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HSV-Ultras bleiben der Arena fern

Trotz des chronischen Chaos beim Hamburger SV, hielten die treuen Fans in der mächtigen Nordtribüne dem Traditionsklub bis zuletzt die Treue. Auch vor dem letzten Heimspiel gegen den SC Paderborn, das 0:3 verloren ging, verkündete ein schwarz-weiß-blaues Schal- und Fahnenmeer Zuversicht und Stolz. Dennoch war viel irgendwie anders.

Text: Martin Sonnleitner
Foto: hammoniaview.de

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Denn die in Sachen Lautstärke und Choreografie wichtigste Fangruppierung Chosen Few (CFHH) hatte mit seinen rund 250 Mitgliedern dem HSV vor der Saison die aktive Unterstützung aufgekündigt. Grund ist die Ausgliederung der Profiabteilung Ende Mai aus dem Gesamtverein gewesen, die Investoren anlocken soll. Auch CFHH-Mitglied Philipp Markhardt hat seine Dauerkarte abgegeben. „Die Fans haben nun keine Macht mehr, um Entscheidungen des Vorstands zu verändern“, sagt er. So hatte der HSV über seinen Fan-Dachverband Supporters Club eine mächtige Hausmacht, die nun kaum mehr Mitspracherecht besitzt. „Die Mitglieder sind wie ein zahnloser Tiger“, moniert Markhardt.

Am 1. Juli teilte die CFHH mit, der Boykott „beinhaltet sämtliche Aktivitäten im Stadion.“ Also keine Choreografien mehr, keine Vorsänger, keine Wechselgesänge. Die Chosen Few gehen stattdessen in die Bezirksliga zur dritten Mannschaft des HSV, die im Vergleich zur U23 und den Profis nicht zur neuen AG sondern rein zum Verein gehört. Zudem hat man als Protestnote zusammen mit anderen kritischen Fans am 19. Juni den HFC Falke gegründet, in Anlehnung an den HSV-Vorgängerverein FC Falke 06.

Es sind noch 20 Minuten bis zum Anpfiff, die Stimmung steigt. Doch einer fehlt jetzt schon. Es ist der Vorsänger der Ultras, Capo genannt, der stets vom Zaun emporragend die Stimmung in der Kurve mit Liedern anheizte. Jojo Liebnau hat dies mehrere Jahre getan, nun ist der Zaun irgendwie verwaist.

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„Man muss mal gucken, ob es zu einem Stimmungsloch kommt“, ist Emanuel Ziegler ein wenig skeptisch. Er ist gerade mit seinem Freund Edris Saberi in voller HSV-Montur in die Nordtribüne gekommen. „Ich bin optimistisch“, sagt Saberi, „es werden neue Gruppierungen folgen, die für Stimmung sorgen.“

Die Chosen Few waren über ein Jahrzehnt die Leader in der Kurve, trieben an, bemalten in wochenlanger Kleinstarbeit schillernde Riesentransparente und waren auch mal zur Stelle, wenn es Ärger mit gegnerischen Fans oder der Polizei gab. Selbst Spieler wie Marcell Jansen sind sich der Wichtigkeit der Ultras bewusst und forderten bereits ihre Rückkehr in die Kurve. Dabei ist die Fanszene, was die Ultras betrifft, gespalten, zudem ist deren Block 22 C teilweise mit neuen Leuten gefüllt.

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„Es ist auch viel Getöne“, kritisiert HSV-Anhänger Jan Weygoldt die für ihn dogmatische Haltung der Chosen Few bezüglich der Ausgliederung. Deren Choreografie sei schon immer umstritten gewesen, auch dass sie ihre Meinung versucht hätten, anderen Fans vorzugeben, gefiel ihm nicht. Er glaubt dran, dass die CFHH-Leute nach und nach wieder kämen.

Der Fanforscher Gerd Dembowski befürchtet dagegen, dass die Entwicklung beim HSV die Spitze eines Eisbergs sein könnte. Immerhin gehen auch viele Ultras von Hannover 96, bei dem der HSV am vorigen Sonntag verlor, nur noch zur zweiten Mannschaft, weil ihnen der Kurs von Präsident Martin Kind zu kapitalistisch sei.

Auch da war die Kurve nicht mehr bunt, wie in all den Jahren zuvor. „Andere Ultragruppen horchen auf“, beobachtet Dembowski, der nicht ausschließen will, dass es das schleichende Ende dieser riesigen Stadionsubkultur, die seit der Saison 2002/03 quasi das Stimmungsmonopol in den deutschen Stadien besitzt, bedeutet.

Martin Sonnleitner

Sonnleitner ist seit 38 Jahren mit dem HSV verbunden, seit zwölf Jahren Rothosen-Reporter. Versucht mit Inbrunst zu trennen zwischen Herzblut und Expertise. Lieblingsspieler: Peter Nogly und Schorsch Volkert. Abstrahiert auch gerne mal den Fußball-Boulevard.