Ronny Marcos: Plötzlich Bundesliga
Andreas Bergmann war es, der Ronny Marcos den Schritt von der dritten in die vierte Liga nahelegte. Nun, fast elf Monate später, feierte der 21-Jährige sein Bundesligadebüt. Wir blicken zurück auf ein schnelllebiges Jahr und sprachen mit Ex-Trainer Bergmann. Dieser erinnert sich vor allem an einen mental starken wie positiven Typen.
Foto: hammoniaview.de
Es war sonnig, viele Jugendliche standen um ihn herum und er lächelte. Es war irgendwann Ende August 2013, bei einem Schulprojekt für mehr Toleranz und Demokratie, als sich Ronny Marcos wie ein kleiner Star fühlen durfte. Junge Schüler löcherten ihn mit Fragen, auf dem Schulhof waren er und seine Teamkollegen Mustafa Kucukovic und Ken Leemans die beliebtesten Foto-Motive. Marcos, in seinem blauen Hansa Rostock Polo gekleidet, brach die Aufmerksamkeit förmlich entgegen. Er wirkte befreit und glücklich.
Dabei war es eigentlich ein bitterer Tag für den jungen Linksfuß. Denn der Besuch am Gymnasium Sanitz, gelegen in der Nähe von Rostock, fiel auf einen Freitag. Seine anderen Teamkollegen waren da schon längst im Mannschaftsbus auf dem Weg nach Heidenheim zum Drittligaspitzenspiel, während Marcos lediglich im Mittelpunkt der Handykameras stand.
Freitags nicht bei der Mannschaft zu sein, das war für den Deutsch-Mosambikaner irgendwann ein vertrautes wie enttäuschendes Gefühl. „Besonders schlimm“, so sagte der 21-Jährige einmal, sei der 14. September gewesen. Hansa empfing die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund, der etatmäßige Linksverteidiger Shervin Radjabali-Fardi fiel rotgesperrt aus. Eigentlich die große Chance für den ehemaligen Lübecker, der mit seiner Haarpracht schon in der Jugend für Aufsehen sorgte und mit 16 Einsätzen vielversprechend in sein erstes Profijahr gestartet war. Die Möglichkeit sich zu zeigen, bekam er an diesem Spieltag nicht. Stattdessen feierte ein damals 27-jähriger Mittelfeldspieler sein Startelfdebüt auf ungewohnter Postition. Für Marcos der finale Wendepunkt, wie er im Interview mit BLOG-TRIFFT-BALL verriet: „Da wurde mir klar, dass ich im Winter weg muss.“
Andreas Bergmann, jener Trainer, der damals auf Martin Pett baute und Marcos auf der Bank ließ, erinnert sich bei BLOG-TRIFFT-BALL: „Er war in einer sportlich schwierigen Phase. Er wirkte unruhig, nicht konstant in seinen Aktionen und konnte nicht sein Potenzial abrufen. Andere waren einfach besser als er.“
Während Bergmann über Marcos spricht, dringt jedoch vor allem Positives aus der Stimme des Fußballlehrers. Insbesondere die Einstellung des jungen Bankdrückers imponierte dem 55-Jährigen: „Er hat immer weiter gemacht, hat fleißig gearbeitet. Vor allem hat er nie die Schuld bei anderen gesucht und so negative Stimmungen in die Mannschaft getragen. Im Gegenteil. Er hat oftmals noch gute Laune verbreitet“, so Bergmann am Mittwochnachmittag in Hamburg.
Aus jener formschwachen Phase sollte sich Marcos in Rostock nicht mehr befreien. Auch, weil die Vorzeichen immer schlechter standen. Die Mannschaft spielte erfolgreich, die linke Seite der Hanseaten schrieb mit Fardi und Blacha meistens positive Schlagzeilen. Experten sprechen in solchen Situationen von einem Teufelskreis, der Sterne am Talente-Himmel rasch verglühen lassen kann. Das Selbstvertrauen schwindet, die Spielpraxis fehlt und die Nachwuchshoffnungen werden unruhig – die Trainingsleistungen werden trotz meist noch größeren Einsatzes in nicht wenigen Fällen sogar schwächer.
So war die Enttäuschung vom Dortmund-Spiel rückblickend sogar das Hinrunden-Highlight für die Nachwuchshoffnung, zu einer weiteren Kadernominierung hatte es in der Folge nämlich nicht mehr gelangt.
Neues Selbstbewusstsein sammelte Marcos erst wieder im Winter. Gemeinsam mit seinem Berater und der sportlichen Führung der Rostocker wurde der Weg des jungen Talents einstimmig besprochen. Bergmann eröffnete seinem Schützling, dass es um die Perspektive für Einsätze in der Rückrunde eher bescheidend stand, obwohl ihm Physis und Schnelligkeit seines Schützlings gefielen. Er plädierte – wie auch alle anderen Beteiligten – für mehr Spielzeit bei einem anderen Team, wenngleich künftige Einsätze in der Hansa-Mannschaft nicht generell ausgeschlossen wurden.
Die zweite Mannschaft der Hanseaten kam nicht für die neue Spielpraxis infrage, im Einklang suchte das Gespann aus Spieler, Berater und sportlicher Führung einen neuen Verein. Die Wahl fiel bewusst auf eine U23. Der HSV schlug zu.
Die Rollen der damaligen Trennung waren zum damaligen Zeitpunkt vermeintlich klar verteilt. Hansa, damals Vierter in der Liga, träumte vom Aufstieg, die U23 des HSV befasste sich mit dem Szenario Abstieg aus der Regionalliga. Damals, so konnte man denken, verließ Marcos ein Schiff bei voller Fahrt voraus auf halber Strecke.
Der Betroffene selbst sprach auch im Nachhinein gefasst über seine Situation. Äußerte zwar seine Gefühlslage, trat aber nie nach. Und auch ans Aufgeben dachte die Frohnatur nie, wie er gegenüber BLOG-TRIFFT-BALL einmal erwähnte: „Auf einmal nichts mehr zu sein, wog schwer auf den Schultern. Aber nie in dem Maße, als dass ich vorhatte, das alles aufzugeben.“
Die weitere Geschichte ist bekannt wie oft erzählt. Die U23 packte den Klassenerhalt, Joe Zinnbauer übernahm die Elf und schrieb eine der größten norddeutschen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre. Aus einem Trainer, der anfangs noch Bedenken hatte, nach dem Abschied von Förderer Oliver Kreuzer nicht mehr gewollt zu sein, wurde der Bundesliga-Trainer Joe Zinnbauer. Aus Spielern, die man im Mittelfeld der Regionalliga vermutet hatte, wurden Erstliga-Debütanten.
Andreas Bergmann hatte den Werdegang seines ehemaligen Schülers dabei weiter verfolgt, schon in der Regionalliga gute Leistungen registriert, ihn sogar einmal bei einem Nachwuchsspiel getroffen. Beide unterhielten sich, wie Bergmann sagt, über die positive Entwicklung des defensiven Linksaußen und über die Schnelllebigkeit des Fußballs.
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Als Marcos am Wochenende dann sein Bundesligadebüt feierte, über neunzig Minuten in Augsburg zum Einsatz kam, freute sich auch Ex-Trainer Bergmann: „Für Ronny kann man sich ganz besonders freuen. Eben weil er sich nie aufgegeben hat, nie die Schuld bei anderen suchte, sondern gelernt und weitergekämpft hat. Er hat sich diese Chance verdient und ist gleichzeitig ein Vorbild für andere Jungs, die in ähnlichen Phasen stecken.“
Solche positiven Entwicklungen gelten zwar nicht als unüblich, sind aber im Vergleich zu der gegensätzlichen Variante deutlich in Unterzahl. Beispiele wie Karim Bellarabi, der in Leverkusen schon als gescheitert galt und zwischendurch wieder an Braunschweig verliehen wurde oder Dominik Stroh-Engel, den man das Potenzial für die dritte Liga absprach, sind nach Rückschritten auf vorläufigen Höhepunkten ihrer Karrieren. „Es gibt für jeden Profi Phasen, wo es einfach nicht gut läuft. Da ist neben dem Talent auch die mentale Stärke gefragt. Und die haben die genannten Spieler wie auch Ronny bewiesen“, sagt Bergmann zum Abschluss des Gespräches.
Mittlerweile ist es also Marcos, der sich auf voller Fahrt voraus befindet. Vermutlich darf er auch im nächsten Spiel ran. Vor 50.000 Anhängern in der großen Hamburger Arena. In Rostock kommen am Wochenende, wenn es gut läuft, 9.000 Besucher gegen Münster. Einen Linksverteidiger hat Hansa zurzeit ebenso wenig, Verteidiger Fardi, der einst uneinholbare Konkurrent, riss sich im Sommer das Kreuzband. Zeiten ändern sich – besonders schnell im Fußball.
In Sanitz, dem kleinen Ort in der Nähe von Rostock, freut man sich so hingegen wieder auf die Sportschau in der ARD. Vielleicht sehen sie ihn ja bald wieder, den jungen Mann mit dem netten Grinsen. Wenn auch nur im Fernsehen.
Der Junge auf den Collagen des Projekttages ist jedenfalls Bundesligaspieler geworden. Ändern kann das niemand mehr.