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Der HSV: Kaum Scooter und (zu) viel Catenaccio

Es ist gar nicht so einfach ein Team zu analysieren, dass die eigene Stärke offenbar selber noch sucht. BTB-Newbie Elvis Jarrs hat’s trotzdem getan und sich eine Weile mit dem Hamburger SV auseinandergesetzt. Seine Erkenntnis: Kaum Scooter und eine Überproduktion Catenaccio.

 

Der HSV hat zu Beginn der Saison seinen Torsong geändert. Warum auch immer. Anstelle der bei den Fans sehr beliebten Heidi-Kabel-Version von „An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband“ brüllt jetzt Scooter mit „Always Hamburg“ in Stellingen.

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Eine diskussionswürdige Entscheidung. Wenigstens besteht keine allzu große Ohrwurmgefahr, was weniger an der fehlenden Eingängigkeit des Songs liegt, sondern vielmehr daran, dass er nicht allzu oft gespielt werden muss.

Und trotzdem ist bei den Hanseaten im Moment vieles in Ordnung. Man scheint aus den Fehlern der vergangenen Saison gelernt zu haben, ist effizienter geworden. Mit anderen Worten: Ein Reifeprozess ist im Gange. Was nicht zuletzt an den kostspieligen Transfers der Sommerpause liegt.

Mit Rafael van der Vaart, Milan Badelj und Rene Adler wurden die neben Kapitän Heiko Westermann momentan wichtigsten sportlichen Säulen der Mannschaft erst im Sommer an die Elbe gelotst, sie verleihen dem Team seitdem eine Stabilität, die man zuletzt lange vermisste.

Der HSV ist vielleicht nicht übermäßig torgefährlich und hat mit zwölf Toren aus zwölf Spielen eine eher magere Ausbeute (Im Vergleich: In der Vorsaison hatte der HSV zum selben Zeitpunkt drei Tore mehr erzielt.) Dafür ist das Team von Thorsten Fink imstande, Schwächen des Gegners gezielt auszunutzen, der Trainer kann sich auf ein funktionierendes Mannschaftsgefüge verlassen.

Hinten hat der HSV eine eingespielte Abwehrkette, und mit Adler einen herausragenden Torwart, auf der Sechserposition bilden Badelj und Arslan ein  sich gut ergänzendes Duo, einzig im Sturm herrscht Handlungsbedarf.

Artjoms Rudnevs hat mit drei Toren zwar ein in Ordnung gehendes Trefferkonto, allerdings vergab er in Frankfurt und Fürth klare Großchancen und ist, trotz eines großen Kämpferherzens, auf dem Platz des Öfteren beinahe unsichtbar. Mit Berg steht ihm kein wirklich ernsthafter Konkurrent zur Seite, zu oft enttäuschte er in den letzten Jahren, zuletzt in Gladbach als er, kurz zuvor eingewechselt, einen Gegenspieler bei einem Freistoß aus den Augen verlor und den HSV so in letzter Minute um den verdienten Sieg brachte.

Überhaupt sind Spiele des Nordklubs nicht sehr torreich, im Schnitt fallen mit 2,16 Treffern pro Spiel am wenigsten Tore von allen Vereinen. Dass das kein Indikator für die Stärke der Mannschaft ist, beweist der Vergleich zu Hannover 96: Das Team von Mirko Slomka ist punktgleich, hier fallen allerdings 3,75 Tore pro Spiel. Es ist auch ein Zeichen für die Reife der Mannschaft, dass sich der HSV auf die Defensivarbeit konzentriert, wissend, dass vorne mit Heung Min Son ein einschussbereiter Goalgetter auf Chancen lauert, der 2012/13 bereits sechs Treffer verbuchen konnte.

Auch die stärkere Einbindung der eigenen Jugend ist ein Fortschritt, mit Maxi Beister und Tolgay Arslan sind bereits zwei Spieler in der Stammelf vertreten. Aus Arnesens viel kritisierten Chelsea-Transfers, von denen lediglich Michael Mancienne nachhaltig Eindruck hinterlassen konnte, ist letztlich nicht viel geworden. Der geplante Bau des HSV-Campus ist ein weiteres Zeichen dafür, dass man sich hier in Zukunft mehr mit der eigenen Jugend befassen möchte, anstatt ein halbes Team von talentierten Nachwuchsspielern eines Topklubs zu verpflichten.

Es kehrt allmählich Ruhe ein an der Elbe. Man fühlt sich bisweilen beinahe an Huub Stevens erinnert, fünf Mal spielten die Hamburger bereits zu null, kassierten seit der Niederlagenserie zu Beginn der Saison durchschnittlich nur 0.88 Gegentore pro Spiel. Die Ergebnisse sind meistens den Kräfteverhältnissen entsprechend. HSV-Spiele enden selten überraschend, gegen Fürth und Augsburg gewann man, gegen Bayern und Frankfurt gab es Niederlagen.  Einzige Ausnahme: Der 3:2 Heimsieg gegen Dortmund, der die sportliche Talfahrt beendete und den Beginn einer Serie markierte (10 Punkte aus 4 Spielen).

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Abseits des Platzes wird der Ball erstaunlich flach gehalten, Thorsten Fink drückt, wo er kann energisch auf die Spaßbremse, um der sensationslüsternen Boulevardpresse möglichst wenig Stoff für Negativschlagzeilen zu geben, wie sie in den letzten Jahren immer wieder in den Zeitungen standen.

Er kann sich vermutlich noch erinnern, wie man sich letztes Jahr nach der Hinrunde, die man gerade mal auf dem 13. Platz abschloss, schon als Europaleague-Aspirant wähnte, und später nur mit viel Glück dem Abstieg entrinnen konnte.

Seitdem zeigt die Leistungskurve konstant nach oben, der HSV ist endlich auf dem richtigen Weg. Es wird sich zeigen, wo er in der Abschlusstabelle landen wird.  Mit einem Platz im gesicherten Mittelfeld wären wohl alle erstmal zufrieden. Danach soll es richtig losgehen. Sportchef Arnesen sagt ehrgeizig: „Wir wollen nächste Saison nach Europa!“ Mit Scooter versteht sich.

Harry Jurkschat

Seit Gründung mit auf dem brennenden BTB-Rasen. Im Gegensatz zu Semmler ist Jurkschat smart. Eine Mischung aus Mehmet Scholl und Günter Netzer. Der ewig 31-Jährige Insiderexperte harmoniert sich von Meppen bis Kiel, ist der Ausbügler und Staubsauger in der 2. Reihe. Dazu kommt aufgrund internationaler Fussball-Erfahrung (6 Länderspiele für Deutschland) Know-How im Wesentlichen. Manko: Bisweilen zu symphatisch und häufig mit den Sekretärinnen beschäftigt.