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Jugend: Hansa ist der Feinkostladen

Nachdem » BLOG-TRIFFT-BALL im ersten Teil über die Jugendarbeit in Niedersachsen gehuscht ist, widmen wir uns heute dem hohen Norden der Republik und liefern gleich den Feinkostladen der Nachwuchsarbeit. Hansa Rostock. Dazu: HSV und Holstein Kiel.

 

 

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Seit Jahren segelt die junge Hansa-Kogge auf der Erfolgswelle durch die Junioren-Bundesliga. Drei helle Sterne und etliche Meisterschaften weisen den Kurs im Nachwuchsbereich des Klubs von der Ostsee. In Galliermanier wehrte sich der Traditionsverein gegen die finanzielle Übermacht der Bundesligisten. Knapp eine Million Euro lässt sich der Verein seine Jugendarbeit kosten – und der für Rostocker Verhältnisse überdeminsionale Aufwand lohnt sich.

Auch wenn die elitären Konkurrenten das Vier- bis Fünffache jährlich in den Nachwuchsbereich pumpen, ist der FC Hansa Rostock sportlich auf Augenhöhe. In diesem Jahr scheiterte die junge Premiumkogge erst im Finale der Deutschen A-Jugendmeisterschaft mit 1:3 nach Verlängerung am VfL Wolfsburg und machte beste Werbung in eigener Sache. Dankbar feierte der Rostocker Anhang frenetisch seine Jugend, im Halbfinale gegen den FC Bayern München pilgerten 8.000 Zuschauer in die Rostocker Arena, das Endspiel mobilisierte 18.500 Anhänger.

Zwangsläufig stellt sich die Frage, was macht der FC Hansa Rostock anders? Eine Frage, die nicht nur den Norden der Republik beschäftigt. Auch die alterwürdige FAZ nahm sich der Frage an und sah das Ausbildungssystem der ehemaligen DDR als Erfolgsgarant für die gute Jugendausbildung in Rostock. Gegenüber der FAZ äußerte Urgestein und Leiter des Nachwuchsleistungszentrums Jury Schlünz: „Wir haben einen Stamm an Trainern, die lange im Verein sind und das Ausbildungssystem von damals kennen“ Doch die Kontinuität der Trainer im Nachwuchsbereich des Vereins ist nur das halbe Geheimnis. Der FC Hansa Rostock war einer der ersten Vereine in Deutschland der konsequent die systematische Jugendausbildung eingeführt hat. Bereits 2001 eröffnete der Klub sein Jugendinternat und die mittlerweile gewöhnliche Kooperation zwischen ausgewählten Schulen und Fußballvereinen fand schon vor 1990 statt. Dabei ist die systematische Jugendausbildung keine konstruierte Hülle, sondern wird mit einem besonderen Augenmerk auf den Menschen hinter dem Fußballtalent gelebt.

Unter dem Leitsatz „Fit für’s Leben“ versuchen Jugendtrainer und Betreuer aus talentierten Fußballern auch vernünftige Menschen zu formen, die, selbst wenn sie nicht den Sprung in den Profifußball schaffen, einen chancenreichen Start ins Leben haben. Und es menschelt gewaltig beim FC Hansa Rostock. Die soziale Betreuung der Jugendspieler beim FC Hansa Rostock wird vom DFB als beispielhaft betrachtet und fand Einzug in das Qualitätshandbuch für Nachwuchsleistungszentren: „Das sozialpädagogische Konzept des F.C. Hansa Rostock umfasst ein vielseitiges Paket an sozialen und pädagogischen Aktivitäten, das Talenten dabei helfen soll, komplexe Lebensanforderungen zu meistern, Lebenschancen zu ergreifen und damit als‚ stabile junge Persönlichkeiten in einem stabilen sozialen und schulisch-beruflichen Lebensumfeld’ die leistungssportliche Karriere konzentriert voranzutreiben.“

Abgerundet wird das Jugendkonzept durch gelebte Regionalität. Die meisten Jugendspieler aus der Jugendakademie kommen aus Mecklenburg-Vorpommern. Und diese Regionalität schreibt seine ganz eigenen skurrilen Geschichten. Fast wäre eine Universität nach einem Spieler aus dem Nachwuchsbereich des FC Hansa Rostock benannt wurden – von einer Hochschulgruppe gab es den Vorschlag die Ernst-Moritz-Arndt-Universität in die Toni Kroos Universität zu Greifswald zu ändern – doch scheiterte der Namensvorschlag letztlich in der Vollversammlung. Die hohe Durchlässigkeit von Jugendspielerin in den Herrenbereich unterstreicht die sehr gute Jugendarbeit des FC Hansa Rostock.

Von einer ähnlichen Quote in der Durchlässigkeit vom Jugend- in den Herrenbereich können die Verantwortlichen des HSV nur träumen. Auch wenn beim HSV 3 Sterne über dem Dach der Jugendakademie glitzern, sorgt der Nachwuchsbereich des Liga-Dinos für Zündstoff. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass der Enkel von Uwe Seeler, Levin Öztunali, das Nachwuchscamp verlässt und sich Bayer Leverkusen anschließt. Dabei steht die Personalie Levin Öztunali als Synonym einer problematischen Jugendarbeit.

Jährlich pumpt der Verein 4,5 Millionen in das Projekt Jugend, doch der Ertrag ist gering. In den letzten Jahren schafften nur eine Handvoll Jugendspieler den Durchbruch zum Stammspieler. Das Nachwuchskonzept des HSV ist immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Doch Zeiten ändern sich, und der HSV will besonders im Bereich Jugendarbeit einiges ändern. Der neue HSV-Campus – ein 12,5 Millionen Euro teures neues Nachwuchszentrum – soll eine neue Zeitrechnung einläuten. Herzstück ist das rund 4000 Quadratmeter große Gebäude in Rauten-Form. Die überdimensionale Raute soll unter anderem Heimat für 16 Jugendspieler werden. Finanziert wird das Ganze durch eine » Fananleihe.

Kontinuität im Trainerstab und bei den Betreuern, ein nachhaltiges Konzept, dass das talentierte Kind in den Vordergrund stellt, wie es der FC Hansa Rostock lebt, fehlt dem Nachwuchsbereich des HSV. Fast schon technokratisch wirkt die Vorstellung der Nachwuchsphilosophie der Jung-Dinos auf der eigenen Homepage: „Ziel der HSV-Ausbildung ist es, den durch uns betreuten Spielern zu einem Optimum der Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu verhelfen. Am Ende des Ausbildungsprozesses soll eine möglichst hohe Anzahl an Spielern die Leistungsvoraussetzungen für den Lizenzspielerbereich erfüllen.“

Während drei Sterne für den HSV-Nachwuchs kaum für Verwunderung sorgte, war der FC St. Pauli die Überraschung in der letzten Zertifizierungsrunde. Auch der Kiezklub konnte sich die maximale Anzahl an Sterne für das Jugendlabor angeln. Pauli punktete besonders in den Bereichen Bildung, Organisation, Strategie und Finanzen. Verduzt sagte Präsident Stefan Orth dem Hamburger Abendblatt: „Dass wir in so kurzer Zeit so viel erreichen konnten, hat mich selbst überrascht. Das ist erst der Beginn unserer Arbeit. Mit den drei Sternen ist auch eine Aufgabe verbunden.“

Beim Kiezklub sind die Mittel bescheiden. Von der Größe kann der Verein vom Millerntor längst nicht mit den Großen im Nachwuchsbereich mithalten. Nur fünf Plätze bietet der FC St. Pauli in seinem Internat talentierten Spielern an. Doch anders als beim HSV und angelehnt an das Konzept Rostock steht auch bei St. Pauli das Kind im Vordergrund. Über das eigene Internat sagt der Verein: „Das Jugendtalenthaus ist ein weiterer Baustein im Konzept der Nachwuchsabteilung des FC St. Pauli. Es entspricht der ganzheitlichen Ausbildungsphilosophie des Vereins, die auf eine sportliche, schulische und charakterliche Ausbildung eines jeden Nachwuchsspielers abzielt.“

Aktuell befinden sich 5 Spieler im Kader der 1. Mannschaft, die aus dem Nachwuchsbereich des FC St. Pauli kamen. Und die Hamburger haben in Zukunft einiges vor. Der Nachwuchsbereich soll das Kurzpassspiel á la Ajax Amsterdam und FC Barcelona erlernen, ein mutiges Unterfangen, rekrutieren doch die beiden genannten Vereine seit Jahren europaweit ihre Talente und haben einen jahrzehntelangen Vorsprung.

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Zum Schluss geht es die A7 hinauf und Abfahrt Kiel runter. Auch die Störche haben etwas in Sachen Jugendfußball zu melden. Aushängeschild der Kieler Nachwuchsakademie und wohl prominentester Fußballprofi der letzten zehn Jahre aus dem Hause Holstein ist der Nationalspieler Sidney Sam, den es mittlerweile aus dem hohen Norden an den lebenslustigen Rhein gezogen hat. Doch der Verlust eines solchen Talents gehört zum Tagesgeschäft der Jugendakademien unterklassiger Verein.

Aber die 3. Liga ist im Kampf um Talente nicht immer ein Nachteil. Anders als im Haifischbecken Bundesliga ist die Durchlässigkeit vom Nachwuchs- in den Herrenbereich größer. Auch Holstein Kiel konnte in dieser Saison mit Onur Akdogan, Hauke Wahl und Takuya Okada bereits drei Talente aus der U19 in die Profimannschaft ziehen. Ganzheitlich beschreibt Leiter Fabian Müller die Vereinsphilosophie im Jugendbereich: „Grundlage bei Holstein bilden die Eckpfeiler sportliche – schulische – persönliche Ausbildung. Es ist wichtig, dass wir in alle Richtungen gut ausbilden.“ Weiter erklärt er: „Es gibt kein einheitliches System, sondern einen altersspezifischen Plan, also zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Ausbildungsschritte einleiten. Heutzutage muss man immer schneller reagieren können, daher konzentrieren wir uns auf eine positionsgebundene Ausbildung.“

Bis jetzt wurden die jungen Störche noch nicht zertifiziert, folgerichtig kann auch noch kein Stern am Kieler Nachwuchshimmel strahlen. Doch auch in Kiel wird mit Leidenschaft und Talent im Jugendbereich gearbeitet.

» Zum 1. Teil mit WOB, Hannover und Braunschweig

Matthias Friede

Schon in jungen Jahren musste Matthias Friede erkennen, dass ihn der Fußballgott nicht mit ausreichend Talent gesegnet hat. Trotz seines überharten Einsatzes spielte sich seine Fußballkarriere auf Kreisebene ab. Statt in der glamourösen Welt des Fußballs für Skandale zu sorgen, drückte er im Studium der Geschichts- und Politikwissenschaft die harte, hölzerne Bank auf der Universitätstribüne. Trotz oder gerade wegen dieser Ungerechtigkeit des Fußballgottes beschäftigt er sich leidenschaftlich theoretisch mit dem runden Leder.