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Jan-Moritz-Lichte: Der Mann mit den Pianohänden

Am Anfang wollte sich Jan-Moritz Lichte, Co-Trainer des FC St. Pauli und rechte Hand André Schuberts, partout nicht festnageln lassen auf irgendwelche taktischen Imperative. Am Ende taute ein stiller Stratege doch auf und referierte über effiziente Trainingsarbeit.

Fragen: Martin Sonnleiter | Foto: Thorsten Baering

Herr Lichte, gibt es eine neue Trainer-Generation in der Bundesliga? Man spricht vom „Typus Klopp“. Ist da nicht nur vom Alter, sondern auch vom Intellekt, von der Art und Weise ein Wandel zu beobachten?
(Lacht erstmal) Ich würde mir nicht anmaßen, von einem neuen Intellekt zu sprechen, dazu kenne ich weder die Kollegen von damals noch von heute gut genug. Es ist neuerdings immer wichtiger, was man als Trainer kann. Was man früher als Spieler konnte, tritt ein wenig in den Schatten. Das ist eine Tendenz: Tuchel, Rangnick, André Schubert. Das werden immer mehr.

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Können Sie mit einem Satz auf den Punkt bringen, worum es bei moderner Taktik geht?
Wer am Ende gewonnen hat, hat es richtig gemacht.

Ich versuche es mal mit meinen Worten: Variables, schnelles, den Raum überbrückendes Offensivspiel statt den Ball festmachender Rumpelfußball.
Ich finde es unglaublich schwierig, da eine pauschale Aussage zu treffen. Ich glaube schon, dass die meisten Teams mittlerweile eine raumorientierte und defensiv ausgerichtete Grundordnung haben. Gerade die erfolgreichen Mannschaften. Wenn jemand alte Taktikkonzepte bevorzugt, muss man das akzeptieren, da schwebt auch der EM-Gewinn Griechenlands 2004 bei Vielen im Hinterkopf herum. Ich finde, das muss man dann auch als Möglichkeit akzeptieren. Moderner Fußball ist nicht immer besser, hat sich aber durchgesetzt: im Raum, meistens aggressiv gegen den Ball zu verteidigen. Ich tue mich aber schwer, von besserem Fußball zu reden. Jeder Trainer hat seine eigene Idee, solange es Erfolg bringt, gerade im Profibereich, muss jeder Trainer machen können, was er will.

War die desaströse EM 2000, als Deutschland sang- und klanglos in der Vorrunde ausschied, der Wendepunkt für den deutschen Fußball?
Auch das ist für mich schwer zu beurteilen. Da war ich 20, zwar schon mit Fußball sehr beschäftigt, nicht aber mit der Entwicklung des deutschen. Die Einrichtung von Nachwuchsleistungszentren war natürlich ein großer Einschnitt. Ob der DFB wegen der EM so reagiert hat und es vorher noch keine Konzepte gab, wage ich nicht zu beurteilen.

Wann haben sie den Entschluss gefasst, Trainer zu werden?
Ich habe als Spieler sehr früh gewusst, dass der endgültige Durchbruch als Profi wohl nicht kommen wird, habe mich aber immer mit Fußball beschäftigt. Mit 25 habe ich dann meine C-Lizenz gemacht, anschließend Nachwuchsteams trainiert und angefangen Sportwissenschaften zu studieren. Ob es möglich ist, damit irgendwann einmal Geld zu verdienen, wusste ich nicht. Dass ich damit Geld verdienen möchte, war aber mein Ziel und es hat sich schnell in die positive Richtung entwickelt.

Ist es die Arbeit hinter der Fassade, an der Struktur, was Sie reizt und auch zu Ihrem Typus passt: der stille Stratege?
Stratege passt, still ist immer so eine Sache. Natürlich ist man als Co-Trainer erst einmal der Stille, es ist nicht seine Rolle, ständig in Erscheinung zu treten. Da hat man dann die Gelegenheit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Es macht mir Spaß, Strukturen zu entwickeln.

Was heißt das in Bezug auf die Mannschaft?
Kontinuierlich arbeiten, immer wieder an den gleichen Stellschrauben drehen, es dauert, bis sich Prozesse verinnerlicht haben. Das kann man an den Mannschaften sehen, die langfristig mit ihren Trainern zusammenarbeiten. Die holen viel aus ihren Möglichkeiten raus: Fortuna Düsseldorf mit Norbert Meier, Uwe Neuhaus bei Union Berlin, aus Liga drei aufgestiegen, nun im dritten Jahr in der zweiten Liga. Bis sich Strukturen gefestigt haben, die Arbeit eines neues Trainers auszahlt, das dauert ein halbes, dreiviertel Jahr. Bis die Mannschaft taktisch gefestigt ist und auch mit Rückschlägen umgehen kann.

Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede innerhalb eines Teams? Nicht nur St. Pauli ist sehr multikulturell geprägt.
Viel wichtiger als kulturelle Unterschiede sind Persönlichkeitsunterschiede, man muss unterschiedliche Typen integrieren. So schwer es auch manchmal fällt, man kann nicht jeden gleich behandeln. Jeder Spieler muss anders angepackt werden. Psychologisches Geschick, Empathie ist wichtig, schließlich hat man es mit Menschen zu tun.

Barcelona Tiki-Taki gilt vielen Experten als Role Model perfekten Fußballs. Was favorisieren sie?
Das kam auch nicht von heute auf morgen, die haben daran jahrelang gearbeitet. Unabhängig von den außergewöhnlichen Einzelspielern, ist die Arbeit vorbildlich. Das stimmt die Mischung zwischen Offensive und Defensive.

Wie weit ist St. Pauli von diesem Ideal entfernt?
Auch wir versuchen, Dinge spielerisch zu lösen. Über Flachpassspiel zu kommen.

Wir Journalisten schwadronieren ja gerne über taktische Systeme wie 4-2-3-1 oder Doppelsechs. Können Trainer mit diesen Schablonen etwas anfangen?
Viele Grundordnungen sind sich ähnlich, es geht um die Frage: Wie hoch stehen die äußeren Mittelfeldspieler? Ist der Zehner eine hängende Spitze? Entscheidend ist aber, dass man es schafft, einen kompakten Defensivverbund herzustellen und in der Offensive schnell nach vorne zu spielen und wenn man das nicht schafft, dafür zu sorgen, dass der ballführende Spieler viele Anspielstationen hat.

Wie wichtig ist die Arbeitsteilung im Trainerteam, wie funktioniert das Tandem Schubert/Lichte? Stimmt es, dass Sie bei Spielen in der ersten Halbzeit auf der Tribüne sitzen?
Das ist richtig. Prinzipiell sieht man von oben andere Sachen, hat eine andere Wahrnehmung. In der Halbzeit tauschen wir uns dann aus, was besser laufen kann. Ansonsten teilen wir die Arbeit nicht großartig auf. Mein Schwerpunkt liegt auf der Videoanalyse. Das Trainerteam ist wichtig, das sind nicht nur wir beide, bei der Spielvorbereitung ist Thomas Meggle beteiligt, wir sprechen uns eng ab.

Sie haben Ihr Studium mit der Bestnote 1,0 abgeschlossen. Ihr Diplomthema lautete: „Taktiktraining im Jugendfußball“. Was ist da die Quintessenz? Gibt es den idealen Spielertypus?
Auch da gibt es kein Patentrezept. Typen wie Alphatiere à la Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg können auch heute keiner Mannschaft schaden. Es gibt durch die Entwicklung in den Nachwuchsleistungszentren aber eine unwahrscheinliche hohe Dichte an Qualität. Da kann aber auch der Einzelne in der Masse untergehen, weil er nicht soviel Verantwortung tragen muss, weil die Mannschaft schon so gut ist. Das geht auf Kosten dieser Typen, die sich nicht mehr zu 100 Prozent entwickeln. Dafür stimmt das soziale Gefüge, auch wenn man immer noch eine gewisse Hierarchie braucht. Beispiel Barcelona: Die Jungs ordnen sich alle dem Großen und Ganzen des Vereins unter, ein Carlos Puyol ist trotzdem ein Typ, der die Klappe auf macht. Beides gehört zusammen. Man muss für sich und seine Mannschaft gucken, wie es am Besten funktioniert.

Wann sehen wir Jan-Moritz Lichte als Cheftrainer?
Das wird sich zeigen. Es war aber nie mein Hauptziel. Ich habe im Moment einen tollen Job, vor fünf Jahren habe ich da nie dran geglaubt, dass es in dieser Schnelligkeit möglich wäre. Auf Dauer habe ich mir das zugetraut, keine Frage. Ausschließen will ich es zwar nicht, einmal Cheftrainer zu werden, ich bin aber noch sehr jung, verspüre da keinen Druck.

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Jan-Moritz Lichte (zum Steckbrief), Co-Trainer des FC St. Pauli, übte diesen Job zuvor an der Seite von Chefcoach André Schubert beim Zweitligisten SC Paderborn aus. Als Spieler war er Kapitän und Mittelfeldlenker beim Viertligisten KSV Baunatal in Hessen, wo er Abwehrkante Schubert kennenlernte.

 

Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.