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Norddeutschlands erstes Online-Team

Ein Verein, den jeder mitgestalten kann, das ist die Vision von André Bistram. „Bei der WM gibt es 82 Millionen Nationaltrainer, die alle gern mitentscheiden würden, ob Philipp Lahm im Mittelfeld oder hinten Links spielt“, erklärt der Schleswiger „wir wollen solche Entscheidungen möglich machen“. Die Idee für den → FC Inter Dragon kam ihm gemeinsam mit seinen beiden 14- und zwölfjährigen Söhnen, die leidenschaftlich gern Videospiele wie FIFA oder Fußball-Manager spielen. Diese Möglichkeit der Mitgestaltung auf den realen Fußball zu übertragen, ist eine Idee, die Bistram nicht mehr loslässt.

Ab der nächsten Spielzeit soll sie nun Wirklichkeit werden, doch zunächst ohne das Luxusproblem, ob Lahm nun Viererkette spielt oder doch auf der Sechs. Der Traum beginnt dort, wo die meisten Träume eigentlich schon zerplatzt sind – im harten Alltag der Kreisklasse. Lange aufhalten will sich der Verein aus Schleswig dort jedoch nicht, wie Bistram seine Pläne euphorisch schildert: „Wir wollen mit einer Mannschaft starten, die Verbandsliga-Niveau hat, und schnell aufsteigen.“

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Möglich machen soll dieses ambitionierte Ziel das Konzept selbst. Über eine Online-Plattform und eine App sollen User per Voting selbst entscheiden können, wie ihr Verein spielt. Das beginnt mit dem Spielsystem, führt über die einzelnen Positionen und geht bis zur Entscheidung, wer Freistöße und Ecken tritt.

Der User wird zum Co-Trainer.

Mit vier Kameras sollen die Heimspiele direkt gestreamt werden, Regie und Zeitlupen inklusive. Auswärts sollen die User des FC Inter Dragon die Spiele zumindest im Nachhinein ansehen können. Übertragungsrechte gibt es vom Verband in den unteren Klassen für Minimalbeträge, diese Hürde ist die geringste. Der Trainer selbst soll sich jeden Donnerstag in einem Chat austauschen und auch nach den Spielen ein Feedback bekommen.

„Wir wollen Fußball als Event anbieten“, äußert sich der ehemalige Bundesliga-Profi überschwänglich. Schon vor dem Spiel und nach dem Spiel können die Internet-Coaches dabei sein und sollen ein Rahmenprogramm aus Interviews und Berichten geboten bekommen, wie man es sonst nur aus dem Profibereich kennt. „Möglicherweise lassen wir die Kameras auch mal in die Kabine“, sinniert Bistram „vielleicht schaffen wir es mit unserer Idee ja sogar mal ins Sportstudio.“

Ganz neu ist die Idee eines demokratischen Vereins nicht. Auch der Traditionsklub Fortuna Köln wollte in der Saison 2008/2009 die Fans über die Geschicke des Vereins mitbestimmen lassen. Die Zusammenarbeit mit dem Portal deinfussballclub.de, dessen GmbH 49% des Vereins übernahm, erwies sich für die Fans als unheilige Allianz.

Nach großem Bahnhof zur Eröffnung mit Gästen wie Sönke Wortmann wurde den Mitgliedern ziemlich schnell klar, dass sie es hier mit einer Scheindemokratie zu tun hatten und die wirklich wichtigen Entscheidungen von den Personen getroffen wurden, die das Geld mitbrachten. Das Kölner Modell macht immerhin anschaulich, wie es besser gehen kann.

Nachdrücklich betonen möchte André Bistram, dass sich hinter dem FC Inter Dragon kein Karnevalsverein verbirgt, sondern ein Versuch, sich vom normalen Fußballalltag abzuheben. Hinter der öffentlichkeitswirksamen Online-Mannschaft sollen Vereinsstrukturen samt Jugendarbeit entstehen. Mit dem Sportartikelhersteller Hummel konnte bereits ein namhafter Ausrüster gewonnen werden und auch die Gespräche mit der Stadt Schleswig über die finale Standortentscheidung sollen noch diesen Monat zu einem guten Ende gebracht werden.

Möglich macht den ersten Elan ein potenter Geldgeber: der erste Hauptsponsor Fendi24 gehört zum norddeutschen Fenster-Giganten Drutex. Ein Unterschied zu Köln also, wo weiland gezielt eine Firma gegründet wurde, die mit dem Projekt Gewinne erwirtschaften wollte.

Beim Schleswig-Holsteinischen Fußballverband hat man die Entwicklungen rund um den FC Inter Dragon im Blick. An den Verband herangetreten ist der Verein bisher jedoch nicht. „Wir wissen bisher zu wenig, um eine Anmeldung für den Spielbetrieb zu beurteilen“, äußert sich der Stellvertretende Geschäftsführer Dr. Tim Cassel „doch solange jeder Verein die Regularien respektiert, kann man darüber reden“.

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Insgesamt stehe der SHFV neuen Ideen offen gegenüber. „Fußball ist ein beweglicher Sport und neue Medien werden immer wichtiger“. Cassel fordert, dass die Gleichberechtigung gewahrt wird, in dem geltende Statuten auch bei einem Online-Team respektiert werden: „Wir tragen Verantwortung für etwa 600 Vereine und können keinen Sonderweg dulden.“

Der 53-jährige Bistram befasst sich derzeit weniger mit den Grenzen, als mit den Möglichkeiten seiner Idee: Er möchte dem Fan mehr Mitbestimmung im Fußball ermöglichen. „Bei uns kann jeder seinen Senf dazugeben – und dann auch sehen, ob er wirklich die besseren Entscheidungen trifft.“

Es sind noch wenige Monate bis zum Saisonbeginn im August. Dann wird sich zeigen, ob der Traum vom Online-Team Wirklichkeit wird.

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Tim Pommerenke