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4 Jahre nach der WM – die Fußballwelt in Südafrika

Seit sieben Jahren ist der Unterfranke Maximilian Grünewald Manager des südafrikanischen Erstligisten Ajax Cape Town. Mit welchen Alltagsproblemen der 33-Jährige zu kämpfen hat und warum das Niveau zwischen Welt- und Kreisklasse schwankt. Vier Nachwuchsjournalisten aus Hamburg und Köln begleiteten den Manager am Spieltag.

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Von: Patrick Berger, Tom Kirsten, Frederik Harder und Fynn Warnken

Dreieinhalb Stunden nachdem Alex Meier das 1:0 für Frankfurt auf Schalke geschossen hat, springt ein junger Mann in Kapstadt auf. „Schönes Ding“, sagt Maximilian Grünewald und ballt die Faust. Im German Club, einem deutschen Restaurant inmitten der südafrikanischen Metropole, läuft wie jeden Samstag die „Sportschau“.

Die verrauchte Kneipe am Fuße des Tafelbergs hat an diesem Tag nur wenige Besucher. Drei Stammgäste, buckelig, graue Haare, Mitte 60, sitzen am Tresen und nippen gelangweilt an der Schaumkrone ihres Bieres. An einem runden Holztisch knabbern Austauschstudenten aus Deutschland monoton an ihren Pommes. Vor ihnen ein Haufen Mettbrötchen. In den Gläsern Erdinger-Hefeweizen. Zigarillo-Qualm zieht durch den Raum und vermischt sich mit dem Duft von frischen Kohlrouladen.

Wie jeden Samstag starren die Gäste, darunter auch Grünewald, hinauf zu dem kleinen Flachbildschirm, der ein wenig schief über dem Likör-Regal hängt. 1:0 für Frankfurt. Diesen Moment genießt Grünewald. Den ganzen Tag lang hatte er sich auf die Zusammenfassungen der Bundesliga-Spiele gefreut – und dabei natürlich nicht auf sein Handy geschaut.

Er wolle die Spannung halten und meide es, die Ergebnisse schon vor der „Sportschau“ zu kennen. Das sei im Zeitalter der Digitalisierung nicht ganz so einfach. Doch auch diesmal hat er es wieder geschafft. Ohne Vorahnung lebt der aus Aschaffenburg stammende Unterfranke die Eintracht-Führung aus. Alles läuft nach Plan. Nur beim Kicktipp, einem Tippspiel zur Bundesliga, bei dem er gegen seine Kumpels aus Deutschland um die Krone spielt, läuft es nicht. Da hat er ausnahmsweise einmal gegen die Eintracht getippt. 2:1 für Schalke. Einen Sieg gegen die Königsblauen hat der Mann mit den leicht aufgehellten, braunen Haaren seinem Lieblingsverein diesmal nicht zugetraut. Umso erstaunlicher jetzt die Führung.

Er setzt sich wieder hin, legt den Kopf in den Nacken, nimmt einen kräftigen Schluck aus seinem Bier und atmet durch. Ein bisschen Sehnsucht sei beim Blick ins rund 10 000 Kilometer entfernte Deutschland schon dabei. Sehnsucht nach der Bundesliga, der großen Bühne, der zurzeit wohl attraktivsten und stärksten Liga der Welt. Diese Sehnsucht klingt fürs Erste ungewöhnlich, zumal der 33-Jährige täglich mit Erstliga-Fußball zu tun hat. Die Premier Soccer League (PSL), die Beletage des südafrikanischen Fußballs, ist sein Geschäft. Maximilian Grünewald ist Manager von Ajax Cape Town, dem größten und erfolgreichsten Fußballverein am Westkap.

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Vor 15 Jahren wurde der Ajax Cape Town FC ins Leben gerufen. 1999 kaufte der holländische Serienmeister Ajax Amsterdam Anteile an den Vereinen Seven Stars und Cape Town Spurs und bildete aus ihnen einen neuen Verein, mit dem Ziel, afrikanische Talente vor Ort auszubilden. 51 Prozent des Klubs gehören laut Vereinsstatuten dem holländischen Branchenprimus. Trikots und Trainingsanzüge sind identisch mit denen von Ajax Amsterdam. Im südafrikanischen Profi-Fußball sind die Rot-Weißen längst nicht mehr wegzudenken. „Wir sind vergleichbar mit dem SC Freiburg“, meint der Mann, der seit nun schon sieben Jahren bei Ajax neben dem Trainer die wohl wichtigste Position inne hält. „Wir bauen über ein, zwei Jahre hinweg dank guter Jugendarbeit eine klasse Mannschaft zusammen. Die besten Spieler werden dann weggekauft.“ Mit anderen Worten: Ajax schleift Diamanten, die verkauft werden. Das ist die Philosophie des Ausbildungsklubs. An sportlich oberster Spitze dieser Talentschmiede steht eben jener Maximilian Grünewald, den alle nur Max nennen. Er ist das, was beim FC Bayern München Matthias Sammer oder beim FC Schalke 04 Horst Held ist: eine Führungsperson, das Bindeglied zwischen Spieler, Trainer, Medienbeauftragten und Sponsoren. Grünewald ist der Mann für viele Fälle. Er, der nimmermüde Deutsche mit dem braun-blonden Stoppelbart, der an spielfreien Samstagen in lässiger Blue-Jeans, weißen Sneakers und blauem Shirt im German Club sitzt und Bundesliga schaut. Grünewald ist für die gesamte Organisation im Umfeld des Erstliga-Klubs zuständig. Er sichtet Spieler, kauft und verkauft sie, ist entscheidende Hand bei Gehalts- und Vertragsgesprächen.

Bruchhagens BMW in die Waschanlage gefahren

Es ist eine glückliche Fügung, dass Grünewald am Kap arbeitet. Vor sieben Jahren zog es ihn ganz alleine in die „Mutterstadt“. Alles begann mit einem Praktikum in der Marketingabteilung von Ajax, nur ein halbes Jahr später übernahm er den Posten des Teammanagers. Nach seinem Studium in Marketing und Unternehmensführung in Aschaffenburg und einem Praktikum im Marketing-Bereich bei Borussia Dortmund, arbeitete er als Werkstudent bei Eintracht Frankfurt in den Bereichen Marketing und Eventorganisation. Daher rührt auch die Sympathie zum hessischen Erstliga-Klub. An die Zeit bei den Adlerträgern erinnert sich der Deutsche gerne zurück. Seine Arbeit in Frankfurt wurde stets geschätzt, als Werkstudent war sich Grünewald für keine Aufgabe zu schade. Es kam schon mal vor, dass er den schicken BMW des Eintracht-Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen in die Waschanlage fahren musste.

Bruchhagen schätzte sein gezieltes, diszipliniertes Arbeiten und wollte ihm damals einen Job bei der Eintracht vermitteln. Doch Grünewald wollte weg, etwas Neues sehen, raus in die weite Welt. Auch in Afrika schätzt man seine deutsche Mentalität. Seine Zielstrebigkeit, seinen Ehrgeiz und seinen Fleiß. Attribute, die im südafrikanischen Alltag eher selten sind. Grünewald ist ein Organisations-Talent, kümmert sich vor allem um Auswärtsspiele, plant Reisen und bucht Hotels. Dies gestaltet sich beim einzigen Erstliga-Verein am Westkap gar nicht so einfach. Johannesburg und Pretoria sind die Hauptzentren für Profi-Fußball in Südafrika. Acht der 16 PSL-Teams sind direkt in den beiden Städten im Nordosten des Landes angesiedelt, sieben weitere im Umland und der Ostküste. Allein für die kürzeste Auswärtsreise zu den Bloemfontein Celtics muss Ajax knapp 1000 Kilometer zurücklegen. „Alles andere als Flugreisen kommen dabei nicht in Betracht“, erklärt Grünewald.

Es ist ein heißer Oktober-Mittwoch. 28 Grad. Die Sonne scheint auf die Veranda des Ajax-Teamhotels „Protea Ice and Fire“ in der New Church Street, einen Steinwurf von der berühmten Long Street, der „Kapstädter“ Partymeile, entfernt. 2500 Rand, knapp 180 Euro, kostet eine Nacht in einem Doppelzimmer des Vier-Sterne-Hotels. Eine Stunde bevor sich die Mannschaft zum Spieltags-Meeting trifft, erscheint Max Grünewald. Der Manager trägt feinen Zwirn. Keine Jeans. Kein Shirt. Die Sneakers hat er in schwarze Lackschuhe getauscht, das Shirt in ein hellblaues Hemd. Dazu trägt er eine rote Krawatte, auf der am untersten Ende die Gesichtsumrandung des bärtigen Ajax, Held von Troja aus der griechischen Antike, mit weißem Garn eingestickt wurde. Es ist das Vereinswappen von Ajax Cape Town. Er begrüßt die Bedienungen herzlich und setzt sich an einen der freien Tische auf der Veranda.

Geisterspiele in riesiger WM-Arena

Noch fünf Stunden sind es bis zum Anpfiff im heimischen Cape Town Stadium, der riesigen Multifunktionsarena, die für 280 Millionen Euro anlässlich der WM 2010 gebaut wurde. Dort, wo die DFB-Elf im WM-Viertelfinale mit 4:0 gegen Argentinien gewann, erwartet Ajax Cape Town die Platinum Stars – ein mittelprächtiger Gegner, sportlich sowie wirtschaftlich gesehen. Gerade einmal 5000 Karten sind im freien Verkauf. 5000 Plätze in einem Stadion, das 64.000 Zuschauer fasst! Später sollen gerade einmal 2500 Zuschauer kommen. Es wird einem Geisterspiel ähneln. Einen nachhaltigen Boom hat die WM in Südafrika nicht wirklich ausgelöst.

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Nur vier Tage zuvor wurden beim Heimspiel gegen die Kaizer Chiefs, dem aktuellen Ligaprimus, sage und schreibe 40.000 Karten verkauft – klarer Saisonrekord. Der Zuschauerandrang sei eben nur bei Spielen gegen die Chiefs und die Orlando Pirates, den beiden berühmtesten Klubs des Landes, groß, erklärt Grünewald und tränkt dabei mit einem Strohhalm die Eiswürfel seines Apfelsafts. Spiele von Ajax werden nur, wenn überhaupt, gegen die Topteams im Fernsehen übertragen. Dem Verein fehlt es an lukrativen Sponsoren und vor allem an TV-Geldern.

Es riecht in Afrika oft nach Korruption“

In diesem Moment berührt eine große, raue Hand die Schulter des Managers. Es ist Roger de Sá, 50, der Trainer der „Urban Warriors“ und Grünewalds engster Arbeitskollege. Dunkelbraune Haare, dichte Augenbrauen, dunkler Hauttyp. In der maßgeschneiderten Anzughose und dem weißen Hemd ähnelt der in Mosambik geborene Fußballlehrer James Bond, 007. Smart, leger, gutaussehend. Mit tiefer, warmer Stimme begrüßt er Grünewald und setzt sich für einen Moment an den Tisch. Das Arbeitsverhältnis zwischen Trainer und Manager sei hervorragend. Man tausche sich täglich aus und sei von den Grundideen her auf einer Wellenlänge, spricht Grünewald über den Mann, der bei der WM 2010 als Assistenzcoach der portugiesischen Nationalmannschaft arbeitete. Bis vor wenigen Monaten war de Sá noch Coach der Pirates, mit denen er 2013 auf beeindruckende Weise beinahe die afrikanische Champions-League gewann. Beeindruckend, weil er und sein Team auf dem Weg zum Vize-Titel mit massiver Korruption konfrontiert wurden. Im Achtelfinale gegen TP Mazembe aus Lubumbashi wollten die Pirates im Rückspiel bei den Kongolesen ihren 3:1-Vorsprung verteidigen. Die einheimische Polizei nahm vor dem Spiel Offizielle, Journalisten und TV-Leute fest und beschlagnahmte deren Handys. Die Kameraübertragung wurde dank brutalen Eingriffen unterbrochen. Es sollte keine Beweise für das geben, was später passieren sollte. Eine unberechtigte Rote Karte und zwei Elfmeter gegen die Pirates – dennoch verlor der Spitzenklub aus Johannesburg nur mit 0:1 und „gewann“ so gegen seinen Gegner und das Schiedsrichter-Gespann. „Es riecht in Afrika oft nach Korruption“, sagt Grünewald, doch beweisen könne man es nicht. Vor zwei Jahren habe es einen Lügentest in Südafrika gegeben haben, da seien drei der befragten Referees durchgefallen. Aber wen interessiert das schon.

Wie fast überall auf der Welt spielt Geld eine entscheidende Rolle. Wie groß das Gehalts-Gefälle in der PSL ist, macht sich vor allem an Itumeleng Khune bemerkbar. Während der Torhüter der Chiefs als Topverdiener der Liga im Monat 450.000 Rand, umgerechnet knapp 32.000 Euro, verdient, bekommt ein Jugendspieler bei Ajax, der gerade den Sprung in den Profibereich geschafft hat, 8000 Rand, das sind 600 Euro. Zum Vergleich: Ein Bundesligaspieler im selben Jugendalter verdient im Schnitt knapp 40.000 Euro. „Das ist ein großes Gefälle, oder?“, fragt Grünewald ungläubig, so als hätte er selbst noch nicht begriffen und stochert in seinem Beef-Burger, der ihm eben mit Pommes und Champignons serviert wurde. Von ihren Löhnen leben die Ajax-Kicker überdurchschnittlich gut, in ihren Townships sind sie die Stars. „Die Jungs haben gute Handys und fahren verhältnismäßig moderne Autos“, sagt Grünewald und deutet mit seinem rechten Zeigefinger auf einen auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten VW Polo.

Mit den letzten Bissen seines Burgers hat Max Grünewald zu kämpfen. Allzu groß war die Portion nicht, dennoch reicht sie, um den 1,87 Meter großen Manager sattzumachen. Das ist die Hauptsache. Anders ist die Mentalität der Spieler, die aus überwiegend armen Verhältnissen stammen. „Wenn unsere Spieler zum Mannschaftsessen kommen, wird sich der Teller so voll wie möglich geladen. Da liegt ein Tafelberg auf dem Teller“, schüttelt Grünewald den Kopf und schmunzelt, „ die Leben heute, nach dem Motto ‚was ich jetzt haben kann, das nehme ich auch jetzt‘.“ Ähnlich ist die Einstellung im Training und während der Spiele. An manchen Tagen scheint es, als könne das Niveau durchaus mit der deutschen 3. Liga verglichen werden, an anderen Tagen funktioniert dann nicht mal das Ballstoppen. Das Niveau schwankt zwischen Welt- und Kreisklasse. „Die Jungs leben in den Tag rein, denen fehlt einfach die Konstanz“, sagt Grünewald und zahlt die Rechnung. Daraufhin macht er sich auf den Weg in Richtung Stadion. In weniger als dreieinhalb Stunden ist Anpfiff.

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Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Vorm Stadion wird er nicht erkannt

„Who are you?“, fragt der dunkelhäutige Security-Mann mit der leuchtgelben Weste vorm Stadion. „I am Max Grünewald, Manager of Ajax Cape Town FC“, entgegnet Grünewald und hält dem Kontrolleur am Eingang der Tiefgarage seine Akkreditierung entgegen. Erst jetzt öffnet er die Schranke lässt den Manager in seinem hellbraunen Rover mit den beigen Ledersitzen passieren. Unvorstellbar, dass Matthias Sammer im Bauch der Allianz Arena nach seinem Namen gefragt wird. Hier sei eben alles entspannter, meint der unbekannte Manager Grünewald, er könne machen was er wolle, ohne am anderen Tag in der Zeitung zu stehen. Profi-Fußball im ganz kleinen Stil.

Zum Match gegen die Platinum Stars sind 2500 Fans gekommen. Das Spiel endet mit 2:1 für Ajax (→ zum Liveticker), in der Tabelle pirschen die „Urban Warriors“ auf den zweiten Platz. Max Grünewald ist zufrieden. Zufrieden mit dem Ergebnis und zufrieden überhaupt mit seinem Engagement in Südafrika. Es sei viel Potenzial im Verein vorhanden, das bei langem noch nicht ausgeschöpft sei. Gerne möchte Max Grünewald den Verein weiter vorantreiben, vielleicht sogar in absehbarer Zukunft den Titel holen. Die Stadt an der malerischen Atlantik-Küste und der dynamische Ausbildungsklub haben es ihm angetan. „Aber wenn die Gelegenheit kommt“, sagt er und runzelt die Stirn, „wäre ich bereit in den deutschen Profi-Fußball zu gehen“.

Max Grünewald sitzt immer noch vor seinem Bier im German Club. Die Austauschstudenten am Nachbartisch haben mittlerweile das Restaurant verlassen. Die „Sportschau“ neigt sich dem Ende zu. Das Spiel der Eintracht auf Schalke endete 3:3. Punkte im Kicktipp gibt das für Max Grünewald nicht. Zum Glück. Mit dem Ergebnis seiner Eintracht in weiter Ferne ist er mehr als zufrieden.

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Patrick Berger