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Abschlussspiel am Donnerstag – wie fürchterlich!

Trainer Jan Kistenmacher verzichtet auf Abschlussspiele und bevorzugt „durchgeplante Spielzüge“. Noch dazu nutzt er taktische Fehlleistungen des großen Nachbarn für eigene Übungsstunden. Warum das so ist, erklärt er im Interview. Ach, und er beantwortet die Frage: Ist der Rostocker FC zu links?

Jan Kistenmacher, konnte man diesen Start erwarten oder kam die glänzende Entwicklung mit 15 Punkten aus fünf Spielen für Sie überraschend?
Wir müssen uns ja darum bewusst sein, dass wir in einer Amateurliga spielen. Da läuft vieles über das sogenannte Hörensagen. Die Spieler kennen sich untereinander und tauschen sich aus, ich persönlich habe nach einer kompletten Spielzeit in der Verbandsliga einen besseren Überblick gewonnen. Dennoch ist die Liga eine große Unbekannte, die nur schwer einzuschätzen ist. Allerdings haben wir mit Sicherheit nicht diese Punkteausbeute erwartet. Anderseits müssen wir auch betonen, dass die ganz dicken Fische bisher nicht Bestandteil unseres Auftaktprogramms waren. Die kommen erst noch, wie neulich im Pokal gegen Torgelow.

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Dabei unterscheidet sich ihr Verein von anderen Klubs auch dadurch, dass die Spieler nicht einmal ein kleines Gehalt beziehen. Auch die Leistungsträger werden nicht wie bei anderen Vereinen vergütet. Warum hat ihre Truppe trotzdem richtig Lust auf den RFC?
Wir bieten eine richtig gute Truppe, die auf und neben dem Platz funktioniert und deren Mannschafts-Chemie sich bereits über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen hat. So macht sich ein Fußballverein natürlich auch attraktiv, wenn man weiß, dass da mit viel Freude ein guter Fußball gespielt werden kann. Auf der anderen Seite versuchen wir ein anspruchsvolles Training zu bieten, das natürlich auch an meine Person als Trainer gekoppelt ist.

Ein anspruchsvolles Training wird doch immer angeboten. Zumindest sagt das jeder Trainer. Was machen Ihre Einheiten besonders?
Ich lege viel Wert auf Mannschafttaktik. Dass Spielzüge vom Torhüter bis zum Stürmer durchgeplant werden. Jeder Spieler, das ist mein Schwerpunkt, soll sich eingebunden fühlen, sich jederzeit beteiligen können. Dass gilt bei uns auch bei Standards. Wo andere sagen, da brauche ich nur vier bis fünf Spieler, hat bei uns jeder Mann eine feste Rolle. Einen Plan, an welcher Position er wie gebraucht wird. Dieses Spielverständnis, das ich den Spielern zu vermitteln versuche, ist für uns alle unwahrscheinlich lehrreich.

Gibt’s bei Ihnen trotzdem das allseits beliebte Abschlussspiel am Donnerstagabend?
Das wäre ja ganz fürchterlich, wenn wir am Donnerstagabend trainieren würden, dann einen Tag Pause machen, um dann in den Wettkampf zu gehen.

Warum?

Kistenmacher nimmt sich einen Stift, kapselt die Kappe ab, zeichnet auf ein herumliegendes Blatt ein schemenhaftes Koordinatensystem. Malt eine Kurve, die dem Verlauf einer Sinusfunktion ähnelt. Er erklärt die Superkompensation.

Weil es mit der Superkompensation zusammenhängt. Die Leistungskurve soll am Spieltag natürlich am Maximum sein. Dafür müssen wir die Trainingszeiten so setzen, dass die Spieler innerhalb der Trainingswoche ihre Reize bekommen, sich dadurch steigern können. Dann müssen sie ihre Regenationsphase bekommen, damit sie am Spieltag in der besten körperlichen Konstitution sind, um maximale Leistung abrufen zu können. Heißt auf unsere Trainingswoche bezogen: Montag entspanntes Techniktraining, Mittwoch gibt’s volle Pulle, am Freitag wird Taktik auf dem Platz gemacht. Am Samstag stehen sie dann topfit auf dem Platz.

Sind die Trainingsinhalte, die Sie dabei vermitteln, nicht ziemliches Neuland für die Mannschaft?
Wir haben ja hier in Rostock das Glück, dass bereits viele Spieler durch den FC Hansa eine gute Vorausbildung bekommen haben. Das ist ganz klar ein Vorteil, wenn in der Jugend Qualität unterrichtet wurde. Wenn ein Spieler aus einer nachrangigen Liga den Schritt zum RFC macht, dann fällt schon auf, dass es längere Zeit in Anspruch nimmt, um den Spieler zu akklimatisieren.

Apropos Hansa Rostock. Was für Kniffe gucken Sie sich ab, wenn sie ins Stadion gehen?
Als ich gegen die SG Sonnenhof-Großaspach im Stadion war und eine tolle taktische Leistung der gastierenden Mannschaft sah, musste ich wie einige meiner Spieler schmunzeln. Die haben genau das gemacht, das in Perfektion umgesetzt, was wir Woche für Woche auch im Training erarbeiten. Es ist schön für einen Trainer, wenn die Spieler dann sagen: „Trainer, die machen ja genau das, was wir auch trainieren. Und es klappt sogar gegen Hansa.“

Wenn Sie Großaspach in dem Maße loben, wie fiel denn ihre Hansa-Analyse aus?

Wieder bemüht Kistenmacher den Stift, skizziert die zwei Spielsysteme auf die Rückseite des mittlerweile zerknitterten Blatt Papiers, setzt ein paar Pfeile zwischen den Spielern, die mit einem grob gezogenen Kreis dargestellt werden. Fortan nimmt er die Hansa-Taktik auseinander.

Ich habe den Jungs das Spielschema aufgemalt, mit verschiedenen Farben gearbeitet und Magnete verwendet. Ich habe ihnen die entsprechenden Spielsituationen dargestellt. Habe meinen Spielern gesagt: Das könnt ihr besser als Hansa, da seid ihr besser und da haben wir vor allem Lösungen. Ich habe meine Jungs dann abgefragt, wie wir in bestimmten Spielsituationen agieren würden, habe sie an die Tafel geholt und sie erklären lassen.

Haben Sie ein Beispiel, welches an den Leser ohne große Ausschweife vermittelbar ist.
Wenn wir uns die Grundkonstellation anschauen, dass Hansa mit zwei Viererketten auf ein 4-3-3 von Großaspach traf, dann muss mir jemand mal erklären, warum sich ständig im Spielaufbau einer der beiden Sechser zwischen die Innenverteidiger zurückfallen ließ, den Ball gefordert hat – somit kurzfristig fünf gegen null spielte – und dann den Ball durch die Mitte an den stehengebliebenen Sechser im Zentrum gepasst hat, der immer von mindestens drei Gegenspielern umgeben war. Ich denke, Hansa hätte mit einem schnellen Spielaufbau über die Außenpositionen – denn dort hatten sie meistens Überzahl – mehr Erfolg gehabt und hätte mir daher gewünscht, dass diese Marschroute im Laufe des Spiels korrigiert worden wäre.

Es sticht ja sehr heraus, wie wichtig Ihnen das mannschaftliche Gebilde ist. Vom Zusammenhalt und von der taktischen Organisation. Kann man mutmaßen, dass Ihre Spieler in einer anderen Mannschaft nicht so gut spielen würden?
Das könnte sicherlich passieren, allerdings glaube ich, dass bis auf unseren Daniel Muniz dos Santos keiner mehr die ganz großen Ambitionen hegt, in sehr viel höhere sportliche Gefilde aufzusteigen. Ganz vielleicht wäre beispielsweise ein Christian Rosenkranz jemand für Hansa. Erst würden sich die Kogge-Spieler über „Rose“ aus der Verbandsliga amüsieren; er komme ja schließlich von ganz unten. Nach einer Woche würden die ersten fragen: Trainer, wo hast du den denn her? Nach zwei Wochen würden sie den Jungen zum Kapitän machen. Aber mal im Ernst. Wenn es denn einen Kicker bei uns geben würde, der so viel besser ist als alle anderen, dann würde ich versuchen, ihn in eine bessere Mannschaft zu bringen.

Sie meinen: Berater spielen?
Nein, das ganz und gar nicht. Ich bin Fußballtrainer und damit für meine Jungs verantwortlich. In Neuruppin hatte ich damals einen talentierten Kicker. Stefan Winkel, ihr beiden kennt ihn vielleicht, war wirklich herausragend talentiert. Ich habe ihn damals mal in meine Trainerkabine gerufen. Ihm gesagt: Wir fahren nach Hamburg, ich bringe dich zum FC St. Pauli. Dort hat er überzeugt, hat einen Vertrag als Nachwuchsspieler bekommen. Es kam natürlich gelegen, dass ich bei Paulis Herrenmannschaften hospitiert habe. So konnte ich auch einmal Holger Stanislawski unter der Dusche den jungen Mittelfeldspieler Winkel empfehlen. Es sah für ihn auch gut aus, bis er dem Ruf des Geldes gefolgt ist und von den Amateuren des FC St. PAuli in die HSV U23 gegangen ist. An seinen Wechsel zum FC St. Pauli habe ich jedoch keinen Cent verdient. Weil ich es nicht wollte. Es geht mir um die Sache, um den Spieler.

Heute kickt Stefan Winkel bei Condor in der Oberliga-Hamburg. Wäre diese Liga für ihre Jungs ein Schritt nach vorne?
Nein, sportlich auf keinen Fall. Bei der Oberliga-Hamburg steht zwar Oberliga drauf, ist aber eigentlich „nur“ Verbandsliga drin. Es ist die höchste Liga des Hamburger Fußballverbandes, wie unsere Liga die höchste Spielklasse in Mecklenburg-Vorpommern verkörpert. Nur mit dem Unterschied, dass wir immer noch eine aus meiner Sicht unsinnige, unattraktive Oberliga Nordost zwischen der Regionalliga und der höchsten Spielklasse des Landes wissen. Das haben die Verantwortlichen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen galanter gelöst. In der Breite sehe ich die Oberliga-Hamburg, wie attraktiv sie für mich als gebürtigen Hamburger durch die Vereinskonstellation auch ist, nicht stärker als unsere „Mecklenburg-Vorpommern-Liga“. Ich glaube, dass wir da auch mitspielen könnten. Wir wären vielleicht nicht Tabellenführer, aber ganz sicher kein Kanonenfutter.

Heißt im Hinblick auf die Struktur im Osten?
NOFV-Oberliga abschaffen, die Verbandsliga umbenennen. Den Weg der anderen Verbände gehen und dadurch die höchste Spielklasse des Bundeslandes stärken. In Sachen Marketing besitzt die Oberliga-Hamburg oder auch die „Schleswig-Holstein-Liga“ sicherlich Vorbildcharakter.

Marketing steht häufig im Zusammenhang mit Sponsoren. Das ist beim RFC momentan ein heikles Thema. Sie stecken mittendrin, schließlich haben Sie mit der Bundeswehr einen zahlungskräftigen Sponsor an Land gebracht. Seitdem scheint das Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans, zumindest dem harten linken Kern, darunter gelitten zu haben.
Zuschauertechnisch hält sich ja der Schnitt. Die einen, die aufgrund der Bundeswehr nicht mehr kommen, fallen daher nichts in Gewicht, da wir durch unseren sportlichen Erfolg auch andere Zuschauer ansprechen. Was ich jedoch nicht verstehe, ist dieser enorme Widerstand gegen das Engagement. Der Verein besitzt kaum finanzielle Mittel, hat eigentlich gar kein Geld.

Ist Ihnen der Verein zu links?
Es gibt ja viele Punkte, die ich mit den Fans absolut teile. Den Widerstand gegen Homophobie und Rassismus, das Engagement für die Asylkinder. Ich habe selbst für den RFC an einem „Golf-gegen-Rechts-Turnier“ teilgenommen. Nur weil ich Offizier und Soldat bin, heißt das ja noch lange nicht, dass ich nicht für diese Werte einstehen kann. Im Gegenteil, in diesen Bereichen fühle ich mich sehr mit dem Verein verbunden. Allerdings darf das nicht komplett in linke Richtung abdriften. Wir müssen schon die Mitte wahren, dürfen uns als Verein sowieso nicht in etwaige politische Richtungen positionieren. Dennoch bin ich entschieden gegen Extremismus – gegen Links- und Rechtsextremismus. Und wenn ich sehe, dass trotz der spärlichen finanziellen Mittel Sachbeschädigungen begangen werden, nur um ihren Widerstand gegen die Bundeswehr auszudrücken, dann geht das viel zu weit über die durchaus akzeptierte Meinungsäußerung hinaus.

Wir wollen das Gespräch nicht mit einem eher unschönen Thema abschließen. Sondern vielmehr mit einer netten Anekdote. Wir hörten, die Geschichte wie Sie überhaupt zum RFC kamen, sei interessant. Wie war das?
Das war im Mai vergangenen Jahres. Der Rostocker FC stand schlecht da, es drohte der Abstieg. Die Verantwortlichen traten an mich heran. Wir trafen uns gegen 11:00 ganz nüchtern nach dem Herrentag in der Kneipe „Plan B“ in Rostock und sprachen über die Situation. Die beiden Präsidenten, um ihren Verein sehr besorgt, klärten mich auf und baten mir den Trainerjob ab Montag an.

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Ich fragte: Montag? Habt ihr am Wochenende kein Spiel?
Meine Gesprächspartner: Doch. Gegen den FSV Bentwisch, die sind Dritter. Gegen die verlieren wir wahrscheinlich.
Dann habe ich gesagt: Ihr könnt das Spiel doch nicht vorher schon aufgeben. Ich nahm ein Zettel, einen Stift, und schrieb ihnen meinen Plan auf: Bis 14 Uhr ist der scheidende Trainer persönlich zu informieren, sofort im Anschluss der Kapitän. Um 19 Uhr leite ich dann das Training.
Die Präsidenten: Am Freitag ist kein Training.
Ich: Ab heute schon.
Und das war sie schon, die kleine Anekdote.

Wie ging es am Ende aus?
Das Spiel endete 3:3. Und aus den insgesamt noch fünf ausstehenden Partien haben wir 10 Punkte geholt und so den Klassenerhalt gesichert.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kistenmacher.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.