„Die Perspektive heißt Regionalliga“
Altona 93 ist angesagt wie lange nicht. Doch im Rausch der großen Heimkulissen setzt der Traditionsverein weiterhin auf kleine Fortschritte. Wie Trainer Oliver Dittberner und Manager Andre Jütting die aktuellen Herausforderungen angehen, erklärten sie uns in einem ausführlichen Gespräch.
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Romantik kann auch schmutzig sein. Das beweist zum Beispiel die Adolf-Jäger-Kampfbahn in Hamburg-Altona. Wirklich schön ist das Rund nicht mehr, überall bröckelt es, auf den Stehtreppen ist der Beton an manchen Stellen so porös, dass reichlich Unkraut aus den Rissen sprießt. Dennoch passt vieles zusammen. Das bunte Laub auf dem „Zeckenhügel“ hinter dem Tor, die staubigen Sitzschalen auf der Haupttribüne, die graue Wettersuppe über dem Rasen, auf dem noch zwei Arbeiter am späten Freitag Nachmittag langsam über den Platz gondeln um die Linien zu kreiden.
Zwei Tage später war es mit der Ruhe vorbei. Am Sonntag empfing Altona 93, bis dato in der Tabelle sechstplatziert, den Tabellenführer von Halstenbek-Rellingen. 22 Spieler in einer wilden Partie, die in einem glücklichen 2:2 für die Gäste mündete, füllten den ehrwürdigen Ground ebenso mit Leben wie die über 1100 Fans auf der Kampfbahn.
Eine Zahl, die wenig überraschte. Seit Wochen ist um Altona 93 wieder eine größere Besuchereuphorie ausgebrochen, bei drei der letzten fünf Spiele unter Altonaer Beteiligigung gelang der Sprung in den vierstelligen Bereich. Zudem spielt die Elf von Oliver Dittberner offensiven Tempofußball, schießt die zweitmeisten Tore in der Oberliga-Hamburg. Sie steht nach dem eher stotterigem Start voll im Saft, war auch gegen HR lange Zeit die bessere Mannschaft.
Wächst in der Stadt mit den zwei Bundesligavereinen endlich wieder eine tolle Nummer (DREI) heran? Immerhin ist Absteiger „Vicky“ nur knapp vor dem AFC platziert, und träumt ganz nebenbei von den Publikums-Resonanzen der Altona-Spiele. An die Hoheluft verirren sich bisher nur selten mehr als 300 Zuschauer.
„Wir können es mit der Nummer 3 nicht mehr hören“, sagt Oliver Dittberner forsch. Der 46-Jährige trainiert den AFC seit fast vier Jahren, gilt als Urheber des neuen Altonaer Offensivspektakels. Und begründet seine Ablehnung in einem langen Plädoyer: „Wir sind ja nicht einmal die Nummer 3 in der Oberliga-Hamburg. Es ist nur so, dass wir uns auf unsere Arbeit konzentrieren wollen. Vergleiche mit anderen Teams, besonders dem FC St. Pauli, stören da nur und sind dazu auch völlig aus der Luft gegriffen. Und außerdem wird mir viel zu wenig beachtet, dass wir die Nummer Eins im bevölkerungsreichsten Hamburger Stadtteil sind“, so Dittberner.
Dabei stehen die Ziele der 93er durchaus in Verbindung mit einem möglichen Status als dritte Kraft im Hamburger Fußball. Denn, wie Dittberner klar macht, ist das „R-Wort“ alles andere als tabuisiert: „Natürlich ist die Regionalliga Nord ein Ziel von uns. Das bestreite ich auch gar nicht. Aber das ist ja leider nicht von Heute auf Morgen realisierbar.“
Gemeint sind neben der sportlichen Konkurrenz vor allem die finanziellen Bereiche. Zwar konsolidiert sich der Verein unter der Federführung von Andre Jütting auch nach außenhin spürbar, die großen Sprünge im Etat bleiben aber aus. So überrascht es wenig, dass auch Jütting, seit über sechs Jahren im Verein, die Bremse anzieht: „Um Regionalligafußball bestreiten zu können, braucht man 500.000 Euro. Von dieser Zahl sind wir weit entfernt.“
Der Zuschauerwachstum, der nicht erst seit dieser Spielzeit registrierbar ist, reicht noch nicht aus, um höhere Ziele zu kreieren. Die Finanzierung ist schwer, alleine die Versicherungssumme für den Kader, die an die Berufsgenossenschaft fließt, frisst eine fünfstellige Summe.
Zudem sieht Jütting noch deutliches Potenzial bei den Zuschauerzahlen: „Wir sind zufrieden, aber das bedeutet nicht, dass da nicht noch mehr geht. Aber es zeigt sich bei uns deutlich, dass attraktiver Fußball immer zieht.“
Und auch Dittberner generiert Hoffnung für sein Projekt. Der ehemalige Profi der Stuttgarter Kickers ist kein Kurzzeittrainer, verbrachte bereits bei seiner ersten Station in Lurup elf Jahre als Chef an der Seitenlinie. Bei Altona 93 besitzt er noch einen Vertrag bis 2016: „Ich sehe die Perspektive hier. Und die heißt Regionalliga. Wenn wir uns sukzessive verbessern, uns entwickeln und den Trend fortsetzen, dann ist das alles nicht unmöglich.“
Eine Zielstellung, an der zuletzt fast alle Oberligisten scheiterten, sofern man die wohlsituierte Eintracht Norderstedt ausklammert. Im letzten Jahr stieg niemand auf, der Meister aus Dassendorf verzichtete freiwillig. Im Jahr zuvor musste Elmshorn seine Regionalliga-Pläne begraben. Für die Teams stehen empfindliche Auflagen im Weg, der Sprung in die Regionalliga gleicht einem Aufstieg um zwei Ligen.
Die Idee von Coach Dittberner: „Vielleicht sollte sich der HFV am niedersächsischen Fußballverband orientieren. Dort werden bereits die Oberligisten lizenziert. Das sorgt dafür, dass die Vereine eher gefordert sind, der Sprung in Liga 4 dadurch aber leichter fällt.“ In Niedersachsen bewährt sich dieser Schritt seit langem, zuletzt meisterten Lüneburg und FT Braunschweig den Sprung. Niedersächsische Oberligisten fühlen sich durch die Kontrollen, so heißt es beim dortigen Verband, sicherer im Spielbetrieb.
Bei Altona gibt es jedoch neben der Euphorie auch einige Fragezeichen. Der Klub arbeitet intensiv daran, den Pool der Unterstützer auszubauen, sich von Großsponsoren wie „Barthel Armaturen“ unabhängiger zu machen. Auch schwebt die Stadiondebatte über dem Klub, die baufällige AJK ist seit Jahren ein Thema, der Verkauf des Geländes bereits abgeschlossen. Ein neuer Platz ist nicht gefunden, das Experiment, mit der Hamburger Victoria die Hoheluft zu teilen, scheiterte am traditionsbewussten wie frenetischen Anhang. Jütting, der seit Jahren mit dem Auffinden der neuen Heimat beschäftigt ist, sieht sich aber keiner Drucksituation ausgesetzt: „Wir haben keine Frist die uns vorschreibt, wann wir in den nächsten Jahren die AJK verlassen müssen.“ Immerhin: Mit dem Bau des „Sportpark Bauerstraße“ wird die gesamte Nachwuchsabteilung des AFC in den kommenden Jahren einen zentralen Standort erhalten.
Der Traum Dittberners lebt dennoch weiter. Die Distanz, um die der A-Lizenztrainer merklich bemüht ist, schmilzt spürbar, wenn er über die Regionalliga und seine junge wie hungrige AFC-Mannschaft spricht. Potenzial sieht der Trainer nämlich nicht nur im Umfeld, sondern vor allem in der eigenen Truppe. Und formuliert ein wenig trotzig: „Fußball um 10.45 Uhr ist Breitensport. Der richtige Fußball beginnt doch erst in der vierten Liga.“
Doch am Wochenende gönnte sich der Oberligafußball an der Griegstraße abermals einen Sahnetag. Die Stimmung sensationell, das Spiel munter. Und über 1000 Fans mehr als beim Regionalliga-Schinken St. Pauli II gegen Goslar, der am Vortag lediglich 89 Zuschauer nach Norderstedt lockte. //
Autor Hannes Hilbrecht war erstmals auf der AJK. Er sagt: „Was sich nach Maschinengewehr anhört, ist eine der geilsten Arenen, die ich bisher gesehen habe. Ähnlich perlig wie der Fußballschuppen von Anker Wismar in Meck-Pomm. Nicht perlig, sondern eher kernig war unser Gesprächspartner. Distanziert, gewählt im Ausdruck, eloquent. Der Auftritt von Oli Dittberner war bemerkenswert wie sympathisch. Jemand, der nicht labert, sondern jemand, der Ahnung mit Meinung verbinden kann. Was besonders daran zu merken war, dass die Sachlichkeit der Aussagen stets im Vordergrund stand.“