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Pannewitz: „Rostock steht ganz oben auf der Liste“

BLOG-TRIFFT-BALL wollte am Wochenende 90 Minuten Kevin Pannewitz sehen. Das Vorhaben gelang – allerdings sahen wir ihn neunzig Minuten sitzend in der Sonne. Umso ausgeruhter trat uns der 23-Jährige nach dem Spiel gegenüber, als wir über seine Ambitionen, seine Liebe zu Hansa und den eigenen Aussichten sprachen.

 

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Strahlender Sonnenschein, siebzehn Grad Außentemperatur, eine auf dem Papier interessante Spielpaarung. Die Zweite vom FC St. Pauli, trotz des Verlustes von Thomas Meggle als Cheftrainer zuletzt immer besser in Schwung gekommen, und die große Enttäuschung der Saison, der Goslarer Sportclub, brachten am Samstag ein buntes Sammelsurium an spannendenden Spielern auf das satte Grün.

Gekommen waren aber nur 89 „zahlende“ Zuschauer.

Goslar ist fern, bis auf ein paar singwütige Teenager machte sich kaum jemand auf die lange Reise. Und die Pauli-Elf, immerhin von Klub-Ikone Fabian Boll an der Seitenlinie bereichert, wusste ihren Anhang hunderte Kilometer gen Süden beim Auswärtsspiel in Nürnberg.

So saßen in der Heimarena des Regionalligisten Eintracht Norderstedt fast mehr Berater und beobachtende Trainerkiebitze als eigentliche Anhänger. Und der vielleicht interessanteste Spieler des Nachmittags, Kevin Pannewitz, sah dabei auch noch neunzig Minuten aus der Reservistenrolle zu, wie seine Kollegen in einem munteren wie chancenreichen Kick mit 0:2 den Gastgebern unterlagen.

Pannewitz, das ist der Spieler, der einst als großes Talent proklamiert vor allem abseits des Platzes medienwirksam beäugt wurde. Party-Skandale, die stetig begleitenden Gewichtsprobleme und die ein oder andere darauffolgende Suspendierung machten ihn im gesamten Norden bekannt, obwohl der begnadete Sechser für Hansa Rostock „nur“ Zweit- und Drittligafußball spielte.

Vom begnadeten Sechser zum einsatzlosen Ersatzspieler vor knapp einhundert Zuschauern. Der Fall ist tief. Gerade für einen Kicker, den man einstmals die Bundesliga zugetraut hat. Fast schon von ihm erwartet hatte. Doch war der 23-Jährige entspannter Laune, als er nach dem Auslaufen den Weg in die Mixedzone der Arena fand: „Der Trainer hatte heute den Plan, mal etwas mit anderen Spielern zu probieren. Das ist doch in Ordnung“, so der gebürtige Berliner zu seinem neunzigminütigen Bankplatz.

Dieser kam eigentlich überraschend. Zuletzt hatte der GSC nach miserabler Startphase zugelegt, nach vielen Niederlagen damit begonnen, Spiele zu gewinnen. Das auch dank eines Kevin Pannewitz‘, der sich immer besser in Position brachte, ordentlich bis gut spielte. Zuletzt aber, als Rehden mit 4:1 bezwungen wurde, war nach dreißig Minuten Schluss. Die Voltaren-Tabletten, eingeworfen um ein paar Wehwehchen zu stillen, reizten in einer etwas zu hohen Dosierung den Magen, trieben „Panne“ nach 29 Minuten in die Kabine. Der Startplatz fürs nächste Spiel war futsch. ‚Kein Dauerzustand‘, wie es aus dem Harz heißt.

Lachen konnte der bullige Defensivstratege aber trotzdem. Nicht wegen des schlechten Resultats oder seinem entspannten Plätzchen in der Hamburger Herbstsonne. Vielmehr war es der Start ins Wochenende, der dem etwas müde dreinblickenden Goslar-Star gefiel: „Brutal“, antwortete dieser nämlich im Hinblick auf seinen Freudepegel am Freitagabend, herausgequellt um kurz vor neun beim Hören in die Rostocker DKB-Arena: „Zwei Tore in der Nachspielzeit. Das ist doch Wahnsinn. Ich habe mich brutal für die Jungs und den Verein gefreut.“

Pannewitz und Hansa Rostock.

Das ist eine Beziehung, die sich gewandelt hat. Viele Fans vermissen mittlerweile den streitbaren, aber sportlich wertvollen Fußballspieler. Schreiben ihm öffentlich in den sozialen Netzwerken, häufig in der Verbindung mit Satzstücken wie „du fehlst“ oder „komm zurück“. Ein Anliegen, das der Akteur zumindest in Gedanken teilt: „Ich habe es oft gesagt, und sage es noch heute: ich würde liebend gerne noch einmal für den Verein auflaufen. Jetzt zählt aber nur meine Leistung und der Erfolg vom GSC.“ Es sind nicht nur diese Aussagen, sondern auch seine Besuche in der Hansestadt, im letzten Jahr sogar einmal auswärts im Fan-Block, die die Verbindung zwischen der einstigen Nachwuchshoffnung und Teilen der Anhängerschaft beschreibt.

Noch aber hat der passsichere Protagonist Vertrag in Goslar. Und die mühen sich redlich um das Enfant terrible. Eine eigene Wohnung hat er mit seiner langjährigen Freundin nahe der Trainingsplätze bezogen, ist Vollprofi bei den finanzstarken Niedersachsen, wird mit dem versorgt, was er nach eigener Aussage benötigt: „Ich bin ein Typ, der einfach mal ein paar Arschtritte braucht. Die bekomme ich vom neuen Trainer. Ich merke, wie er mich besser machen möchte. Auch nach dem Training.“

Ein Satz, den GSC-Manager und Vertrauter Rene Wirth schon während des Spiels auf der Haupttribüne zaghaft andeutete: „Nach schwerem Start im Sommer kommt er langsam wieder in Schwung. Wir haben Sachen gelöst und bauen jetzt auf ihn.“ Nach einem kurzen Blick aufs Feld ergänzte der in Rostock verwurzelte Sportliche Leiter ein wenig nach Optimismus schöpfend: „Wir sind guter Dinge, aber auch er ist jetzt in der Pflicht.“

Dieser konnte Pannewitz zumindest im Sommer noch nicht nachgekommen. Mit körperlichem Ballast war das „ewige Talent“ aus dem Sommerurlaub gekommen, „hatte guten Appetit“, wie ein Regionalligafachmann mit Bezug nach Goslar süffisant formulierte.

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Ein Zeichen für Resignation?

„Nein“, entgegnete der Ex-Hanseat. „Ich wäre ja nicht hier in Goslar, wenn ich es nicht wollen würde. Ich will es unbedingt noch einmal schaffen. Und Rostock steht da ganz oben auf der Liste.“ Und tatsächlich fiel neben der zunehmend sportlicheren Figur auch etwas anderes positiv auf. Statt der ihm früher oft nachgesagten Hybris bestach Pannewitz, der im Sommer wiederholt von der TSG Neustrelitz umgarnt wurde, nämlich mit Bescheidenheit. „Ich würde mich nicht als Talent beschreiben. Ich kann doch nur kicken, den Ball stoppen, schauen und passen. Da gibt es ganz andere Talente“, sagte er ruhig, um dann seinen Status ein wenig herunterzuschrauben: „Ich bin Kicker aus Leidenschaft. Nicht mehr, nicht weniger.“

Ein Kicker, der entgegen aller Erwartungen noch nicht aufgesteckt hat. Der beißt, der die Karriere unbedingt fortsetzen will, Ziele im Blick hat. Auch das ist Ausdauer, und macht vor allem eines: Mut. Der Ausgang der Causa Pannewitz bleibt dennoch ungewiss – die Realität ist momentan bitterer denn je. So neunzig Minuten auf der Bank, vor 89 Zuschauern in Norderstedt.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.