Top

Woike: „Der Meister muss vom Verband unterstützt werden.“

Das HSV-Trainingsgelände in Stellingen. Wir sind verabredet mit Joe Zinnbauer. Am Zaun stehend, beobachten wir die letzten Züge der Trainingseinheit, dann kommt „Zinne“ mit seinem Golfwagen angedüst. Kurz dahinter, zu Fuß stolzierend: Condors Trainer Christian Woike.

 

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Der Oberligacoach mit der Raute auf der Brust. „Praktikum?“, frage ich und Woike antwortet: „Ja, Joe will wissen, wie man soviel Unentschieden spielt.“ Was dann, nach dem Zinnbauer-Interview folgt, ist wildes Abfeuern sämtlicher Thematiken. Über den SC Condor, die Oberligaschwachstellen und viele andere Themen im flotten Wechsel. Männergespräch eben.

Christian, Nase voll vom Magerstart, nun wird externe Hilfe beim HSV geholt?
Mein Anliegen grundsätzlich war, dass ich wissen möchte, wie ich in der folgenden Trainingswoche auf das Spiel vom zurückliegenden Wochenende reagieren und trainieren kann. Das hat mir bis hierhin schon viel geholfen. Ich nehme ja nicht am Training teil, sondern bin Beobachter. Wir sprechen vor dem Training alles durch und Joe sagt mir, was er erreichen will mit dem Training, macht mich phasenweise zum Schüler und fragt mich nach dem Sinn der Übungen, ohne das Gefühl entstehen zu lassen, dass der eine der Geile und der andere der Lehrling ist. Er fordert und fördert mich. Das wollte ich aber auch.

Eine Woche ist vorbei. Was bleibt kleben?
Dass die U23-Spieler alle Profis sind. Hier studiert keiner, keiner arbeitet. Die bereden nach dem Training, wohin sie in die Stadt fahren und ich muss dann zu meiner eigentlichen Arbeit. Außer dem Joes extrem gute Vorbereitung. Und, dass er sich aus vielen Einheiten zurückzieht und beobachtet. Also gut vorbereitet bin ich auch, aber Dinge vorher noch klarer besprechen wie lange beispielweise gelacht werden darf in einer Übung und wann es ernst zugehen muss. Das nehme ich mit.

Und nun erlebt der SC Condor einen völlig neuen Woike.
Ich glaube nicht, dass ich mich nun groß verändere. Ich bin da eher die Holzkuh. Aber es hilft unheimlich weiter. Man macht ja grundsätzlich immer erst einmal das, was man selbst erlebt hat. So kriege ich nun immer wieder mal andere Ansatzpunkte. Es ist eben vieles nicht mehr zeitgemäß von damals. Die Medizinballzeit ist vorbei. Das ist schon interessant, in welche Richtung sich der Fußball entwickelt.

Reflektiere Deine aktive Fußballzeit mit der als Trainer nun. Du bist ja quasi noch ein Trainerküken.
Als Spieler war ich faul. Als Trainer bin ich deutlich fleißiger. Als Spieler war ich bekloppt, als Trainer bin ich noch viel erfolgsbesessener. Nach Niederlagen als Spieler habe ich normal geschlafen und mir gesagt: „1:4 verloren, mir doch egal. Hauptsache ich hab getroffen.“ Als Trainer geht’s mir den ganzen Tag schlecht und auch noch einen zweiten Tag dazu. Das bereue ich heute zwar, dass ich diese Tugenden damals nicht hatte, aber umgekehrt wäre es wohl schlimmer.

Woran liegt dieser Wandel?
Am Anfang habe ich den Trainerjob gemocht, jetzt liebe ich die Arbeit. In den letzten 12-15 Monaten habe ich einen deutlichen Kick bekommen und will viel mehr wissen. Das geht soweit, dass man sich mittlerweile fast ausgebremst fühlt. Ich würde gerne wissen, ob mein Training wirklich etwas bringt, würde gerne Leistungstests machen und habe ganz viele Ideen, die auf unserer Ebene aber leider nicht umsetzbar sind. Zum anderen ist es die Befriedigung im Spiel, wenn man sich etwas vornimmt und das dann klappt. Das gibt Kraft.

Sorry Christian, aber ich hätte nie gedacht, dass Du solche Ambitionen hast.
Ich träume nicht, aber ich will bei allem die Grenze kennenlernen. Auch als Trainer. Durch Praktika beispielweise sehe ich, wie es höher abgeht. Das ist schon anderes Training und ich sehe dadurch, ob ich die Lust behalte. Ich muss für mich feststellen, ob ich die menschlich deutlich höhere Distanz zu Spielern haben möchte als im Amateurbereich. Aber auf Sicht will ich das ausreizen. Ich will zur A-Lizenz. Und ich will in dieser Branche was tun, das steht fest. Nur wo die Grenze ist, werde ich sehen.

In der Oberliga ist die Grenze dort, wo die Harmonie aufhört.
Als Spieler wollte ich auch immer Harmonie. In unserer Arbeit mit Amateuren ist und bleibt das schon wichtig. Aber als Trainer musst du dich verändern. Ich hasse Schludrigkeit. Und wenn man die Zeit der drei Trainingseinheiten unter der Woche nicht nutzt, braucht man sich am Wochenende nicht zu wundern. Also zuviel Harmonie brauche ich nun auch nicht, ich will Leistung. Dafür verzichte ich dann auch mal auf Harmonie.

Harmonie setzt sich doch aber auch irgendwie mit Anspruchslosigkeit zusammen. Muss doch alles schön sein für einen Oberligaspieler. Setzt man Anspruch, kokettieren viele Spieler schnell mit einem Wechsel.
Ich glaube, dass viele sich grundsätzlich überschätzen und vielen fehlt ein sportliches Ziel. Da sind die Ziele eher, dass man nicht zu spät zum Treffpunkt kommt, um keine Strafe zu kassieren oder ab und zu mal ein Tor zu schießen, um seiner Freundin Zeitungsartikel hinlegen zu können. Unsere Triebfeder sind Topspiele gegen Altona und Derbys, aber der innere Antrieb fehlt schon irgendwo.

Letztlich sind auch die Vereine schuld, der die Spieler auf Anspruchlosigkeit drillt. Weil die Saison schon vor dem 1. Spiel zur Bedeutungslosigkeit erklärt wird. Thema Aufstieg. Wir melden nicht. Und im Pokal will man möglichst weit kommen. Das war’s doch dann meistens schon mit den „Zielen“.
Nicht nur der Verein, auch der Verband. Der Erste sollte aufsteigen müssen und vom Verband unterstützt werden. So braucht man sich nicht wundern, dass jeder nur auf den Pokal guckt. Wenn man Meister wird und aufsteigen will, wofür man so rund 250.000 Euro braucht, dann gibt’s 100.000 Euro vom Verband oder woher auch immer und dann findet vielleicht auch ein Umdenken bei Vereinen und Spielern statt. Der jeweilige Landesverband und auch der DFB müssen sich Gedanken machen, warum Vereine wie Dassendorf, die unglaublich viel investieren, aber von vornerein nicht aufsteigen wollen, sich sagen: Meister gerne, aber noch lieber Pokalsieg. Es ist doch echt dramatisch, dass heute schon jeder weiß, dass Victoria Achter werden kann und aufsteigt. Das sollte man ebenso verbieten. Wer sich sportlich nicht qualifiziert, sondern nur auf wirtschaftlicher Basis, hat eine Liga höher nichts zu suchen. Das wäre ja auch für Hamburg wieder ein ganz anderes Niveau.

Auch so ein Thema: Diese Oberliga ist ja keine Oberliga, sondern eine Verbandsliga. Folglich sehen wir nicht den Fußball der draufsteht.
Ich muss auch sagen, dass es fußballerisch schon bessere Zeiten gab. Ich finde es dieses Jahr extrem athletisch und physisch. Dafür habe ich kaum gute Fußballspiele gesehen. Ich hoffe, dass das nur eine Momentaufnahme ist und die Teams die eingepumpte Kraft der Vorbereitungsphase demnächst in Spielfreude umwandeln.

Kommen wir zu Deinem Saisonstart. Nun sag nicht, Du bist zufrieden.
Die Frage passt gar nicht zu BLOG-TRIFFT-BALL.

Warum?
Ich hatte mich auf „Ist das ein Fehlstart, Herr Woike“, vorbereitet.

Ist das ein Fehlstart, Herr Woike?
Na ja, also ich bin nicht zufrieden, das ist ja klar. Dass wir unnötig Punkte haben liegen lassen, ist die eine Sache. Viel bedenklicher finde ich aber, dass wir es in keinem Spiel geschafft haben, mal länger als 60 Minuten gut zu spielen. Das macht mich hochgradig unzufrieden. Immer nur dann, wenn das Wasser bis zum Hals steht, fangen wir an, Sachen, die wir tausend mal im Training gemacht haben, richtig zu machen.

Wir sind enttäuscht. Nie war der Kader größer. Nie breiter. Nie besser.
Meine Einschätzung ist schon, dass der ein oder andere sich in der letzten Saison verliert, die ja ganz okay war. Getreu dem Denken: Irgendwann wird es schon losgehen. Aber, und das habe ich der Mannschaft vor der Saison gesagt, gehören wir jetzt zu den Gejagten. Vielleicht kommen damit einige noch nicht zurecht. Ich lasse meine Spieler sich seit kurzem selbst benoten. Das schwirrte mir lange im Kopf und nun mache ich es. Und was man da aus Selbstbild und Fremdbild mitnimmt, ist schon erstaunlich. Hinzu kommt aber außerdem, dass wir zum Saisonstart 13 fitte Spieler hatten. Flores, Winkel, Kamalow, Mellmann, Flores, Kieckbusch fehlten, das können wir nicht kompensieren.

Der Gurkenstart war also eingeplant?
Nein. Ich habe schon einen anderen Anspruch. Alle, die dann gespielt haben, wollen ja trotzdem Oberliga spielen. Aber da sind wir wieder bei der Frage vorhin: Ist der Spieler anspruchslos? Fakt ist doch, wenn der Spieler keinen Gegenpart hat, der von hinten drängelt, dann spielt er gut. Aber eben mit 86% gut. Und dann spielst du eben Unentschieden. Jetzt ist der Kader voll. Und jetzt merke ich die andere Stimmung im Training. Jeder ist auf einer ganz anderen Engagement-Stufe. In den nächsten drei, vier Wochen werden wir aus dem Quark kommen.

Und falls nicht, wird der Pokal wieder zum Notnagel. Wie letztes Jahr.
Also wir sprechen von einer ordentlichen Saison, wenn wir 60 Punkte haben. Ist immer noch abgedroschen, aber wir haben das in den letzten zehn Jahren nicht geschafft. Das ist unser Anspruch. Und nicht, sich mit Überteams wie Dassendorf zu messen. An den Pokal denke ich da gar nicht. Eher an das verlorene Finale letztes Jahr. Das hängt schon noch im Kleid. Es gibt genug Momente, wo ich daran denke. Wenn ich ein paar Lieder höre, die wir damals in der Vorbereitung hörten, wird man schon nostalgisch. Allerdings ist da keine Wehmut in mir, sondern Aggressivität. Ich habe zu meiner Frau gesagt, dass ich nicht vorher aufhöre, bevor ich das Ding in der Hand halte. Das ist für mich eine unvollendete Geschichte. Wie 200 Euro ausgegeben und nicht besoffen geworden. Und ich möchte diesen Tag gerne noch mal erleben, weil ich glaube im Vorfeld einiges falsch gemacht zu haben. Ich war zu akribisch, war nicht souverän wie in der Saison. Das habe ich an mir selbst gemerkt. Die ganzen Analysen waren vielleicht zuviel Input für die Spieler in dem Moment. Zu viel neu, zu überzogen. Das war falsch.

Zurück zu dieser Saison. Ist es positiv oder negativ, dass alle Spieler wieder an Bord sind? Stichwort Harmonie.
Vor ein, zwei Jahren hätte ich mir in diesem Fall gewünscht, dass drei, vier Spieler entführt werden, damit ich die Entscheidung nicht treffen muss. Mittlerweile ist es mir scheissegal. Es gibt jetzt Härtefälle, aber ich stelle mir den Kader so zusammen, wie ich ihn am Wochenende brauche. Der Spieler vergisst ja unheimlich schnell. Positiv wie negativ. Bonbons zu verteilen lohnt sich kaum noch, da ein Spieler das ein paar Tage später schon nicht mehr im Kopf hat. Also entscheide ich jetzt taktisch. Wir haben jetzt 20 Leute im Training und für mich ist es ein Traum, auf das Wochenende hinführend entscheiden zu können.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Was wir Dir dennoch zugute halten müssen: Der SC Condor ist in Deiner Amtszeit erkennbar fußballerischer geworden.
Ich hoffe. Das war mein klarer Wunsch. Und ich muss dem Verein danken, dass sie mir bei der Kaderzusammenstellung freie Hand gelassen haben und ich jeden Spieler, den ich haben wollte, auch bekommen habe. Ich wollte diesen Stil-Wechsel. Weg von langen Bällen hin zu gutem Fußball. Wir müssen nur noch die Mischung zwischen Alt- und Neu-Condor finden.

Nachdem wir Dich letztes Jahr zum Rapport geblasen haben („Außer Flores viel Kokolores„), lief es deutlich besser. Das erhoffen wir uns nun auch und Du beendest das Gespräch: Wenn wir uns im Winter erneut treffen, dann…
.. hoffe ich, dass ich zufriedener bin als heute, wir uns stabilisiert und entwickelt haben, und ein ausgewogener Woike vor dir sitzt, der punktemäßig auf Level ist.

„Crille“, ich danke für das starke Gespräch.

Harry Jurkschat

Seit Gründung mit auf dem brennenden BTB-Rasen. Im Gegensatz zu Semmler ist Jurkschat smart. Eine Mischung aus Mehmet Scholl und Günter Netzer. Der ewig 31-Jährige Insiderexperte harmoniert sich von Meppen bis Kiel, ist der Ausbügler und Staubsauger in der 2. Reihe. Dazu kommt aufgrund internationaler Fussball-Erfahrung (6 Länderspiele für Deutschland) Know-How im Wesentlichen. Manko: Bisweilen zu symphatisch und häufig mit den Sekretärinnen beschäftigt.