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Die Party ist gerettet – vorerst

BTB-Autor Hannes Hilbrecht mischte sich gestern auf die Ost-Tribüne. Was er ab der 25 Minuten sehen konnte, warum der Sieg mehr war als die Wahrung der Chance auf die DFB-Pokal-Teilnahme und warum er dem Benefizspiel einen hohen Wert beimisst, könnt ihr hier lesen.

Foto: hammonaiview.de

Voll war es vor den Rostocker Stadionkassen am Mittwochnachmittag. So voll, dass die letzten ausharrenden Zuschauer erst mit 25-minütiger Verspätung ins Stadion kamen. Viele davon standen zu diesem Zeitpunkt bereits eine Stunde an. Einige verfolgten während des geduldigen „Schlangestehens“ auf ihren Handys das Livebild, das vom Hansa-Fan-Radio im Stream angeboten wurde, andere wiederum motzten mit Galgenhumor. „Die Hansa-Euphorie ist wieder da“, stanzte dagegen ein bäuchiger Mitfünfziger, der die Wartezeit lieber mit seinem Bierdurst überbrückt hatte.

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Ganz so euphorisch ging es im Stadion nicht weiter. Der FC Hansa stand vor Problemen, ihm entglitt phasenweise sogar das Spiel. Um ein Haar wäre er mit einem 0:1-Rückstand zur Halbzeitpause in die Kabine gegangen. Tommy Grupe hatte unglücklich gepatzt, da der durchbrechende Wismarer aber noch unglücklicher vergab, blieb es beim Schrecken, der die Reihen der 4200 Rostocker wie eine kühle Böe durchfahren hatte.

Wie sich das Spiel zwischenzeitlich zu Gunsten der Wismarer Gäste gedreht hatte, konnte man am besten auf Höhe der Mittellinie verfolgen. Bot sich Wismar in der ersten Halbzeit eine Standardsituation, sicherten vier Rot-Weiße an der Mittellinie ab. Aus purer Scheu schienen die zunächst schwach getretenen Ecken und Freistöße bereits an der Strafraumgrenze des Drittligisten zu verebben. In der zweiten Halbzeit aber, war es einzig der Torhüter, der bei Wismarer Ecken an der Mittellinie trabte. Sechs Gästespieler lauerten im Strafraum, vier weitere rückten hoch auf, hatten Abpraller im Visier. Direkt nach der Halbzeit, es waren ungefähr fünfzig Minuten gespielt, flogen ein Freistoß und drei Ecken hintereinander in den Hansa-Sechszehner. Die Rostocker Anhänger schwiegen, darunter auch die Lauten der Lauten, und nur die Gesänge von Anker-Fans drangen von der Osttribüne in Richtung Spielfeld.

Dass der FC Hansa am Ende doch gewann, lag vor allem an Denis Weidlich. Der wurde von Baumann durch ein Wechselspiel tiefer ins Zentrum beordert, die Bälle, die er sich teils in der eigenen Hälfe abholte, trieb er mit schnellen Schritten nach vorne. Den siegbringenden Elfmeter holte er mit flinken Beinen clever heraus und Steven Ruprecht, der lange unterschätze Rostocker Abwehrspieler, blieb erneut cool vom Punkt. „Ohne Schiri, habt ihr keine Chance“, sangen die Anker-Fans daraufhin wütend, als der überraschend mächtige Torjubel verklungen war.

Es sollte das letzte wackere Erheben von Wismarer Seite sein. Die Spieler hatten zwar mutig weiter gekämpft, richtig bange wurde den Rostockern allerdings nicht mehr. Das Mantra von Karsten Baumann, das er tags zuvor im BTB-Interview beschworen hatte, indem er betonte, es spiele bei ihm immer die beste Mannschaft, hatte eine sich in Phasen anbahnende Blamage wohl verhindert, wenngleich es die schlechteste Leistung im neuen Fußballjahr war.

 

Rostocker Comeback

Dabei ist der mühsame, ja streckenweise gequälte Auftritt der Rostocker ein auf vielen Ebenen wichtiger. Es ging nicht nur um jenes Geld, das an dem nun weiterhin möglichen Landespokalsieg und der damit verbundenen DFB-Pokalteilnahme gekoppelt ist, sondern um die positive Stimmung im Umfeld des Klubs. Am Sonntagnachmittag steht immerhin ein Spiel an, das die momentane Aufbruchsstimmung nicht nur nachhaltig konservieren soll, sondern gleichzeitig das Fundament für ein größeres Rostocker Comeback zementieren kann.

Dass Benefizspiel zwischen der → Marteria-Auswahl und dem Beinlich-Ensemble ist eine vielschichtige Chance, die sich nicht mehr allzu oft bieten wird, die sogar die Konkurrenz wahrnimmt, sie teilweise sogar wütend macht. „Wettbewerb-Verzerrung, mehr ist das nicht“, richtete ein prominenter Gesprächspartner bereits nach Bekanntwerden der Veranstaltung im Dezember aus. Gemeint ist damit ein Vorteil, den dieses Spiel bereits vor zwei Monaten, also lange vor der Rostocker Serie, mit sich führte. Ohne die Summe aus dem Benefizspiel wäre kein personelles Umgestalten im Transfer-Winter möglich gewesen. Ein Lauf wie in den letzten Wochen ohne die Winterzugänge – das erscheint  in der Tat unwahrscheinlich.

Bei diesem direkt geldwerten Vorteil, der sich aus Ticket-, Werbe- und Fernseheinnahmen ergibt, bleibt es aber nicht. Auch auf lange Sicht kann dieses Spiel mit der Erschließung von finanziellen Ressourcen einhergehen. Dem Verein eröffnet sich ein Marketingfenster, viele Fans von außerhalb werden am Sonntag im Sportfernsehen zusehen, um alte Helden wie Didi Hamann, Ansgar Brinkmann oder Ulf Kirsten zu beschauen. Auch weniger fußballaffine Interessierte werden einschalten, wollen sie doch Künstler wie Max Herre, Campino oder Peter Fox einmal in sportlicher Aktion verfolgen. Ganz zu schweigen von den vielen Fans, die mit Hansa eigentlich aus vielerlei Beweggründen gebrochen hatten, durch dieses Event aber noch einmal in ihre blauen Sitzschalen – vielleicht auf Dauer – zurückkehren werden. Wie verpönt diese „Eventfans“ beim harten Kern auch sein mögen – ohne diese Zielgruppe ist eine gesunde Renaissance des Mecklenburger Traditionsvereins weder umsetz- noch vorstellbar.

Das Beste an diesem besonderen Spiel: Es ist so gut wie unmöglich, dass der Verein aus diesem Event als Verlierer vom Feld schleicht. Es wird laut, spektakulär – im Stadion und vor den Mattscheiben wird aller Wahrscheinlichkeit nur gelächelt werden, woraus folgt, dass dem FC Hansa zumindest eine Woche lang positive und vor allem auch überregionale Schlagzeilen winken.

Damals nutzte der Verein die große Chance nicht

Die Krux ist eine andere, sie wird sich erst in den Wochen nach der Partie zeigen. Der FC Hansa hatte schon einmal ein solches Rettungsspiel, vor nicht einmal zwei Jahren. Der FC Bayern kam als Champions-League-Sieger mit allen Stars und Pep Guardiola als neuen Trainer, das Stadion voll, Marteria auf der Trainerbank, fast 27000 Besucher schwitzen hocherfreut im Hochsommer und Arjen Robben lobte dann auch noch im Fernsehen ausschweifend die Kulisse in der Rostocker Arena. Damals nutzte der Verein die große Chance nicht. Durch falsche Entscheidungen, die vor allem das sportliche Ressort betrafen, manövrierte sich der Klub erneut in die Krise, aus die er nur mit einer erneuten Rettungsaktion befreit werden konnte.

Die Chancen, dass das nicht noch einmal passiert, stehen verhältnismäßig gut. Mit Karsten Baumann wurde ein Trainer geholt, der den von einigen Führungsspieler noch immer hochgeschätzten Dirk Lottner ähnelt, der die menschliche Komponente, die Vorvorvorgänger Bergmann in der Mannschaft sehr beliebt gemacht hatte, mit Akribie und Arbeitsethos paart.

Dadurch, dass sich der finanziell gewiefte und kaum ersetzbare → Michael Dahlmann mit seiner Vollmann-Lösung  fast bis zur Selbstdemission verpokert hätte, besitzt auch Baumanns direkter Vorgesetzter und Partner → Uwe Klein, wenn auch nicht in den Vorstand berufen, mehr Autorität und ein dickeres Polster als der vor zehn Monaten geschasste Uwe Vester.

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Vorausgesetzt, man hat in Rostock aus den Fehlern gelernt.

Gelingt der Klassenerhalt, was noch mindestens drei Siege oder zehn Punkte verlangen sollte, sieht es um die sportliche Zukunft deutlich besser bestellt aus. Werden Leistungsträger wie Weidlich und Ruprecht, dem einige Stimmen zu Folge viel an dem Verein liegt, trotz Lizenzspieleretat-Kürzung gehalten, steht zum ersten Mal vor einer Transferperiode ein festes Korsett, das der Trainer mit eigens gewonnenen  Erfahrungswerten nach seinen Vorstellungen ergänzen kann.

Ein Luxus, den man sich in Rostock seit Jahren nicht mehr gegönnt hat. Und der den Nachbarn von Holstein Kiel mit ähnlichen Mitteln zum Emporsteigen als Sensationsmannschaft der laufenden Saison verhalf.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.