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Kiels Trainer Karsten Neitzel im großen Weißwein-Interview

Der KSV Holstein waren schöne Festwochen versprochen, hatten sich die Kieler doch klar mit 4:0 im Ostseederby gegen Hansa Rostock durchgesetzt. Am Abend zuvor saß BLOG-TRIFFT-BALL noch gemütlich bei Alster und Weißwein mit Kiels Trainer Karsten Neitzel zum Hinrundenabschluss-Gespräch zusammen. Das weit über 20-Fragen-lange Interview – jetzt hier lesen. Wo denn auch sonst?

Foto: calcio-culinaria.de

 

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Hallo Herr Neitzel, wir treffen Sie am Abend vor dem Spiel bei einem Glas Weißwein. Ist das der Normalfall?

Nein, eigentlich gar nicht. Normalerweise bin ich um die Zeit bereits auf dem Zimmer. Da ich aber heute noch einen Termin mit Ihnen habe, ist zur Ausnahme auch ein Gläschen Weißwein erlaubt.

Wie sieht es mit den Spielern aus?

Ich habe kein Problem damit, wenn es für sie ein Abendgetränk gibt. Ein Bier ist okay.

Andreas Reinke hat einmal salopp zusammengefasst gesagt: Die Mannschaft, die Abends weggeht oder auch gelegentlich zusammen einen trinkt, ist besser als die Truppe, die artig für sich alleine zu Hause sitzt.

Es ist einfach, in Dinge etwas hinein zu interpretieren. Zu sagen: Die sind jetzt gut, weil sie alle gute Kumpels sind. Natürlich ist das auch so. Aber woraus entsteht so eine Situation überhaupt? Meiner Meinung nach aus gemeinsamen Erfolg. Wenn es sportlich läuft, dann harmoniert es meistens in einer Truppe.

Kontrollieren Sie dann mit Strenge die Sperrstunde bei Auswärtsfahrten?

Ich vertraue den Spielern. Weder mit dem einen „Gute-Nacht-Getränk“ noch mit der Einhaltung der Bettruhe um 23 Uhr gab es bisher Probleme.

Haben Sie eigentlich ein bestimmtes Ritual? Wird noch einmal das letzte Spiel des Gegners angesehen, oder gibt es andere Ablenkungen vor einem wichtigen Spiel?

Nein, die Spielanalyse ist um diese späte Zeit bereits abgeschlossen. Wir haben uns nach dem Abendessen Videos angesehen und uns zur Besprechung zusammengesetzt. Demnach ist dieser Punkt der Vorbereitung, den wir bereits in Kiel begonnen hatten, abgehakt.

Videoanalyse ist ja so ein spannender Begriff. Zumindest für Fußballlaien. Wie lange dauert das, und vor allem: aus welchen Spielen wird sie zusammengestellt? Immerhin ist es doch unmöglich, 21 Partien zusammen zu fassen.

Es gibt ja zwei Analysen. Die Gegnervorbereitung, die Sie sicherlich meinen, übernimmt federführend Jan Sandmann als Co-Trainer. Er schaut sich meistens die letzten beiden Spiele des Gegners genau an, schneidet daraus einen acht- bis zehnminütigen Clip zusammen. In diesem fließen auch die Bewertungen unseres Scouts ein, der mindestens eine, in der Regel aber zwei Partien unserer Gegner im Saisonverlauf vor Ort beobachtet hat.

Und die Zweite?

Um die Analyse unseres Spiels kümmere ich mich als Cheftrainer. Ich schneide mir 20 bis 30 Szenen heraus und füge sie zusammen, zeige dann anhand der Videos, wo wir Fehler begangenen haben. Meistens absolvieren wir diese Trainingseinheit im Besprechungsraum zum Ende der Woche. Die Jungs sollen die Fehler, die sie im letzten Spiel gemacht haben, unmittelbar vor dem nächsten Spiel gezeigt bekommen, damit die Erinnerungen am Spieltag noch möglichst frisch sind. Da verfährt aber jeder Trainer anders. Zur Vorstellung: An der Vorbereitung einer 45-minütigen Sitzung sitzt man meistens vier bis sechs Stunden, manchmal aber auch einen ganzen Tag.

Insgesamt ist mir in meiner Analyse aufgefallen: Bei der KSV Holstein läuft es richtig gut. Sind sie auch zufrieden?

Ich denke, wir können sehr zufrieden sein. Wobei sich natürlich die Fragen stellen, inwieweit vielleicht mal ein Punkt oder gar ein Sieg verschenkt wurde. Generell halte ich nicht sonderlich viel von dieser ganzen Rechnerei. Da es einfach auch Spiele gab, in denen wir Glück hatten.

Gab es dann ein Schlüsselspiel, welches sie als besonders wichtig klassifizieren würden?

Gleich zu Beginn der Saison, am zweiten Spieltag bei der U23 von Borussia Dortmund. Wenn wir in Dortmund verlieren und uns nicht so ein starkes Comeback gelingt, dann kann es passieren, dass eine ganz schlechte Stimmung aufkommt, da schon das 0:0 gegen Haching nicht den Erwartungen entsprach. Das 2:2 nach dem schnellen 0:2-Rückstand war für uns ein sehr wichtiges Resultat.

Und der schönste Sieg?

Auch wenn es platt klingen mag: Ich freue mich über jeden Sieg.

Das reicht mir nicht.

Für mich persönlich war Dresden ein Highlight. Englische Woche, volles Stadion, viele alte Bekannte auf der Tribüne und Flutlicht. Und dazu gewinnst du als Außenseiter mit 2:1.

Apropos Highlight. Top-Stürmer Addy Menga aus Osnabrück sagte letztens: „Die Kieler, die spielen am härtesten.“ Ist das Kompliment angekommen?

Jetzt ja. Natürlich ist es schön, wenn ein Top-Stürmer der Liga sowas über unsere Mannschaft sagt. Die Anerkennung nehmen wir wahr, ruhen uns aber nicht darauf aus.

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Allgemein überzeugt die Defensive. Man sagt ja, dass der Trainer mehr Einfluss auf das Abwehr- als auf das Angriffsspiel hat. Stimmen Sie zu?

Wenn man es richtig einordnet, dann kann ich dem schon zustimmen. Der Einfluss ist halt dadurch größer, dass es die Möglichkeiten gibt, bewusst das Pressing zu trainieren. Du kannst mit deiner Mannschaft einstudieren, wie sie zu verteidigen und zu stehen hat. In der Defensive gibt es nicht ganz so viele Stellschrauben, an denen gearbeitet werden kann, wie es im Offensivspiel der Fall ist. Der eigene Ballbesitz lässt sich schwerer trainieren, weil man sich gar nicht auf alle Konstellationen einstellen kann, die bei eigenem Ballgewinn entstehen. So ist viel mehr von der individuellen Stärke der Spieler abhängig.

Nun steht morgen das letzte Spiel vor der Winterpause an. Ist das besonders wichtig, weil es eben das letzte Spiel vor dem Jahreswechsel ist?

Es gibt ja auch dort nur drei Punkte zu holen. Wichtig ist deshalb vor allem, zu verhindern, dass sich der Schlendrian einschleicht. Es ist das letzte Spiel, und die Gedanken gehen langsam Richtung Urlaub. Ich kenne es ja selbst als Spieler: Auch wenn null Absicht dahinter steckt, kann es passieren, dass ein paar Prozente fehlen. Dann kann es auch mal eine Auswechslung nach 15 Minuten geben.

Tat Ihnen schon einmal eine Herausnahme Leid?

Nein, das gar nicht. Ich habe ja Positives für die Mannschaft im Sinn, möchte einen Impuls geben. Ich habe eher ein schlechtes Gefühl, wenn es 13 Spieler verdient haben aufzulaufen, ich allerdings nur Platz für elf habe. Diese Situation ist einfach unangenehm.

Wird Sie noch unangenehmer, weil es im Winter neue Spieler und somit zusätzliche Konkurrenz gibt?

Momentan ist nichts dergleichen geplant.

Momentan?

Es gibt Spieler in dieser Liga, die würde man gerne verpflichten. Nun kann es sein, dass im Winter eine bestimmte Sachlage entsteht. Ein Spieler, von dem man es nicht erwartet hatte, ist auf einmal auf dem Markt. Dann wäre es ja falsch, sich nicht damit zu beschäftigen. Stand jetzt ist aber nichts Konkretes angedacht.

Sie schließen es nicht aus.

Es ist unsere Pflicht, die Leistung und Qualität der Mannschaft anzuheben. Wenn sich die Möglichkeit bietet, werden wir sie sicherlich abwägen. Außerdem ist die Transferperiode lang, bis zu deren Ende kann noch einiges passieren, da man Verletzungen nicht ausschließen kann.

Naja, man könnte sich ja auch gleich in Richtung Aufstiegsplätze orientieren und nachlegen.

Wir schauen aber erst einmal nach unten. Wenn der Klassenerhalt gesichert ist, dann kann man andere Ziele anpeilen. In dieser Liga steckt so viel Dynamik, sodass man innerhalb eines Monats unter reinrutschen kann.

Oder nach ganz oben. Der Abstand ist gering.

Mir ist das zu kurz gedacht. Na klar, von den Punkten her ist es machbar. Nur stehen nicht drei Mannschaften vor uns, sondern neun. Und wenn du auf den Relegationsplatz möchtest, muss man sieben, acht Teams überholen. Und das dürfte schwierig werden.

Wir haben jetzt viel über die Spieler gesprochen. Wie sieht es bei Ihnen aus, ihr Vertrag läuft aus?

Bei mir ist die Lage nicht anders als bei unseren Spielern, die ebenfalls bis Juni 2015 einen Vertrag besitzen.

Spielt das schon eine Rolle bei möglichen Spielerverpflichtungen?

Es ist sicherlich nicht unerheblich, wenn man mit Spielern spricht. Das tun wir ja bereits jetzt im Hinblick auf die kommende Saison, um möglichst früh einen Kontakt zu den Personalien herzustellen. Die Spieler wollen dann ab und an auch wissen, wie es mit dem Vertrag des Cheftrainers aussieht. Ich bin jedenfalls gespannt.

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Zum Abschluss Herr Neitzel. Gefällt Ihnen mein Rostock?

Ich habe hier immer gerne gespielt, besonders damals im alten Ostseestadion. Das war immer voll, die Stimmung gut. Außerdem ist das Hotel super. Hier bin ich früher schon mit dem SC Freiburg abgestiegen, und die wissen mit den Jahren einfach genau, was eine Fußballmannschaft benötigt. Zum Beispiel, dass beim Essen Leinwände aufgebaut sind, wo die 2. Bundesliga läuft oder dass die Besprechungsräume sehr gut vorbereitet sind.

Herr Netziel, vielen Dank für das gute Gespräch.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.