Top

Grau statt braun: St. Pauli verliert Farbe

Neu-Pauli-Trainer Thomas Meggle hat nach unzähligen Jahren im Verein braunes Blut in seinem Körper und steht damit in guter Tradition von Andreas Bergmann und Holger Stanislawski. ► Pro und Kontra dieser Verpflichtung wurde auf BTB hier ausgiebig diskutiert. Doch reicht ein Trainer mit Pauli-Herz alleine aus, um den Verein wieder zu beleben? Blogger Nils Aschhoff hat sich Gedanken gemacht.

 

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Rachid Azzouzi hat inzwischen sechs Jahre als sportlicher Leiter in der 2. Liga verbracht. In seinen zwei Jahren in Hamburg hat er dabei fortgeführt, was er bereits in Fürth gezeigt hat: Er ist in der Lage, mit eher bescheidenen Mitteln passable Zweitligakader zusammen zu stellen. Dabei hat er ein Auge für Spieler von Ligakonkurrenten, die er für Höheres berufen sieht und für Kader- und Tribünenfüller von Erstligisten, deren Potenzial in der zweiten Liga besser aufgehoben ist. Auch der aktuelle Kader des Hamburger Zweitligisten trägt diese Handschrift. Mit Florian Kringe, Markus Thorandt und Philipp Heerwagen sind gerade drei Spieler über 30. Ansonsten ist der Kader jungspundig.

Azzouzis Transferpolitik trägt also eine klare Handschrift und wird auch unabhängig vom gerade aktuellen Trainer durchgezogen. Nur zu Pauli passt sie nicht zwingend. Oder besser gesagt: Es könnte auch die Transferpolitik jedes anderen Zweitligavereins sein. Doch lässt sich das mit den Ansprüchen und der Kadertradition Paulis vereinbaren? An dieser Stelle soll gar nicht die Debatte eröffnet werden, ob Pauli tatsächlich noch der „etwas andere Verein“ ist, als der er gerne und häufig aus dem Klubumfeld und von den eigenen Fans, aber auch von den Medien und Fußballbegeisterten im ganzen Land, tituliert wird. Schaut man sich aber die Kader vergangener Jahre und Jahrzehnte an, war Pauli immer der Verein für Urgesteine und der Arbeitsplatz für „echten Typen“.

Auch als in den 90er und 2000er Jahren die Fluktuation der Spieler im Rest von Fußballdeutschland weiter anstieg und das Wappenküssen und Trikotzeigen immer mehr zu leeren Hülsen verkam, war bei Pauli, zumindest gefühlt, die Vereinsidentifikationein ein Stück weit höher als woanders. Auf dem Platz und im Kader standen Spieler, denen das Paulitum aus allen Poren zu sprießen schien und die damit selbst Teil der Vereinslegende wurden: Dammann, Stanislawski, Trulsen, Thomforde, Schultz, Eger, Lechner, Meggle. Die Grenzen zwischen Spielern und Fans, Verein und Stadt(teil) schienen dank solcher Spieler zu schwinden. Alle diese Spieler sind gute Fußballer, sonst wären sie nicht so weit gekommen. Doch hätten diese Spieler bei irgendeinem anderen Verein einen solchen Status erlangen können?

WIE IST EURE MEINUNG ZU DEM THEMA?

Was ist von diesem Typus Spieler, von diesen Identifikationsfiguren heute geblieben? Ebbers, Morena, Gunesch, Boll, Bruns, Pliquett sind weg – vom Alter, von Kaderzwängen oder von beidem wegrationalisiert. Das Paulitum kriecht heute maximal noch aus Kalla, Daube und Thorandt. Ansonsten besteht der Kader aus stromlinienförmigen Spielern mit Undercut und Modetattoo. Spieler, wie bei jedem anderen Verein auch. Spieler, die man sich auch in jedem anderen Teil der Republik vorstellen könnte, wie sie das Wappen küssen und ins Mikro nuscheln: „Dieser Verein ist etwas Besonderes, mit seinen Fans und dem ganzen Umfeld.“ Blablabla …

Dagegen tut die Vorstellung von Ralph Gunesch im Trikot mit den Ringen auf der Brust immer noch weh, selbst einem neutralen Beobachter wie mir.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Immerhin: Die Trainerbank ist mit Schultz, Hain und nun Meggle gleich dreifach mit Fußball-Kiez bestückt. Es wäre zu wünschen, dass auch der Kader wieder mehr nach solchen Kriterien besetzt wird.

Ein solches Vorgehen mag in der heutigen Zeit zwar anachronistisch wirken, doch hat gerade das viele Jahre zum „etwas anderen Verein“ beigetragen. Selbst, wenn der Erfolg dann weiterhin ausbleibt. Der Atmosphäre des Vereins und dem Selbstverständnis der Fans wäre damit Gutes getan.

Für Azzouzi würde dies ein Umdenken bedeuten, weg vom Spielertransfer nach Managerhandbuch hin zur Bewertung nach anderen Kriterien. Dass der sportliche Leiter sich in seinen Entscheidungen nicht von den Sehnsüchten nach der guten alten Zeit leiten lässt, ist ihm sicherlich hoch anzurechnen, doch etwas Reminiszenz an alte Zeiten wäre auch seinem Ruf zuträglich.

Nils Aschhoff

Der in Hamburg lebende Mecklenburger Nils Aschhoff schreibt in einem heiteren Stil auf BLOG-TRIFFT-BALL darüber, was er mag und was nicht. Und bloggt gelegentlich über den FC Hansa Rostock.