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Nord-Süd-Gefälle: Mythos oder Realität?

Seit dem Beinahe-Abstieg des HSV und erneuten Double-Sieg der Bayern prägt die Diskussion nach dem Wahrheitsgehalt eines finanziellen wie leistungsbedingten Nord-Süd-Gefälles alle Fußballforen, die nicht gerade einen Kreuzzug gegen die Einführung des Freistoßsprays führen. Als Mediator norddeutscher Fußballinteressen versuchen wir einen rationalen, „ergebnisorientierten“ Einblick in diese Diskussion zu liefern. Um die Reihe an relevanten Einzelaspekten einzugrenzen, konzentrieren wir uns auf einige ausgewählte Kriterien, die allesamt einen aktuellen Bezug aufweisen. 

Foto: hammoniaview.de

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Nimmt man sich das offensichtlichste Argument der Diskussion zuerst vor, scheint die Aufteilung der Mannschaften aus der südlichen Hälfte Deutschlands (gemessen an den Grenzen der Regionalligen) innerhalb der 1. bis zur 3. Bundesliga die klarsten Worte zu sprechen. Insgesamt treten 16 Profimannschaften aus dem nördlichen Teil der Republik gegen 28 Südvereine an. Ein Schein südlicher Dominanz, der allerdings trügt. Bereits ein Blick auf den Unterbau zeigt, wie ausgeglichen die sportliche Leistungsstärke in Deutschland ist. Sowohl in den Relegationsspielen um die 3. Liga (Sieger: RB Leipzig/Kiel 2013/14 – Großaspach/Mainz II 2014/15) als auch in den A-Juniorenmeisterschaften (Wolfsburg 2013 – Hoffenheim 2014) wechselt fast jährlich der Sieger seine regionale Zugehörigkeit. Auch in der Junioren-Leistungstabelle, welche über die Anzahl der Startmannschaften zu den Meisterschaftsspielen entscheidet, sind mehr Nord- als Südvereine vertreten (7 zu 5 Teams).

„Der Fußball ist von Phasen geprägt, bei denen es immer um eine Menge Kleinigkeiten geht. Nicht zuletzt bestimmen starke Jahrgänge, ob und in wie weit auch die Heimatvereine davon profitieren, den Erfolg einer Region“, so Uwe Jahn, Verbandstrainer des Hamburger Fußball Verbands, der sich vornehmlich der Talentförderung widmet.

Als nächstes hört man häufig den Einwand: „Aaaaber das Geld“. Bevor die ewig-junge Debatte um die Weisheit „Geld schießt keine Tore“ eröffnet wird: Zugegeben, die Bayern sind finanziell von keinem Nordklub einzuholen und die Reserven des 1860-Investors Hasan Ismaik sind ebenso nahezu unbegrenzt. Doch auch hier scheinen mit dem VfL Wolfsburg und der Mateschitz-Kreation RB Leipzig die Fackelträger des finanziellen Ausgleichs im Profigeschäft gefunden.

Uwe Jahn erklärt warum es selbst dieser aufstrebenden Regionalgrößen nicht unbedingt bedarf, um die Diskussion für die obersten Ligen ad absurdum zu führen: „Im Profibereich gibt es diese regionalen Unterschiede schon nicht lange nicht mehr. Allein die Anzahl an ausländischen Spielern, der Abstand zu den Amateuren, die langjährigen Erfahrungen im internationalen Geschäft – die werden und wurden bereits beim HSV ebenso gemacht wie bei Bayern München.“

In Liga Zwei ist es RB Leipzig beziehungsweise ihre Europa-Sektion, die eine Fairness-Debatte weg von Norden gegen Süden hin zu Red Bull gegen alle anderen gelenkt hat. Obwohl die Führungsetage von RB keine Einsicht in das reine Leipziger Etat zulässt, dürfte mit keinem niedrigeren Budget gerechnet werden, als er nun bei Red Bull Salzburg vorzufinden ist (60 Millionen – im Vergleich Bayern 2013/14: 140 Millionen; Wolfsburg 50 Millionen). Nun bringt der Kenner des Amateursports zum Besten, dass auch den Regionalligen des Südens finanzstärkere Vereine angehören als ihre Pendants im Norden und dass deren U23 Mannschaften mehr Geld in den niederklassigen Fußball spülen.

„In ganz Deutschland wird gute Arbeit im Bereich Nachwuchs und Talente geleistet, da ist kein Unterschied auszumachen. Von Rostock bis München werden dieselben Grundkonzepte studiert und die gleichen Zertifikate bestanden“, beschreibt Thomas Wolter, sportlicher Leiter des Nachwuchsleistungszentrums von Werder Bremen, die Situation in den Nachwuchsleistungszentren.

Nun mag der Vertreter norddeutscher Argumentationskunst eine Kausalkette vorbringen, die dem Totschlagargument zumindest nahe kommt: Jährlich sinkende Zuschauerzahlen (von 2009: 1.200 auf 2013/14: 600 im Schnitt gegenüber Regionalliga Südwest: 2009: 1.300 auf 2013: 1.270), schwächere Transferinvestitionen und weniger Mitgliedseinnahmen = zwangsläufig niedrigere Gesamtmarktwerte (RL Nord: 25,58 Mill. Zu RL Südwest: 30,55 Mill.).

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Und doch ist dies keineswegs ein Eingeständnis sportlicher oder sportpolitischer Ineffektivität. Viel eher zeigt es, dass die norddeutschen Verbände, Vereine und Verantwortlichen in der Jugendarbeit ganze Arbeit leisten, um diesen vermeintlichen Nachteil wettzumachen. „Wir müssen einfach ein wenig kreativer sein als im Süden, die Größe der Städte und Länder im Süden können wir mit guter, fleißiger Arbeit auffangen. Am Ende bleiben es meist Nuancen, welche Region den A-Jugendmeister oder mehr Nationalspieler stellt“, fasst Wolter zusammen.

Beispielhaft dafür ist für den Amateurbereich das, in Relation zur Verbandsgröße, gute Abschneiden der Hamburger Auswahl beim diesjährigen Sichtungsturnier in Duisburg. Für die Nachwuchsarbeit im Profibereich spricht auch das gute Abschneiden und furiose Aufspielen von Spielern wie Davie Selke oder Hany Mukhtar bei der U-19 Europameisterschaft. Ebenso weist die Liste an Insolvenzanträgen und zahlungsunfähigen Vereinen eine vergleichbare Anzahl an Nord- wie Südvereinen auf: Vom Lüneburger SK, Aachen, Osnabrück, Offenbach, SSV Reutlingen, Preußen Hameln, Eintracht Bad Kreuznach bis zum SV Wilhelmshaven.

Vorerst bleibt uns also folgende Beobachtung: Es macht den Anschein, dass keine nennenswerte „regionale Disparität“ in der fußballerischen Leistung besteht. Weder befindet sich eine ausbildungstechnische Kluft innerhalb der Beletage noch haben sich Talentgewinnung und finanzielle Entwicklung in den Grassroots des Fußballs weiter voneinander entfernt. Und doch muss der Gedanke der Ungleichheit von irgendwo kommen … vielleicht war es ja früher anders.

Richard Hill