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Herr Jahn, muss der Hamburger Fußball nachsitzen?

Wer sich für die Talentsituation des Fußballnachwuchses im Hamburger Raum interessiert, kommt an dem Namen Uwe Jahn nicht vorbei. Seit 1996 hat der gebürtige Berliner ein Auge auf die Geschicke des Nordnachwuchses. Die Liste seiner Schösslinge liest sich dabei wie das Who-is-Who des jüngeren Hamburger Fußballs: von Karsten Bäron, Christian Rahn, den Kovac-Brüdern, Piotr Trochowski, Hakan Calhanoglu, Andre Hahn, Matti Steinmann. Wer also kann ein Nord-Süd-Gefälle besser einschätzen als der Fußballlehrer mit dem gewissen Händchen.

Herr Jahn, sehen Sie einen Unterschied in der Talentsituation im Fußball zwischen dem Norden und Süden der Republik?

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Die Gesamtsituation im Süden und Westen ist mit Sicherheit zu bevorteilen. Ein Vergleich auf der Verbandsebene ist aber auch schwierig, da sich Hamburg (rund 200 Vereine, die Jugendarbeit betreiben) mit Bayern (3500 Vereine oder Westfalen: 3000) nicht vergleichen lässt. Durch die völlig anderen quantitativen Verhältnisse hat man deutlich mehr Talente pro Jahrgang – wobei von diesen auch mehr oben ankommen. Eine andere Rolle spielen mit Sicherheit noch andere Faktoren wie: Witterung, die Rahmenbedingungen der Vereine, Qualifikation der Trainer, Platzsituation (Kunstrasenplätze) oder der Genpool der jeweiligen Region. Derzeit schaffen in der Tat mehr Hochtalentierte aus dem Süden und Westen der Republik den Sprung – die Nationalmannschaft ist dafür ein Spiegel dieses Prozesses.

Für Hamburger hört sich diese Bestandsaufnahme recht pessimistisch an.

Keineswegs. Ganz im Gegenteil konnte man im Norden seit zehn Jahren (DFB-Stützpunktprogramm und verbesserte Trainerausbildung) deutlich positive Veränderung registrieren. Aus der Sicht des HSV – sind wir deutlich konkurrenzfähiger geworden. Wie man es auch an den Sichtungsmaßnahmen des DFB (den Turnieren in Duisburg) sehen kann. Hatten wir früher etwa 6 bis 7 Spieler, die national in den Vergleichsspielen mithalten konnten, bezieht es sich inzwischen auf den ganzen Kader – wenn dann ab und zu auch noch ein einstelliger Tabellenplatz (bei den DFB-Turnieren) herausspringt, ist das für uns ein klarer Erfolg.

In welchem Bereich würden Sie den Hamburger Fußball zum Nachsitzen schicken?

Nachsitzen ist vielleicht nicht der richtige Begriff, aber Verbesserungsbedarf ist generell immer gegeben. Seit diesem Jahr arbeiten wir wieder mit beiden Nachwuchsleitungszentren (vorher gab es Probleme mit dem HSV) und es treten dabei zwei grundsätzliche Schwierigkeiten auf:

Erstens: Spieler werden zu früh geholt. (Bsp.: E-Jugendbereich oder noch früher)

Zweitens: Spieler werden zu früh in noch höhere Altersklassen gebracht.

Im ersten Fall wäre es klüger die Spieler länger in ihren Stammvereinen zu belassen und erst ab der Stufe C2 oder frühestens D1 zu holen. Eine Prognose, ob diese wirklich den Sprung schaffen werden, wird aber erst ab Bereich B2 deutlich präziser. Wir erleben teilweise, dass von 20 Spielern, die im E-Jugendbereich verpflichtet werden, zwei Jahre später noch drei oder vier Spieler dabei sind. Der Rest hat große Probleme mit der eigenen Situation und einige Talente hören sogar auf. Zu Punkt 2: Es gibt in den Zentren teilweise die Tendenz Ausnahmetalente zu früh in die höheren Altersklassen zu bringen – mit dem Ziel sie schneller zu entwickeln. In der Entwicklungspädagogik sagt man dazu: Wenn man am Gras zieht, wächst es auch nicht schneller. Es geht nicht darum, sich einer anderen Altersklasse anzupassen, sondern die größten Probleme entstehen bei diesen Spielern in der Eigenorientierung und Überforderung. Nehmen wir das Beispiel eines Hamburger Spielers aus der jetzigen U23 – der Junge hat in den letzten Jahren bei den Profis trainiert, hat bei der U23 trainiert und gespielt, ab und zu Einladungen vom Nationalmannschaftskader erhalten und am Ende der Saison U19 gespielt – das alles im Abitursjahr! Dass er nicht verglüht ist, ist ein Wunder. Dieses Beispiel zeigt, dass eine individuelle Betrachtung der Gesamtsituation für die Spieler das Wichtigste ist.

Wenn Sie nun einen Blick auf das Profigeschäft in der Bundesliga werfen?

Im Bezug auf unsere beiden Profivereine muss man festhalten, dass die Durchlässigkeit beim HSV geringer ist als beim FC St. Pauli – zumindest was die Kaderzugehörigkeit betrifft. Das dürfte auf der anderen Seite aber klar sein, da die Ansprüche auch höher sind. Interessant ist zurzeit die Entwicklung bei beiden U23-Teams, die positiv verläuft und Appetit auf mehr macht. Sprich: Das Sprungbrett zum Profibereich ist näher gerückt.

Wenn wir bei der Bundesliga bleiben, können finanzstarke Clubs wie der VFL Wolfsburg die Fußballstruktur im Norden stärken?

Grundsätzlich gibt es einen Zusammenhang zwischen finanziellen Grundlagen und erfolgreichen Teams. Bayern München, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen, Hoffenheim oder dem VFL Wolfsburg gehören zweifelsohne in diese Kategorie. Im Norden hat der VFL nicht nur durch das Profiteam, sondern auch durch gezielte Jugendförderung überzeugt. Da sind Fachleute am Werk, die das Know-how und das nötige Händchen besitzen, um Strukturen zu entwickeln und zu perfektionieren. Meine Hoffnung für den HSV wäre hier eine Kurskorrektur, die zumindest laut Dietmar Beiersdorfer auch angestrebt wird und mit der Installierung von Peter Knäbel als neuen verantwortlichen Sportchef beginnt.

Sehen Sie eine typisch norddeutsche Spielweise?

Zumindest ist es nicht lange her, dass es sie gab. Insbesondere beim Nachwuchs sah man bis vor einigen Jahren noch wo die Jungs herkamen. Wir hatten zum Beispiel im Verband kaum bis keine Kunstrasenplätze, erst seit 2002 sind Kunstrasenplätze entwickelt und bereitgestellt worden. Das brachte einen Rattenschwanz an sportlichen Konsequenzen mit sich. Nicht nur, dass aufgrund von schlechter Witterung viel mehr Spiele und Trainings abgesagt werden mussten. Vor allem die Technikentwicklung der Spieler litt auch darunter beziehungsweise gestaltete sich dadurch ein wenig anders. Wenn der Untergrund keine Zaubertricks zulässt, spielt man halt häufiger einfacher. Kick-and-rush war die typische Spielweise für unsere Region.

Im Norden finden wir also eher die archaischen Kämpfer als die filigranen Techniker?

Wir haben uns ganz sicher weiterentwickelt. In den Ausbildungsinhalten der Spieler zwischen 2004 und heute liegen Welten. Sowohl was das individuelle Können auf dem Rasen und die Fortbildungen des Fachpersonals (Trainer) betrifft, hinken wir natürlich nicht hinterher. Auch bei uns im Norden sind die Grundideen der Trainerausbildung geprägt vom vertikalen Spiel, Flachpässen, Pressing und schnellem Umschaltspiel als Grundphilosophie. Von Zeit zu Zeit merkt man vielleicht nur, dass der Norddeutsche an sich ein wenig phlegmatischer ist. (lacht)

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Lohnt es sich in Zukunft über einen Unterschied des Nord- und Südfußballs zu reden?

Bei identischen Trainings- und Ausbildungsinhalten sollte sich der Unterschied in Zukunft geringer darstellen. Was als Phänomen bestehen bleiben wird, ist das Potential was der einzelne Spielerjahrgang zur Verfügung stellt. Nur daran können kompetente Trainer sich ausprobieren und Spieler sich entwickeln.

Herr Jahn, vielen Dank für das freundliche und vor allem informative Gespräch. Weiter so!

Richard Hill