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„Mich haben die Schicksale der Angestellten geplagt“

Tobi Jaenicke, 26, ist gebürtiger Mecklenburger. Er stieg einmal mit Hansa auf und zweimal ab. Eine komische Situation sei das, sagt er selber. Ein Interview über Gedanken im Klassenkampf, Rückkehrpläne an die Küste und eine Transferempfehlung an Uwe Klein.

Foto: Witters

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Erkläre uns den Abstiegskampf, Tobi.
Es lastet ein unglaublicher Druck auf dich als Spieler. Dazu kommt bei vielen Spielern das fehlende Selbstvertrauen, das aus den sportlichen Enttäuschungen resultiert. Und daraus musst du dich befreien, dich wieder hereinkämpfen.

Fußball ist Kopfsache.
Definitiv. Allerdings ist dieser Punkt von Spieler zu Spieler anders ausgeprägt. Es gibt Kollegen, die sind da nicht so empfindlich. Die machen ihr Ding und ziehen sich rasch aus dieser Phase heraus. Anderseits findet man auch Typen, die ohne Selbstvertrauen vor allem mit sich selbst zu kämpfen haben. Denen es nahe geht, wenn es nicht so funktioniert, wie man es sich eigentlich vorgenommen hatte.

Was bist Du für ein Typ?
Am Anfang der Saison, als mir wenig gelang, ich die Bälle nicht so traf, wie ich es wollte, habe ich mich schon hinterfragt. Dann kommt aber der Moment, wo es kippt, und du mit jeder gelungenen Aktion ein Stück zurückkommst.

Die Hansa-Truppe hat doch richtig starke Einzelspieler. Wie hast Du die Mannschaft vor der Saison gesehen?
Für uns als Mannschaft war eigentlich klar, dass Rostock mit auf dem Zettel steht. Dass das ein Team sein kann, dass ganz oben mitspielt. Ich meine, sie hatten schon vorher klasse Spieler und haben im Sommer neue Jungs dazu bekommen, die dieses Etikett ebenfalls verdienen. Dass es so für die Mannschaft laufen könnte, hätte ich niemals gedacht und mir nimmer vorgestellt.

Bleibt die Frage nach dem Warum.
Ich kann sie nicht beantworten, da ich zu weit weg bin. Aber ich glaube, es ist – vom Rostocker Beispiel losgelöst – in dieser Liga einfach so, dass der Zusammenhalt einer Mannschaft, die Stimmung und das Gefühl in ihr, wichtiger sind als individuelle Vorzüge.

Woran machst Du das fest?
Als ich damals mit Hansa in die zweite Bundesliga aufgestiegen bin, hatten wir mit Sicherheit nicht die beste Mannschaft der Liga. Dafür waren wir eine überragende Truppe.

„Überragende Truppe“ hört man oft. Was ist das genau?
Wir waren alle weit vor den eigentlichen Trainingseinheiten auf dem Trainingsgelände. Wir spielten dann Tischtennis oder plauschten in der Kabine, hatten zusammen Spaß. Alle paar Wochen sind wir als Gemeinschaft losgezogen, waren in Clubs oder im Kino, sehr oft gemeinsam Essen. Wir waren Freunde, die viel miteinander unternommen haben. Und mit allen 27 Spielern nach Mallorca zu fliegen, bekommt auch nicht jedes Team geregelt. Es hat einfach durchweg alles gepasst. Alle investierten viel, doch keiner von denen, die seltener oder auch gar nicht spielten, murrten oder zeigten Neid. Im Gegenteil: Jeder gönnte dem anderen den Erfolg.
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Wie findet sich so etwas zusammen?
Das ist schwer zu sagen. Klar ist aber, dass Erfolg zusammenschweißt. Wenn es sportlich läuft, wächst man schneller zur Einheit. Das ist einfach so.

Kann es für den FC Hansa ein großes Problem sein, dass die Spieler zu Saisonbeginn gar nicht an das Thema Abstieg gedacht haben, und nun mit einer überraschenden Situation konfrontiert werden?
Ich kann da nur für mich sprechen. Ich habe es ja selber erlebt, wie schwer das ist. Wenn du im Abstiegskampf steckst, musst du dein Spiel umstellen. Auch mal den Ball auf die Tribüne kloppen, um auf Nummer sich zu gehen. Mir fiel das aber ungemein schwer. Ich war immer ein Techniker, der es schön ausspielen wollte. Aber in solchen Situationen funktioniert das nicht. Und sich dem bewusst zu werden, ist ein ganz entscheidender Schritt.

Was hat Dich in diesen Zeiten am meisten beschäftigt?
Mich haben vor allem die Schicksale der anderen Angestellten geplagt. Die Perspektiven der Platzwarte, der Angestellten im Internat oder der Jugendtrainer. Alle Mitarbeiter des FC Hansa haben einen beschäftigt. Weil sie von unserem Erfolg oder Misserfolg abhängig waren. Was wird aus denen, wenn wir absteigen? Behalten sie ihre Jobs, oder verlieren sie ihre Arbeit? Solchen Gedanken haben sich gewiss auch die anderen Jungs gemacht. Der Unterschied war nur: Wir aus der Talenteschmiede hatten zu jedem Arbeitsplatz, der in Gefahr war, ein Gesicht.

Beschäftigen Dich eigentlich noch die damaligen Abstiege?
Selbstverständlich. Zwar nicht so, als dass ich jeden Abend vor dem Schlafengehen darüber nachdenken würde, aber gewisse Spiele sind immer noch sehr präsent.

Welche?
Einige. Aber mit Sicherheit die Heimduelle gegen den FSV Frankfurt und Erzgebirge Aue.

Das Besondere an dir ist ja zudem, dass Du mit dem aktuellen Ex-Trainer vom FC Hansa Rostock, Peter Vollmann, auch in Wiesbaden zusammengearbeitet hast. Hast Du dich bei ihm noch einmal gemeldet, nachdem er in Rostock entlassen wurde?
Ich habe Peter Vollmann nach seiner Entlassung eine Nachricht geschrieben. Dieser Austausch gehört im Fußball einfach dazu, man schreibt sich ja auch, wenn man zu Geburtstagen gratuliert.

Apropos Austausch untereinander. Die damalige Hansa-Elf war ja eine sehr regionale Mannschaft, mit vielen Jungs aus der eigenen Jugend. Gibt’s da noch Verbindungen?
Ja, wenn auch nicht täglich, ist das schon ein Thema unter uns. Wir haben alle unsere Drähte zum Verein, und gerade mit Tom Weilandt, der ja auch in meiner Nähe spielt, gab es schon das ein oder Gespräch über den Klub und die gesamte Situation.

Du hast ja, wie man hörte, ein Spiel als Unterstützer von der Tribüne aus gesehen.
Es waren sogar zwei Begegnungen, die ich so verfolgt habe. Nach Mainz bin ich damals mit meinem Schwiegervater gefahren. Wir haben uns das 2:0 von Hansa angesehen, und danach noch fix den alten Bekannten Hallo gesagt. Dann war ich noch zum letzten Hinrunden-Spiel gegen Kiel vor Ort.

Du Armer.
Das hat mich schon geschockt. Und es war besorgniserregend, zu sehen, wie der FC Hansa gegen ein an diesem Nachmittag eher durchschnittliches Kiel so deutlich verlor. 0:4. Das war schon hart. Vor allem dachte ich daran, dass wir vor ein paar Jahren noch mit Hansa II gegen Kiels erste Mannschaft gewonnen hatten. Auch daran kann man ablesen, wie die letzten Jahre verlaufen sind. Immerhin konnte ich mir mal wieder ein Spiel in diesem Stadion ansehen. Das ist immer wieder ein schönes Gefühl.

Beim 0:4 im Stadion zu sitzen?
Stimmung und Atmosphäre sind in Rostock etwas ganz Besonderes. Man hört ja heute noch von anderen Kollegen, dass man nicht allzu gerne nach Rostock fährt, weil man genau weiß, was für eine Wand dort auf einen zukommen wird.

Bekommt man die Kulisse überhaupt mit, bei all der Konzentration auf das Spielgeschehen?
Früher habe ich ähnlich gedacht. Das hat sich mittlerweile aber geändert. Es ist schon ein Unterschied, wenn man vor zwei- oder zehntausend Anhängern spielt. Es peitscht nach vorne, wenn es eng wird. Und ein wichtiger Punkt kommt noch dazu: Ich bin mir sicher, dass es gerade bei den jungen Schiedsrichtern, die in dieser Liga pfeifen, Einfluss machen kann, ob ein paar hundert oder tausende Anhänger einen Elfmeter fordern.

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David Blacha musste sich wie allen anderen Spielern den Vorwurf aus Fankreisen gefallen lassen, dass sie kein Bock mehr auf den FC Hansa hätten. Sie nur noch da sind, um abzukassieren. Was sagst Du dazu?
Ich habe schon mehrmals um den Klassenerhalt gespielt. Daher kann ich eine Sache mit voller Überzeugung sagen: Mir ist in diesen Phasen noch nie jemand aufgefallen, der keine Lust hatte zu gewinnen. Alle haben immer alles gegeben, sich reingehangen. Und das mit dem Abkassieren in der Dritten Liga klingt auch nach einem völlig falschen Bild auf Seiten der Fans. Wir verdienen ordentlich, aber sicherlich nicht in so einem Maße, als ob wir davon unser ganzes Leben bestreiten könnten. Jeder Drittligaspieler muss zusehen, dass er seine Verträge bekommt. Der Leistungsdruck ist nämlich enorm, und kein Bock zu haben, kann sich in dieser Liga niemand leisten.

Nun ist die große Frage: Irgendwann noch einmal im blauen Trikot im Ostseestadion?
In mir regt sich schon der Gedanke, in ein paar Jahren noch einmal an der Ostsee und in diesem Stadion spielen zu wollen. Das kann ich zwar nicht planen, da zu viel in der Schwebe steht, aber den Gedanken, irgendwann dorthin zurückzukehren, kann ich nicht bestreiten. Meine Frau und ich sind uns zudem darüber einig, dass wir uns nach dem Fußball in der alten Heimat niederlassen wollen.

Und dann gemeinsam mit dem Ex-Neustrelitzer Tony Fuchs, mit dem Dich eine lange Freundschaft verbindet, zusammenkicken?
Mit dem Fugger? Ja, das wäre was. Ich verstehe sowieso nicht, warum sich in Rostock nicht um ihn gekümmert wurde. Er ist ein toller Spieler, der eine beeindruckende Entwicklung genommen hat. Ein Typ, der durch seine Art Publikumsliebling in Rostock werden könnte. Wie gesagt, ich verstehe es nicht, weshalb er in den Planungen keine Rolle spielte.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.