Nach 45 Minuten Profifußball – so blöd kann’s laufen.
Clemens Lange galt als Supertalent in Rostock. Groß, wuchtig im Angriffsspiel, immer torgefährlich. Nicht mal zwanzig war er, als er im DFB-Pokal 45 Minuten gegen den VfB Stuttgart ran durfte. Das war es mit dem echten Profifußball. Denn danach folgten St. Pauli, Lübeck und Babelsberg, dazu Torgelow, Eutin und Wismar. Ein Gespräch über seinen Werdegang, über Probleme und Perspektiven, den letzten sportlichen Traum. Über Holger Stanislawski und Dietmar Demuth.
Herr Lange, es ist Samstagnachmittag und sie schauen Sport im Osten. Warum sind Sie eigentlich nicht als Bestandteil dieser Sendungen bekannt? Vor ein paar Jahren galten Sie noch als Riesentalent.
Ich denke, ich war damals einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.
Was meinen Sie damit?
Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Die Rostocker Zeit war super. Sowohl in der Jugend, als auch wenig später bei den Amateuren lief es fantastisch, und da Timo Lange, mein Trainer bei den Amateuren, Assistenztrainer von Frank Pagelsdorf wurde, war auch der Schritt zu den Profis ganz nahe.
Dennoch haben Sie kein einziges Ligaspiel für die Profis bestritten.
Das ist richtig. Bis auf die 45 Minuten im DFB-Pokal gegen den VfB Stuttgart hat es tatsächlich nicht für weitere Einsätze gereicht, und das obwohl ich eigentlich Stammgast im Training der ersten Mannschaft war.
Ihr habt damals gegen den VfB Stuttgart gewonnen. Sie wurden zur Halbzeit für Rade Prica eingewechselt und waren daran beteiligt, wie die Mannschaft in die nächste Pokalrunde eingezogen ist. Wieso hat es danach nicht weiter geklappt?
Ich habe nicht mein bestes Spiel gemacht, das ist völlig klar. Und der Boulevard meldete dann auch sofort, dass das Sturmtalent zur aufgeregt für den Profifußball sei. Ich glaube, es stand sogar damals in einer gewissen Zeitung, dass ich Höllenqualen in diesem Spiel durchlitten hatte. Das war natürlich völlig übertrieben, blieb aber, wie es bei manchen Medienmeldungen eben so üblich ist, danach an mir hängen.
Waren diese 45 Minuten schon das Ende der Fahnenstange?
Nein, eigentlich im Gegenteil. Ich hatte auch danach das Gefühl, dass ich weiterhin ganz nah dran wäre. Ich saß vor dem Spiel gegen Stuttgart schon in Aue auf der Auswechselbank und auch am Wochenende darauf stand ich gegen Unterhaching im Aufgebot. Geärgert habe ich mich ein bisschen, als ich in diesem Spiel nicht eingesetzt wurde. Der Sieg schien eingetütet, es waren nur noch zehn Minuten zu spielen und eigentlich rechnete ich fest damit, dass jetzt meine Zeit gekommen wäre. Aber auch als ich dann doch nicht eingesetzt wurde, hatte ich weiterhin das Gefühl, dass ich dazu gehöre, da mir der Trainer das immer wieder signalisiert hatte.
Wann kommen wir zur „falschen Zeit am falschen Ort“?
Die Winterpause. Im Trainingslager war ich verletzt, sodass ich mich nicht richtig empfehlen konnte. Und dann wurde zum Ende der Vorbereitung Enrico Kern aus Regensburg verpflichtet. Auf einmal stand ein weiterer Spieler zwischen mir und den Einsatzzeiten, der zu meinem persönlichen Leidtragen hervorragend spielte und regelmäßig traf.
Sie wurden anschließend, im Sommer 2006, zum FC St. Pauli ausgeliehen. Wie kamen Sie mit diesem Wechsel klar?
Ich wurde sensationell aufgenommen. Und das trotz meines etwas missglückten Einstands, den ich im ersten Training hingelegt hatte.
Was war passiert?
Ich habe unserer Nummer 1 das Kahnbein gebrochen. Allerdings nicht bei einem Zusammenstoß, sondern mit einem etwas zu harten Torschuss. Aber dieses Malheur änderte nichts daran, wie sehr sich um mich gekümmert wurde. Alle waren sehr nett, Fabian Boll und andere Teamkollegen boten mir ihre Hilfe an und auch der Verein zeigte sich engagiert. Wir haben zum Beispiel eine gemeinsame Kieztour unternommen.
Rostock und St. Pauli. → Eigentlich nicht ganz unproblematisch.
Ich hatte überhaupt keine Probleme. Es war völlig egal, wo du herkamst oder wie alt du warst, jeder gehörte einfach dazu. In Sachen Unterstützung sind beide Fan-Lager natürlich großartig. Ob im eigenen Stadion oder auswärts, die Unterstützung der Fans war immer da. Ich würde sogar sagen, dass sich die unterschiedlichen Anhänger in ihrer Leidenschaft für den jeweiligen Verein nicht unterscheiden.
Sie waren Anfang zwanzig und haben unter Pagelsdorf, Bergmann und Stanislawski gespielt. Was hat man da mitgenommen?
Von allen Trainern, für die ich gespielt habe, konnte ich Dinge lernen und damit mein Spiel optimieren. Wobei Stanislawski schon Weltklasse war, weil er mir am meisten vermittelt hat.
Was war das zum Beispiel?
Er hat mich darin bestärkt, meine Position nach meinen Qualitäten zu definieren. Er meinte, und das hat mir sehr geschmeichelt, ich sei ein Typ wie Ulf Kirsten. Jemand, mit dem er außerhalb des Strafraums Kaffee trinken könnte, im Sechszehner aber durch Wände laufen müsste. Durch seinen Witz und seine Motivation hat er mir sehr geholfen, und das trotz meiner mageren Einsatzzeit.
Wo lag der Fehler, den Sie zu dieser Zeit begangen haben?
Als ich nach Rostock zurückging, habe ich mich nicht noch einmal ausleihen lassen. Rostock war aufgestiegen und mir wurde zu verstehen gegeben, dass ich zu den Amateuren müsste. Aber ich wollte mich durchbeißen und den Weg zurück zu den Profis schaffen. Rückblickend wäre es sinnvoller gewesen, in einer ersten Mannschaft als Leihspieler weiter zu machen. Einfach um die Trainings und die Erfahrung anderer gestandener Spieler für meine Entwicklung zu nutzen.
Aber auch nach Rostock hat es in Babelsberg nicht so wirklich funktioniert.
Ich möchte das nicht auf andere schieben, aber gerade für Talente ist es wichtig, von den Trainern in den eigenen Stärken gefördert zu werden. Dietmar Demuth hatte mich kein einziges Mal live in Aktion gesehen, bevor er mich nach Babelsberg holte, sondern nur meine guten Oberliga-Statistiken registriert. Ich spielte nämlich oft auf den offensiven Außenpositionen. Das hatte ich vorher nur selten getan, weil meine Stärken ganz einfach woanders lagen.
Wann kam dann der Punkt, an dem für Sie feststand, dass es mit der Profikarriere doch nicht klappen würde?
In Lübeck. Ich hatte dort einen Vertrag über eineinhalb Jahre bekommen und war, wie ich finde, im ersten Jahr nicht besonders gut, aber solide in meinen Leistungen. Im Sommer wollte man mich loswerden und ich wurde suspendiert.
Man wird ja eigentlich nicht grundlos suspendiert.
Der Verein begründete es damit, dass ich angeblich ein Dauergast im Lübecker Nachtleben wäre. Das stimmte weder in der Sache, noch war ich damals überhaupt ein Typ, der sich abends gerne in Lokalen herumtrieb.
Also nach Lübeck der Cut in Sachen Profifußball?
Dazwischen gab es noch eine Perspektive in Bochum. Rouven Schröder, der heute für Werder Bremen arbeitet und den ich noch aus Lübeck kannte, war damals Co-Trainer von der zweiten Mannschaft des VfL Bochum. Er hatte mitbekommen, dass ich vereinslos war und rief bereits am Folgetag meiner Suspendierung an, um mich für die Amateure vom VfL zu überzeugen. Ich saß auf gepackten Koffern, war fokussiert auf diese Herausforderung. Dann gab es das Veto aus der sportlichen Führung.
Wie war es für Sie, den Traum Profifußball begraben zu müssen?
Ich hatte das Glück, dass ich in Rostock eine Berufsausbildung zum Umwelttechniker erfolgreich absolviert hatte. Also fiel ich nicht in ein berufliches Vakuum, sondern wusste schon etwas Gescheites mit mir anzufangen. Wichtig war der Entschluss, den ich zu diesem Zeitpunkt fasste: Fußball und Arbeitsleben verbinden und fortan miteinander in Einklang bringen.
Dennoch haben Sie Mecklenburg-Vorpommern noch einmal verlassen und sind nach Eutin gegangen. Wieso ging es so schnell zurück? War es die Vernetzung zwischen Arbeit und Berufsleben?
Es war eigentlich alles super in Eutin. Sportlich lief es für mich und auch wenn wir zum Ende eine kleine Negativserie durchliefen, war ich mit dem Fußballspielen sehr zufrieden. Ich hatte jedoch private Probleme, sodass ich mich danach sehnte, näher an meiner Familie zu sein. Ich bin Arend Knoop, dem Verantwortlichen in Eutin, verdammt dankbar, dass er mir das ermöglich hat. Er sagte zwar, dass er mich sportlich halten müsste, er meine persönlichen Gründe aber menschlich nachvollziehen könnte.
Wieso denn wieder Wismar? Gefühlt hatte ganz Fußball-Mecklenburg um dich gebuhlt.
Weil Wismar ein Paket für Fußballer schnürt, das die Bedürfnisse eines Amateurfußballers sehr gut abdeckt. Damit meine ich vor allem die berufliche Perspektive, die mir in diesem Fall geboten wurde. Zudem ist Anker ein Verein, der ambitioniert ist und sportliche Ziele verfolgt, mir aber gleichzeitig die Chance einräumt, mich langsam einzufinden.
Lockte auch die Oberliga, die ja stark angepeilt wird?
Bevor das so weit ist, müssen wir aber noch viele Aufgaben bewältigen. Ich weiß, das ist eine der typischen Fußballfloskeln. Aber im letzten Jahr scheiterte man daran, dass Waren die vermeintlichen Pflichtaufgaben souverän gelöst hat, wir aber immer wieder patzten.
Wie sieht es bei Ihnen persönlich aus. Der Fall Stroh-Engel zeigt ja, dass man Talente nicht vorzeitig abschreiben sollte. Gibt es noch die Hoffnung, dass noch ein vergleichbarer Sprung gelingt?
Dafür müssten sich ja erst mal ein paar Scouts in die Verbandsliga Mecklenburg-Vorpommern verirren.
Demnächst wartet ja das Schaufenster Landespokal.
Darauf freue ich mich sehr. Vor allem darüber, dass wir im großen Stadion gegen Hansa spielen dürfen.
Nicht wollt, sondern könnt ihr gewinnen?
Gewinnen kann man jedes Spiel. Ich denke, es wird wichtig sein, dass wir mit einem richtigen Lauf nach Rostock kommen. Dann haben wir gute Chancen. Vorausgesetzt natürlich, wir halten das Spiel möglichst lange offen.
Nun wartet ja dieses kleine Karrierehighlight. Sind sie frustriert, dass sich die Chance für Sie am Ende nicht dauerhaft ergeben hat?
Zunächst einmal bin ich eher froh für all die Jungs, die es gepackt haben. Kai Bülow, → Tobi Jänicke und alle anderen, die ich noch vom Hansa-Nachwuchs kenne. Ich denke, der FC Hansa hätte mehr auf den eigenen Nachwuchs setzen müssen. Anstatt nur von anderorts Spieler zu holen, hätte das mit noch mehr Eigengewächsen kompensiert werden müssen.
Ist es auch nicht generell schwerer geworden, sich als Profi zu etablieren? Ich persönlich habe das Gefühl, dass es mehr gute Kicker als noch vor ein paar Jahren gibt.
Ja, das sehe ich genauso. Es mag sich merkwürdig anhören, weil ich auch erst 28 bin, aber man merkt halt, dass mittlerweile viel moderner gearbeitet wird. Die Jungs werden nach besseren Konzepten ausgebildet, da sich gerade die Profivereine in ihrer Nachwuchsarbeit systematisch verbessert haben. Und dadurch gibt es mehr Talente, die um die begehrten Plätze kämpfen. Dazu kommt noch, dass ich generell einen Standortnachteil für Talente aus dem Osten sehe.
Wie meinen Sie das?
Die Leistungsdichte ist hier oben halt geringer. Es ist schwer, sich früh in der Jugend mit anderen Gleichstarken zu beweisen. Die Spieler, die beispielsweise im Ruhrpott aufwachsen und dort spielen, haben eine ganz andere Konkurrenzsituation zu bestehen. Und dadurch, dass sie von früh an so gefordert werden, haben sie es am Ende etwas leichter.
Wann kamen Sie zu dieser Erkenntnis?
Relativ früh. Bei den Länderturnieren boten sich ja gute Vergleichsmöglichkeiten. Und bei Spielern wie Kucukovic oder Polanski von Hoffenheim, der damals in Gladbach spielte, war mir sofort aufgefallen, dass sie reifer sind. Mit Druck besser umgehen können und mehr Übersicht in der Hektik besitzen. Was, denke ich, daran lag, dass sie einfach an diese Momente besser angepasst waren. Damit großgeworden sind.
Bei diesen Ländern einmal Manuel Neuer überwunden, der ja ein ähnlicher Jahrgang sein müsste?
Nein, das nicht. Aber gegen die Boatengs habe ich in der Jugend mit Hansa gespielt. Gegen Jerome sogar häufiger im direkten Duell. Da erinnert man sich schon dran und sagt sich: Uih, der ist jetzt Weltmeister.
Herr Lange, zum Abschluss: Was haben Sie jetzt, mit 28, noch vor im Fußball?
Ich möchte den Landespokal gewinnen um noch einmal im DFB-Pokal spielen. Und wenn das klappt, bitte sofort in Runde eins gegen die Bayern. Dann mache ich am Tag danach direkt Schluss. Das wäre ein Traum, der ganz nach meinem Geschmack wäre. Mein Wunschkarriereende sozusagen.