisten liegt Ihnen vor.
Dann ist es nicht selbstverständlich, dass ich das annehme. Ich weiß auch gar nicht, ob ich so weite Fahrten an den Stadtrand auf mich nehmen würde. Ich bin mit der Uni und meinem Job beim Gruner+Jahr-Verlag so ausgefüllt. Da müsste der Verein schon viel bieten.

Haben Sie keine Lust auf größere Aufgaben?
Doch. Natürlich. Und ich wehre mich ja auch gar nicht gegen mögliche, neue Aufgaben. Aber was soll ich Ihnen denn sagen? Fakt ist: Wenn ich in fünf Jahren als Lehrer arbeiten darf, wäre ich glücklich. Wenn ich in fünf Jahren, eins, zwei Ligen höher trainieren darf, bin ich auch glücklich. Ich weiß aber auch, dass es mittlerweile sehr viele hervorragend ausgebildete Trainer gibt, aber vergleichsweise wenige Trainerstellen.

Wie wichtig ist Ihnen die Distanz zu den Spielern?
In der Kabine und auf dem Fußballplatz ist Distanz da. Das muss auch sein. Aber es war auch schon fast jeder Spieler bei mir zu Hause. Auch nach dem Altona-Spiel, weil ich auch gleich hier auf der Ecke wohne, kamen einige Jungs rum.

Manchmal wirken Sie ziemlich frostig und spaßfrei.
Trotz unser lockeren Teamatmosphäre wollen ja alle den Erfolg. Also gebe ich die Richtung vor. Und das tue ich möglichst professionell. Das heißt, ich fokussiere mich vor einem Spiel auf die anstehenden 90 Minuten. Und dazu gehört eben auch, dass ich vor einem Spiel nicht mit den Zuschauern oder Journalisten über die Auswechslung beim letzten Auswärtsspiel schwadroniere.

Trotzdem: Sie wirken desöfteren volle Kanne zugeknöpft.
Ich weiß. Ich kenne auch ein paar Leute, die gesagt haben, dass ich auf dem Trainingsplatz immer sehr genervt wirke. Aber ich werde lockerer. Glauben Sie mir das.

Die Euphorie rund um Ihre ETV-Boys ist momentan kolossal. Bei Facebook ist – sobald über, von und mit dem ETV etwas gepostet wird – die Hölle los. Man hat das Gefühl, der Verein stimuliert gerade Massen.
Und bei unseren Ligaspielen ist kein Mensch.

Der ETV und seine Modefans, oder was?
Nein. Das ist eine neue Generation Fans, die gerade wächst und Spaß mit uns hat.

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Das allein erklärt den irren Publikumsboost?
Unsere Spieler sind unglaublich vernetzt und jeder hat bestimmt 50 beste Freunde. Das ist manchmal etwas nervig, weil jeder Kumpel ja auch super kicken kann und dann mal bei uns vorspielen möchte. Aber genau das ist auch unser Vorteil. Ich musste noch nie einen Spieler ansprechen und ihn von uns überzeugen. Die kamen und kommen alle über Kontakte zu uns. Ich denke, so ähnlich ist es dann auch mit den Zuschauern. Die Mannschaft ist eben sehr kommunikativ.

Wann ist dieser Hype, ich nehme mal wieder die vielen Facebook-Postings als Beispiel, zuviel und wann würden Sie einschreiten?
Das ist das Problem dieser Mannschaft: Wir heben zu schnell ab und lassen uns zu schnell von anderen Dingen beeinflussen.

Sie reden darüber ganz offen?
Auf jeden Fall. Wir wissen um diese Problematik und arbeiten seit längerer Zeit dagegen an.

Dann würden Sie die schwachen Ligaresultate (Platz 9 am Ende) mit der mauen Einstellung erklären?
Das kann man so sagen. Sobald wir ein Ziel aus den Augen verlieren, knicken wir ein. In der Liga kommt hinzu, dass die Gegner reihenweise und bis zur Unterkante motiviert sind. Wir verlassen uns einfach zu sehr auf die eigene Qualität, und lassen die richtige Mentalität dann irgendwo liegen. Das ist unser Manko.

Wie setzen Sie da an?
Da bin nicht nur ich gefordert. Da ist auch die Mannschaft ein stückweit selber gefragt. Sie wissen das auch und beginnen allmählich diese Dinge anzupacken. Nur das dauert.

Wie wichtig ist Ihnen Ballbesitz?
Der ist ein großer Bestandteil unseres Spiels.

Wie würden Ihre Spieler reagieren, wenn Sie in der 75. Minute plötzlich den Befehl „nur noch lange Dinger nach vorne“ reinrufen.
Unvorstellbar. Sie glauben ja allesamt an das Konzept. Und ich sowieso. Im Moment geben es die Spielertypen aber auch her. Die Jungs wollen den Ball und sie können ihn auch bei Drucksituationen sehr gut halten. Bisweilen wirkt das Spiel dann zwar brotlos, weil es erst im zweiten oder dritten Versuch in die gefährliche Zone geht, aber insgesamt steigt durch die vielen Kontakte das Selbstbewusstsein.

Stimmt es, dass Sie gewisse Spiele aufzeichnen lassen und später per Videoanalyse mit der Mannschaft besprechen?
Ja. Das stimmt. Ab und zu gehen wir so ein Spiel mal genauer durch. Und ich denke, dass finden alle ziemlich gut.

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Eine Pokalfrage muss sein: Auch der ETV wird wissen, dass mit Gewinn des ODDSET-Cups und dem Erreichen des DFB-Pokals 100.000 Euro auf den Verein warten. Was wird mit der historischen Prämie passieren?
Das ist einfach zu beantworten. Die Mannschaft des ETV spielt für nichts. Deswegen werde ich mich dafür einsetzen, dass die Spieler, die mit Angeboten gelockt werden, gehalten werden können, beziehungsweise: Wir wollen auch finanziell über einen längeren Zeitraum attraktiv werden. Vor allem den Spielern des bestehenden Kaders will ich Verdienstmöglichkeiten in Aussicht stellen.

Zum Schluss: Sie sind gar nicht bei Facebook angemeldet.
Aber ich habe einen E-Mail-Account.

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.