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Björn Nadler: Wenn die Waschstraße nicht wär.

Björn Nadler ist so etwas wie der Star des Regionalliga-Auftaktes. Ein Spieler, der aber nicht erst seit Norderstedt so richtig durchstartet. Aber ein Akteur, der mehr als Regionalliga kann. Ein Portrait über eine Waschstraße, Worte seines Jugendtrainers und den Witzen eines Teamkollegens.

Foto: noveski.com

Es war mit Sicherheit einer der schönsten Tage im Sommer. Nicht nur vom Wetter her, sondern auch fußballtechnisch. Ein reisefreudiges Potpourri, bestehend aus den kulinarischen Perlen des norddeutschen Fußballs. In Kiel, bei  Holstein-Trainer Karsten Neitzel, war es edel. Beim Test Norderstedt gegen Rugenbergen deftig und am Abend wurde es in einer miefigen Soccer-Halle auf zerlatschtem Kunstrasen in Bönningstedt so richtig rustikal charmant.

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In Erinnerung blieb mir dabei neben dem verschorften Schienbein und dem Neitzel-Interview  vor allem ein Spieler. Ein Akteur, dessen Spiel mich faszinierte. Die Eleganz am Ball, die leichtfüßige Klasse, wenn er mit kreisenden Bewegungen die Gegenspieler ausstiegen ließ. Na gut, es war Rugenbergen, könnte man meinen. Ein Oberligist, der gegen den Ex-Oberligisten und längst etablierten Regionalligisten eine erwartete Lehrstunde bezog. Aber dennoch sprang einem das Talent des Zwanzigers förmlich an. Einen Fußballer, den man als Rostocker nicht allzu oft serviert bekommt. Positive Eindrücke, die Rugenbergens Harry Jurkschat bestätigte, ohne vorher gefragt worden zu sein: „Der Nadler, Hannes, achte auf den Nadler.“

Björn Nadler war es also, der immer wieder Gefährliches kreierte, ohne dabei wirklich bemüht auszusehen. Den Namen kannte ich nicht, sagte mir rein gar nichts. Ohne Jurkschat wäre er wohl vorerst als „Zwanziger“ gespeichert worden.

Dabei kommt man zurzeit an dem Namen Nadler nicht vorbei. Zumindest, wenn der Blick auf die Regionalliga-Nord fällt. Mit vier Toren aus fünf Spielen führte der 28-Jährige die Torschützenliste zwischenzeitlich im Alleingang an, schoss dabei die für gute Defensivqualitäten bekannten Mannschaften aus Meppen und Lübeck fast im Alleingang ab. Nadler traf bereits jetzt einmal mehr als in der gesamten Vorsaison. Und das nicht in der Manier eines Abstaubers, sondern vielmehr in einer Reihe von sehenswerten Abschlüssen.

Dass er auch als Torvorbereiter bereits in Erscheinung trat, reift dabei fast zur Makulatur. Ist sie aber nicht, denn durch die sechs Scorerpunkte war Nadler an fast allen der ersten sieben Tore beteiligt. Eine noch junge, aber nichtsdestotrotz formidable Quote. Eine, die der Bilanz an guten Hitchcock-Filmen ähnelt.

Von großen Lobpreisungen will der gebürtige Hamburger dennoch nichts wissen, von Hitchcock-Vergleichen ganz zu schweigen: „Wir haben bisher als Mannschaft gewonnen, als Mannschaft verloren. Ohne Teamkollegen hätte ich noch kein Tor geschossen“, erzählt der gebürtige Hamburger im gelassenen Tonfall. Es ist keine überraschende Aussage, die, wie bei solchen Antworten üblich, zwischen Altruismus und Bescheidenheit schwankt.

Bodenständig ist der Linksaußen tatsächlich, wenn man den Aussagen ehemaliger und aktueller Wegbegleiter Glauben schenkt. Wie Jens Peaßlack zum Beispiel, der Nadler bei Germania Schnelsen trainierte: „Er ist ein ganz feiner Junge. War vielleicht aber ein wenig zu ruhig, wollte nicht genug. Man kann ihn vielleicht als faul bezeichnen, den bequemen Weg bevorzugend.“

Paeßlack, dem zu seiner aktiven Zeit der Sprung ins besser bezahlte Fußballgeschäft gelang, muss es wissen. Er trainierte den versierten Offensivspieler in seiner erfolgsreichsten Oberliga-Hamburg Zeit. Anfang der Saison 2011/12 dominierte Schnelsen den Saisonstart in federführender Manier mit, errang in den ersten neun Spielen 20 Punkte. Nadler überragte. Er war der Star.
Ein Star, den sich Schnelsen einiges Kosten ließ, wie Gerüchte besagen. Von einem gestellten Auto der besseren Klasse und einem für die Oberliga-Hamburg fürstlichen Salär war die Rede. Vergütungen, die Nadler die Oberliga-Hamburg schmackhaft machten.

Der Zwanziger selbst bereut derweil nicht zu lange in Hamburg geblieben zu sein und mögliche Aufstiegsoptionen verpasst zu haben: „Ich bin nicht unglücklich, wie es gelaufen ist. Ich genieße seit Jahren das Privileg auf professionellem Niveau Fußball zu spielen, das darf man nicht vergessen. Vor allem, weil ich ja immer wieder Umbrüche durch meinen Auslandsaufenthalt und den vielen Verletzungen zu verkraften hatte.“

Dennoch klingt das Urteil seines langjährigen Beobachter klar: „Björn ist eigentlich der geilste Kicker in Hamburg. Zum Fußball gehört aber mehr als Talent. Und wenn ich zurzeit so höre und lese, dann scheint er es begriffen zu haben. Er kann und muss eigentlich noch eine Liga höher spielen“, so Paeslack, der seinen ehemaligen Schützling einem Vergleich mit Walter Laubinger aussetzt.

Für Nadler gemischte Aussagen, wie er lächelnd erklärt: „Naja, ich würde schon sagen, dass ich immer Gas gegeben habe.“ Nach einer kurzen Pause, es deutet sich bereits ein Grinsen an, kommt aber noch ein Nachsatz: „Man braucht aber ja auch mal Pausen, oder?“

Paeslacks kritische Worte, allerdings reichlich mit wohlwollender Intention portioniert, stellen aber nicht die Regel dar. Viel mehr dominiert Lob und Respekt. Ohne den zarten Teint von Kritik, vor allem bei einstigen Gegenspielern. Wie bei Marcel Gottschalk, einem Mittelfeldprügel der alten Garde: „So einen guten Fußballer wollte selbst ich nie umhauen. Seine Technik ist bewundernswert – auch für Gegenspieler. Wenn es einen 1gegen1-Spieler in Hamburg gibt, dann ist es Björn Nadler.“

Das erkannte besonders früh Jugendtrainer Alfred Cohn. Der immer noch bei SCALA werkelnde Fußballenthusiast war der erste Trainer von Nadler, damals noch bei der TuS Alstertal, bevor sich Nadler im HSV-Nachwuchs beweisen durfte und seine fortwährende fußballerische Ausbildung erfuhr. Dieser erinnert sich an einen jungen Spieler, der deutlich besser war als alle anderen. Der bereits in seiner ersten G-Jugendsaison über 40 Tore schoss, damit einen horrenden Anteil an der Teamquote verzeichnete. Alfred Cohn gegenüber BLOG-TRIFFT-BALL: „Er war schon besser als alle anderen in seinem Alter. Um das zu sehen, musste man auch kein Fußballexperte sein.“

Das es in den höherklassigen Fußball einmal gehen würde, war bereits damals absehbar. Das es „noch“ nicht für ganz oben gereicht hat, begründet Cohn mit dem fehlenden Ausbruch aus der Komfortzone: „Er hätte Hamburg verlassen müssen, als es die Möglichkeit dazu gab. Dann wäre noch viel mehr drin gewesen. Aber was heißt hier mehr: Man kann auch so auf ihn stolz sein, bei allem was man so über ihn liest“, so Cohn, während des Gespräches in einer leicht bewegten Reminiszenz an alte Zeiten verweilend.

Angeblich gab es sogar diese große Chance auf den Ausbruch in die weite Fußballwelt. Im frischen Herrenbereich, im Alter von 18-19 Jahren, soll es gar ein Angebot von Werder Bremen gegeben haben, wie es in der Hamburger Fußballszene gerüchtet. Nadler blieb in der Hansestadt und verpasste vielleicht die größte Möglichkeit auf den Eintritt in das ganz große Establishment.

Die Dritte Liga, eine Spielklasse, die umkämpft wie selten ist, bietet viele Spieler, die schwächer als Nadler spielen, nicht die Eleganz und geschmeidige Wucht besitzen, mit der die Spielweise des Linksfußes gerne skizziert wird. Es ist das Alter, welches sich als am sperrigsten für den weiteren Weg erweisen könnte. Ein 21-Jähriger von ähnlichem Format ist attraktiver, könnte ja noch eine ganz dicke Nummer werden und bietet zudem – in der Regel – athletische Vorzüge. Mit 28, so wirkt es zumindest bisweilen, ist man derzeit schon in der Vorstufe zum „alten Eisen“ angekommen.

„Altes Eisen“ ist eine Redewendung, die Deran Toksöz ein beherztes Lachen entlockt. „Björn, altes Eisen? Im Vergleich zu mir vielleicht“, scherzt der Norderstedter Teamkollege. Toksöz ist eine Art defensiverer Nadler im Mittelfeld. Ein weiterer Star. Ein Spieler, den die Scouts nach einer starken Rückrunde auf den Zetteln haben.

Dabei wirkt die Situation zwischen den beiden Spielern grotesk. Während Nadler, der Endzwanziger, von unten kommt, schlug Toksöz die entgegengesetzte Richtung ein, obwohl er deutlich jünger ist. Bei Holstein Kiel spielte der zentrale Mittelfeldmann nämlich bereits drittklassig. Etwas, was er auch Nadler zutraut: „Natürlich, könnte er da mitkicken. Keine Frage. Aber erstmal müsste er mich auch mal ausspielen können.“

Nadler selbst backt kleinere Brötchen. Im Fokus: Der Saisonstart mit Norderstedt. „Viel eher die angepeilten Punkte als der Ausbau des eigenen Tore-Kontos“, wie er mit Nachdruck bekennt. Der Traum lebt aber dennoch weiter, wie der in Hamburg lebende Offensivmann nach dem Reüssieren über die Goslars und Lübecks der Liga irgendwann auch anspricht. „Natürlich wäre das noch einmal ein Ziel. Welcher Spieler träumt nicht davon, mal ins größere Geschäft einzusteigen? Gegen größere Vereine zu spielen. Was zählt, sind aber nicht die Träume, sondern die Spiele unserer Mannschaft.“

Neben dem reifen Fußball-Alter gesellt sich ein weiterer Faktor auf die Kontra-Seite etwaiger Drittligaambitionen. Nämlich der des Hauptberufs. Der Norderstedter führt selbständig eine Waschstraße in Hamburg-Stellingen, ist beruflich und familiär sehr an die Elbmetropole gebunden. Bekennt aber trotzdem mit einem Hauch von Humor: „Man muss immer abwägen, was kommt. Wenn Unterhaching anfragt, wäre es ja schwer die Waschstraße mitzunehmen. Es muss schon vieles gut zusammenpassen. Ich selber hatte ja immer Holstein Kiel als einen Verein auserkoren, der besonders interessant sein könnte.“

An der Förde absolvierte er vor geraumer sogar einmal ein Probetraining – vergeblich. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, die Kieler im diesjährigen Sommer-Test sechzig Minuten lang zum Narren zu machen, wie damalige Zaungäste, mit noch immer staunendem Zungenschlag, berichten. Ein kleines, aber doch besonders süßes Bonmot aus der manchmal ziemlich kleinen Hamburger Fußball-Welt.

Tatsächlich aber, so scheint es, wäre Norderstedt die sicherste Option für die dritte Liga. Vielen Spielern, auch älteren, gelang auf diesem Weg der erstmalige Aufstieg in die Sportschau der ARD über den Höhenflug eines vermeintlich kleinen Vereins.
Aufstieg. Ein Wort, das in Norderstedt noch nicht zum Alltagsvokabular gehört. Nicht einmal in nuancenhaften Andeutungen zu vernehmen ist. Eine bodenständige Herangehensweise, der sich auch Nadler anschließt: „Ich glaube, über sowas müssen wir nicht reden. Wir denken daran noch nicht und es entspricht nicht unserer Zielstellung. Wir sind einfach froh mit neun Punkten gestartet zu sein.“

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Dabei könnte sich im nächsten Jahr eine Veränderung ergeben, denn der Kontrakt des Zwanzigers läuft aus, Interessenten aus der Regio-Nord könnte es nach jetzigem Stand zuhauf geben. Einen Abschied aus Norderstedt deutet er allerdings nicht an. Im Gegenteil. Er spricht sogar von einem längeren Verbleib: „Ich fühle mich wohl und könnte mir natürlich einen Verbleib vorstellen. Hier wird sehr professionell gearbeitet, man hat Freude am Kicken und ich fühle mich schon erfüllt. Allerdings weiß man ja nie, was sich vielleicht irgendwann ergibt.“

Auch wenn sich nichts ergibt, so scheint es, erlebt man einen zufriedenen Björn Nadler. Jemand, der verpassten Chancen nicht hinterhertrauert. Der Spaß am Kicken hat und Freude an einer Liga empfindet, in der er ganz oben mitspielt. Mannschaftlich und individuell.

Das ist weit mehr als unzufrieden zwischen Kiel und Unterhaching zu dümpeln.
Egal wie es ausgeht, sicher ist nur eins: Die Regionalliga-Nord hat die nötige Nadler-Würze und schmeckt mit ihr um einiges besser. Auch, wenn die viertklassige Liga lange nicht die edelste Varianz im deutschen Fußballkonstrukt darstellt.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.