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BTB streitet: Darf der HSV mehr TV-Geld fordern?

Dreiste Forderung oder überfällige Veränderung – das ist hier die Frage. HSV-Marketingchef Joachim Hilke will sich alsbald an die Verteilung der TV-Gelder ranmachen. Mehr als zuletzt will er für den HSV von der DFL einstreichen. Mit einer banalen Begründung: Tradition ist mehr wert als Retorte. Unsere Schwergewichte Martin Sonnleitner und Hannes Hilbrecht nahmen sich Hilkes Vorhaben vor und argumentieren nun ebenfalls.

Foto: hammoniaview.de

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Martin Sonnleitner argumentiert PRO HSV
“ Alle schmücken sich mit den Lorbeeren dieser Vereine, die Legenden produziert und die DNA der Bundesliga mitkreiert haben.“

HSV-Marketingchef Joachim Hilke ist smart, höflich, intelligent und ein blendender Verkäufer. Nun forderte er am Rande des Trainingslagers in Dubai in einem Interview, 2017, wenn der Verteilerschlüssel für die TV-Gelder neu austariert wird, diesen neu zu justieren. Immerhin sei der HSV Hauptquotenbringer der Cashcow Pay-TV. „Trotz der vergangenen Saison mit Tabellenplatz 16 hatten wir die zweitgrößte Reichweite aller Bundesligaclubs“, rechnete das Vorstandsmitglied der „Rothosen“ im Abendblatt-Interview vor.

Der Grund: Der HSV ist ein Traditionsverein und somit um Ellenlängen attraktiver als krude Retortentruppen wie die TSG Hoffenheim oder gelackte Werksensembles à la Bayer Leverkusen, der dem chronisch klammen Bundesliga-Dino und sechsmaligen zudem noch die besten Spieler (Calhanoglu, Son) mit Chemie-Zaster regelmäßig wegkauft. Doch der HSV hat auch eine beispiellose sportliche und wirtschaftliche Talfahrt hinter sich. Die sagenhafte Tradition – immerhin liegt der letzte Titel mit dem DFB-Pokalsieg über 28 Jahren zurück – ist somit auch die letzte Patrone, Hilke als oberster Hüter der Raute als Marke inszeniert dies bewusst und professionell.

Bereits 2010 hat auch Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in selbiges Horn geblasen, denn auch der BVB vehilft der Liga zu diesem einzigartigen Ruf: Dabei geht es um Imagepflege einer Liga, die vom Dachverband Deutsche Fußball Liga zwar mit Millionen gemästet wird, aber durch verwickelte Vereinbarungen bezüglich Investoren-, Mäzen- und Konzernen, hinter denen auch nicht selten die internationalen Dachverbände UEFA und FIFA stehen, immer künstlicher geworden ist. Die nächsten Artefakte werden die lauernden Zweitliga-Hotspots Red Bull Leipzig und FC Ingolstadt sein. Dem HSV und BVB (und Kaiserslautern) bleibt eines: Mit Blut, Schweiß, Tränen und Tradition zu kontern und zu argumentieren.

Insofern hat Hilke recht, wenn er mehr Knete aus den TV-Rechten fordert; höflich wie er ist, will er den Dialog und Konsens mit den anderen Vereinen, zollt den mit fremden Zaster vollgepumpten, längst reüssierenden Vereinen ohne glänzende Vergangenheit seinen Respekt. Während der HSV die vergangenen Jahre zum Gespött der Liga mutierte und selbst das zuvor über Jahre bei Heimspiele rappelvolle HSV-Stadion immer ausgedünnter scheint, mussten sie von allen Bundesligavereinen in der Hinrunde die meisten Sonntagsspiele bestreiten, ohne im europäischen Wettbewerb zu sein. Die Hamburger sind somit die Moneymaker eines quotenschwierigen Sonntagnachmittag, auch als internationales Zugpferd der von der DFL nicht zufriedenstellenden Auslandsvermarktung. Pro Sonntagnachmittag würden Einnahmen zwischen 150.000 und 250.000 Euro verloren gehen, zeterte Hilke. Chapeau also, dass hier nicht gejammert, sondern klug argumentiert wird. Alle schmücken sich mit den Lorbeeren dieser Vereine, die Legenden produziert und die DNA der Bundesliga mitkreiert haben. Potentielle Einschaltquoten müssen somit bei der TV-Geld-Verteilung mit berücksichtigt werden.

Hannes Hilbrecht argumentiert Contra HSV

„Vernünftig arbeiten, ansehnlichen Fußball spielen, und sich so einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz erarbeiten.“

Lieber Martin, vielen Dank für deine Argumente. Ich mache es erst einmal ungewöhnlich kurz: Ich stimme dir nicht zu!

Im Gegenteil. Meine Forderung, was die Inlandsvermarktung betrifft: Gleiches Geld für alle! Es ist ja sehr löblich, wie du es ja auch in deinen Zeilen umfassend betont hast, dass Joachim Hilke sachlich und bemüht durchdacht argumentiert, und es vermeidet, in den Jargon des Populismus abzudriften. Das spricht für ihn, und somit auch für den HSV.

Für mich geht seine Argumentation aber an etwas Grundsätzlichem vorbei. Es geht bei der Vermarktung der Fernsehgelder nicht vordergründig um die Vereine, sondern um die Marke Bundesliga. Und diese Marke besteht nicht aus den sechs, sieben verbliebenen Traditionsklubs, sondern aus allen Vereinen, die in der Bundesliga spielen. Die ihren Beitrag dafür leisten, dass es überhaupt diese große Fernsehbühne für die Traditionalisten im deutschen Fußball geben kann.

Ich lehne den Vorschlag also kategorisch ab. Im Gegenteil, mir waltet die Gerechtigkeit noch nicht tief genug. Alle Vereine, die in der Bundesliga spielen, sie aktiv mitgestalten, sollten exakt das gleiche TV-Geld bekommen. Egal ob sie direkt am Anfang oder am Ende der Sportschau gezeigt werden. Völlig unabhängig davon, ob beim edlen Samstagkick zwischen Hoffenheim und Paderborn 50.000 Zuschauer vor den Fernsehern hocken, und sich zeitglich drei Millionen den mäßigen Kick HSV gegen Werder bei Sky anschauen. Warum? Ganz einfach: Auf der zweiten Ebene mögen das zwar HSV-interessierte Fußballfans sein – es sei dahingestellt, ob leidender Anhang oder schadensfreudige Schaulustige – in erster Linie sind das aber Bundesligafans. Und die Bundesliga ist eben nicht nur Bayern, Dortmund, Hamburg und Schalke, sondern – zum großen Glück – auch Paderborn, Mainz und Augsburg.

Was noch dazu kommt: Der HSV besitzt doch längst die Instrumente, um von den TV-Übertragungen stärker als andere Vereine zu profitieren. Stadionwerbung bei Heimspielen, dazu bei jeder Partie die zugepflasterte Sponsoren-Brust. Und dazu Eigenwerbung für Merchandise und neue Mitglieder. Durch diese Vermarktungsoptionen kann man die allgemeine Reichweite und sein Image zu Geld machen. Vorteile gegenüber anderen, den von dir gegeißelten Teams erzielen.

Und jetzt gehen wir an das  Wesentliche. Angenommen, dass Wunschszenario der HSV-Marketingabteilung tritt ein. Sie bekommen mehr Geld, kleine Vereine müssen im Verhältnis  Einbußen beklagen – was wären denn die Folgen? Richtig. Die Liga zieht sich noch mehr auseinander und wird gewissermaßen zu einem Pattex-Konstrukt. Für die kleinen Helden, wozu ich Paderborn und Augsburg zähle, würde das Abenteuer Bundesliga zusehends unerschwinglich werden, weil die Etablierungschancen durch die verhältnismäßige Abnahme der monetären Ressourcen schwinden würden.

Wahrscheinlich steigen Aufsteiger, die sich in vielen Fällen mühsam die Chance Bundesliga erarbeitet haben, schnell und kläglich wieder ab. Will ich das als Fußballromantiker? Gewiss nicht.

Klubs wie Bayern, die bekanntlich jeder sehen will, schießen dagegen weiter empor! Aber warum will  jeder die Bayern sehen?  Weil es diesen Liga-Kontext mit 18 Mannschaften und all den Szenarien, über die wir Fußballenthusiasten nur allzu gerne schwadronieren, gibt. Es ist die Attraktivität vom Kampf des Kleinen gegen den Großen, die Chance auf einen Upset. Ich, als neutraler Fan, schaue Bayern-Paderborn doch nicht nur wegen des FC Bayern, sondern aus einem Szenario heraus, für das beide Vereine zu gleichen Teilen sorgen.

Ich habe vorhin bewusst den englischen Begriff für Außenseitersieg verwendet. Was wäre nach der Hilke-Vorstellung die Alternative? Vielleicht ein höchst liberales, amerikanisches Sport-Vermarktungsmodell?

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Nein. Diesen libertären Proporz brauchen wir nicht. Und auch nicht den daraus folgenden Salami-Irrsinn, der entstehen würde, wenn sich Vereine irgendwann selber ins Programm diktieren könnten. Jeder Verein aus dem Oberhaus sollte als gleichwertiges Mitglied des Gesamtproduktes zu gleichen Teilen am TV-Portemonnaie  partizipieren, und nicht nach Name und Reichweite ab- und hochklassifiziert werden. Das würde die Liga auf lange Sicht nämlich noch unausgeglichener und somit unattraktiver machen. Und auf lange Sicht den Preis drücken.

Deshalb mein Ratschlag an den HSV: Vernünftig arbeiten, ansehnlichen Fußball spielen, ein eigenes, neues Image kreieren, egal ob durch den Sport und den Rahmen – und sich so einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz erarbeiten.

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Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.