Top

BTB beim RFC: „Roland Kaiser spielen wir nicht“

Es war ein packendes Lokalderby in der Hansestadt Rostock. Hannes Hilbrecht war Live vor Ort und erlebte ein denkwürdiges Spiel. Doch nicht nur sportlich war der Tag ein voller Erfolg, der Rahmen, insbesondere der musikalische, haben Spuren bei ihm hinterlassen.

Im Fußball sind es oft wenige Meter, meistens sogar eher Zentimeter, die über Glück und Unglück entscheiden. Ähnliches galt am Sonntagnachmittag auch für RFC-Präsident Nils Greese, nur mit dem Unterschied, dass ein paar Meter nicht darüber entschieden wie eine besondere Situation zu Stande kommen sollte, sondern wie man sie aus Rostocker Sicht werten durfte.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Immer nämlich, wenn der Rostocker FC ein Tor erzielte, musste Greese im schnellen Schritt zur provisorischen Technik spurten, um die Tormusik abzuspielen. So dröhnte im Fall der Fälle die Kulthymne „Just Can`t get enough“ der britischen Band „Depeche Mode“ über das Gelände am Damerower Weg. Viel Zeit zum Jubeln blieb für Greese also nicht, denn ohne musikalische Untermalung lässt es sich halt nur halb so viel feiern, gerade bei einem so musisch orientierten Klub wie dem ältesten Fußballverein der Stadt. Dabei hatte Vereinspräsident Greese, den BLOG-TRIFFT-BALL während der ganzen Partie begleitete, bereits zu Beginn des Spieltages im Gegensatz zum „Depeche Mode“ Song  schon viel zu viel bekommen.

Denn das Wetter erwies sich mit Sturmböen und dicht verhangenen Wolkenhimmel als Stimmungstöter, die Zuschauerresonanz fiel daher mit ca. 250 Besuchern eher dürftig aus. Erhofft hatte man sich im Süden der Hansestadt eigentlich die doppelte Anzahl.  Dazu viel auch noch das Vereinsmikrofon aus, erhöhtes Stadionfeeling durch das Anmoderieren von Toren, Auswechslungen und weiterem fiel demnach gänzlich ins Wasser. Zumindest die schlechte Witterung konnte Greese im schnippischen hanseatisch kommentieren: „Wenigstens regnet es nicht, im letzten Jahr standen wir zu der Zeit noch im Schneematsch.“, so der Vereinspräsident des Klubs. Fast größere Sorgen bereitete da schon das strotzende Mikro: „Ausgerechnet im wichtigsten Spiel der Saison funktioniert das nicht. Das nervt mich schon ein bisschen“, so ein frotzelnder Greese.

Das „wichtigste Spiel der Saison“ ist dabei das Lokalderby zwischen dem Rostocker FC und dem Sievershäger SV. Die Vereinsheime beider Klubs liegen zehn Autominuten voneinander entfernt, die Spiele in der unmittelbaren Vergangenheit zeichneten sich durch inflationäres Kartenziehen der Unparteiischen aus. Im Schnitt fast zehn gelbe Karten und jede Menge Platzverweise fanden in den letzten Jahren  so ihren Weg in die Statistik. Beide Teams mögen sich nicht, was Greese auch am Beispiel seines ehemaligen Stürmers deutlich macht, der das Rot des RFCs gegen das Schwarz  vom Stadtrivalen aus Sievershagen eingetauscht hatte: „Wenn man einmal beim RFC war, dann wechselt man nicht zu denen.“, so Greese,  der seinen eigenen neckischen Ton mit einem Grinsen quittiert. Das Grinsen ist dem 43-Jährigen dabei wichtig. Denn Rivalität bedeutet für ihn die rein sportliche Auseinandersetzung, die allenfalls verbale Scharmützel im Rahmen der Begegnung toleriert. Körperliche Gewalt verachtet der  hauptberufliche Tischlermeister zutiefst.

Mit dem gleichen schelmischen Grinsen geht es für Greese auch in die Halbzeit. Seine Mannschaft spielt stärker als der sechsplatzierte Gast aus Sievershagen, kann einen frühen Rückstand ausgleichen und kurz vor der Pause zur eigenen Führung drehen. Dementsprechend gelöst ist die Stimmung auch bei den Fans, die sich in der antiquiert daherkommenden Vereinsgaststätte mit dem frischgezapften Pils der Hansestadt versorgen. Die Musikauswahl, die das Motiv für das Treiben in der Spielunterbrechung  intoniert, schwingt dabei zwischen Lokalklorit und altrebellischer Klassiker. Lediglich „Die Toten Hosen“ und Reggae-Ikone Bob Marley schaffen es sich auf die Playlist zu drängeln, die von Rostocks musikalischen Aushängeschildern geprägt wird. „Dritte Wahl“, selber durch Drummer Krel beim Spiel vertreten, „Marteria“ und „FeineSahneFischfilet“ ergattern die etwas andere Spielzeit.

Der gelebte Lokalpatriotismus ist Greese wichtig, besonders bei der Musikauswahl: „Andere spielen Roland Kaiser. Ich finde es hat etwas besonderes, wenn man auf lokale Gruppen bei der Einstimmung setzt.“ Das sich die Genres dabei zwischen Hip-Hop, Reggae und deftigen Punkrock abwechseln, passt sogar ganz gut ins Fanbild. Überwiegend jung, aber vor allem abwechslungsreich, so lässt sich die Anhängerschaar beschreiben. Das Bild von einem Geschäftsmann im adretten grauen Trenchcoat, der sich angeregt mit einem ziegenbärtigen Rocker mit GNWP-Shirt (GNWP-Good Night White Pride), ist wahrlich kein Ungewöhnliches.

Auch Hansa-Fans haben sich in den illustren Anhang gemischt.  Nichts das erste Mal, wie einer dieser Vertreter berichtet: „Auch der RFC ist Rostock. Außerdem ist hier immer gut was los- das alles etwas links geprägt ist stört mich überhaupt nicht.“ Ein anderer, noch von der traurigen Miene des Vortags gekennzeichnet, ergänzt fast ein bisschen stoisch: „Hier bekommt man wenigstens noch was geboten.“

Mit dieser Aussage sollte der als Letzteres zitierte Zaungast richtig liegen, wenngleich der Spielverlauf aus Sicht der RFC-Sympathisanten unerwünschte Konturen annimmt. Die Sievershäger sind nämlich das, was die Rostocker zu diesem Zeitpunkt noch nicht sind: Kaltschnäuzig.

Binnen weniger Minuten schlägt es dreimal ein, unter anderem verwandeln die Gäste auch ihren zweiten Elfer des Tages. Für die optisch überlegenen Gastgeber scheint der Tag ebenso gebraucht zu sein, wie das arbeitsscheue Mikro vom Vereinspräsidenten. Dieser schließt bereits mit der Partie ab, ein „das ist wie immer wenn es gegen Die geht“ klingt wie ein Ritterschlag für den ungeliebten Stadtrivalen.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Doch dann darf Greese noch einmal zur improvisierten Technik flitzen und den Klassiker des Synthie-Pops auflegen. Das 3:4 ist gefallen, die Schlussphase ist längst angebrochen. Ein wenig Hektik macht sich bei Greese  breit, die Liebe fürs Detail, vielleicht auch die Sehnsucht nach ein bisschen Bundesligafeeling und besonders die Leidenschaft zur Musik verlangt förmlich danach. Gleiches Bild wenige Minuten später. Der RFC hat es tatsächlich geschafft, zum vierten Mal an diesem verwehten Windnachmittag hallt der Song durch die Luft, den auch Celtic Glasgow bei erfolgreichen Torabschlüssen der Seinen auflegt.

Die Dramatik, die das Derby bis dahin bereits ausstrahlte, hat ihre Klimax noch lange nicht erreicht. Kurze Zeit nach dem Ausgleich fällt ein Sievershäger im Strafraum, die Pfeife des Schiedsrichters bleibt jedoch stumm. Durchschnaufen in den Reihen der RFC-Fans, wütende Proteste im gegnerischen Lager. Tiefes Durchatmen auch bei den Verantwortlichen.

Wenige Augenblicke später dann die Sensation. Eine Flanke von der rechten Seite senkt sich in den Strafraum, der eingewechselte Wullwage  köpft zentral Richtung Tor und der Ball ist drin. Jubelstürme auf Seiten der Gastgeber, doch die Anlage bleibt  auch dieses Mal  nicht stumm. Vereinspräsident und Tontechniker  Greese hüpft kurz am Seitenrand, dann jedoch der drei Sekunden Sprint zu Anlage und dann hallt ein letztes Mal „Just can`t get enough“ über die in nun Euphorie getränkte Kulisse. Klar, dass es  Greese nun endgültig zum Mitsummen zu Mute ist.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.