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Das Greifswalder Abenteuer mit Real Madrid

Vor ein paar Wochen schrieb ein Klub aus Mecklenburg-Vorpommern Schlagzeilen. Von Spox bis Süddeutsche wurde berichtet, dass ein Sechstligist es sich getraut hatte, das große Real Madrid abzumahnen. Hintergrund: Der Solidaritätsbeitrag, der dem Greifswalder SV für die Ausbildung von Toni Kroos zusteht. Gestern die erlösende Mitteilung: Das erste Geld ist eingetroffen. Wir haben die Geschichte hinter der Nachricht.

Am Ende ging es dann doch ganz schnell. Eine kurze Pressemeldung, ein paar Klicks, und schon wusste die kleine Fußballwelt in Mecklenburg-Vorpommern Bescheid. Das erste Geld ist endlich da, eingegangen am 23. Dezember auf dem Konto des Greifswalder Sportvereins von 2004.

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Jene Summe, die dem Verein als sogenannter Solidaritätsbeitrag für die Mit-Ausbildung von Toni Kroos zusteht, der im Sommer für eine kolportiere Ablösesumme von 30 Millionen Euro den FC Bayern München in Richtung Real Madrid verließ, und somit dem Verein aus seiner Heimatstadt einen unerwarteten Geldregen bescherte. Um insgesamt 60.000 Euro soll es sich dabei handeln, gut die Hälfte  des Gesamtbetrages soll vor den Weihnachtsfeiertagen nach Greifswald überwiesen worden sein.

„Wir sind unwahrscheinlich glücklich, dass noch vor Weihnachten das erste Geld eingegangen ist. Das war ein langer Weg dahin, und dass wir das geschafft haben, macht uns glücklich, und auch ein bisschen stolz“, verrät Vorstandsmitglied Daniel Gutmann am Dienstagabend, ohne aber auf die genaue Summe eingehen zu wollen.

Hinter dem 31-Jährigen, der hauptberuflich in der Geschäftsführung einer Spedition arbeitet, und seinen Vorstandskollegen liegen turbulente Wochen und Monate. Besonders im Juli, als sich noch während der Weltmeisterschaft in Brasilien die Indizien für einen Kroos-Wechsel nach Spanien häuften, wurde es in der Hansestadt Greifswald tumultartig. Zahlreiche Presseagenturen und Zeitungen gierten nach Meinungen aus der Heimat des Mittelfeldstars, die Telefone glühten. „Das war ein Andrang, den wir wohl nie wieder erleben werden. Aber das war auch unwahrscheinlich spannend“, berichtet Gutmann noch heute ein wenig von der damaligen Euphorie angesteckt.

Bereits vor diesem Medientrubel, der sich mit der Verkündung des Wechsels rasch versammelt hatte, war in der Geschäftsstelle der Greifswalder eine interessante Nachricht eingegangen. Ein spanischer Jurist mit Sitz in Madrid, der gute Kontakte zum spanischen Fußballverband in seinem Schreiben erklärte, bot den anfänglich verdutzten Vereinsverantwortlichen seine Hilfe dabei an, den Anteil des Vereins an der Kroos-Ablösesumme zu sichern. Eine E-Mail, die dem Klub ziemlich unvorbereitet traf. Ihn aber auch gleichermaßen aufrüttelte. „Das war der Moment, mit dem uns klar wurde, dass es für den Verein um etwas gehen kann“, führt Gutmann fort.

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Daniel Gutmann

Der Klub macht deshalb innerhalb 30 Tage-Frist seine Ansprüche klar, „meldet sich an“, wie es der Vereinsoffizielle formuliert. Wie es danach weitergehen soll, ist für den Verbandsligisten damals aber noch völlig unklar.

Die Vereinsführung liest sich über Tage in Formalitäten ein, konsultiert sich auch mit dem Anwalt aus der spanischen Hauptstadt, der sich am Tag vor dem Finale gemeldet hatte. Letztendlich lehnt der Klub dessen Angebot ab.

Auch deutsche Kanzleien, die ein ertragsreiches Geschäft wittern, klopften in der Folge an. Jedoch waren die Türen schnell verschlossen, wie Gutmann weiter berichtet: „Wir hatten uns dazu entschieden, es alleine zu versuchen. Wir vertrauten dabei auf unseren Anwalt Thomas Stolpe, der ebenfalls im Verein engagiert ist. So konnte viel Geld für externe Anwaltskosen gespart werden.“

Was sich heute abgeklärt anhört, sollte sich in Wirklichkeit als kleines Abenteuer entpuppen. Inklusive der Klischees, die Fußballfans mittlerweile mit Fax-Geräten verbinden.

Denn nach einer schnell zustande kommenden Korrespondenz, in der sich Real Madrids Finanzdirektor  auf das etwas antiquierte Kommunikationsgerät-Gerät verlässt, bricht der Kontakt rasch ab. Mit ungewissen Folgen für die Greifswalder. Von einem „durchaus mulmigen Gefühl“ spricht Gutmann, wenn er sich an diese Episode der Posse erinnert.

Der Sechstligist mit seinen 450 Mitgliedern gegen den aktuellen Champions-League-Sieger aus dem ruhmreichen Stadtbezirk Chamertin? Ist das doch ein schier aussichtsloser Kampf? Gedanken und Fragen dieser Art beschäftigen die Personen hinter dem Amateurverein. Was sie nicht ahnen können: Auch in der Millionenmetropole am Jarama-Fluss machen sich die wirtschaftlichen Verantwortlichen ihre Gedanken. Denn  auch in Madrid erwartet man noch eine Antwort auf ein Fax, das jedoch nie in Mecklenburg-Vorpommern angekommen war. Schließlich erreicht eine aufklärende Mail das Präsidium um Schriftführer Daniel Gutmann. Erleichterung. Und neuer Schwung in der Sache.

Doch auch nach Auflösung der Kommunikationsprobleme ist die kleine Fußball-Welt in Vorpommern noch nicht perfekt. Der Zahlungszeitraum der gestellten Rechnung wird überschritten, obwohl sich der Verein um die entsprechenden Formalitäten sorgsam gekümmert hatte. Das erste Mahnschreiben wird per Fax, E-Mail und Einschreiben an die „Königlichen“ adressiert, in Deutschland wächst wieder das Interesse. Große Tageszeitungen wie die „Süddeutsche“ veröffentlichen entsprechende Agenturmeldungen, auf hochfrequentierten Sportportalen wird eifrig über die Meldung hinter der Überschrift „Sechstligist mahnt Real Madrid ab“ diskutiert. Eine Übertreibung, wie Gutmann heute darstellt: „Es ist ein ganz normaler Vorgang in der Geschäftswelt, dass mit sanften Worten auf ein Zahlungsversäumnis hingewiesen wird“, so der Sportvorstand. Der ergänzt: „Wäre immer noch kein Geld angekommen, hätten wir vielleicht bei der letzten Vorstandsitzung eine zweite Mahnung beschlossen. Der Vorgang ist gewöhnlich, nur der Adressat ist in der Tat speziell.“

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Enttäuschung über den schleppenden Prozess, der sich fast über ein halbes Jahr erstreckte, sucht man beim GSV übrigens vergeblich. „Business is usual“, heißt es von der Küste, wo man sich keine Sorgen mehr um die weitere Zahlungsmoral aus Madrid macht, auch wenn bisher nur ein Teil der Gesamtsumme eingetroffen ist.

Und das Geld? Das wird in vor allem in das sanierungsbedürftige Philipp-Müller-Stadion investiert, wie der Verein am Dienstag mitteilt.

Ebenfalls mit reichlich Stolz in die Pressemittelung vermerkt: Ein mögliches Treffen mit Toni Kroos. Demnächst steht deshalb ein Vereins-Besuch auf der iberischen Halbinsel an. Daniel Gutmann hat dabei neben der Vorfreude über ein mögliches Gespräch mit Toni Kroos, bei dem als Dank ein aktuelles Greifswald-Trikot und die in Abwesenheit zugesprochene Vereins-Ehrenadel überreicht werden soll, noch einen Auftrag im Gepäck: „Wir möchten ihm doch bitte beste Grüße vom Herrn Oberbürgermeister der Stadt Greifswald, Arthur König, bestellen, und ausrichten, dass sich die Stadt sehr über einen weltmeisterlichen Besuch freuen würde.“

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.