BTB-Analyse: Baumann erklärt uns die Formwende
Beim FC Hansa läuft es. 14 Punkte sprangen aus den sechs Spielen im Fußalljahr 2015 heraus, das sind im Schnitt fast doppelt so viele wie vor der Winterpause. Wir haben uns mal mit der Formwende befasst und dazu das 1. Mal bei Trainer Karsten Baumann nachgefragt. Er ging mit uns etliche Punkte durch und konnte die Frage, „Wieso es denn jetzt läuft?“, auch beantworten. *** Lesezeit: 10 Minuten.
Foto Baumann: „Karsten Baumann 2013 2“ von Thomas Rodenbücher – Flickr: IMG_1870.jpg. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karsten_Baumann_2013_2.jpg#mediaviewer/File:Karsten_Baumann_2013_2.jpg
Punkt 1: Uwe Kleins Entscheidung, Baumann noch im Dezember zu berufen, zahlt sich aus
Es wurde nicht unkritisch gesehen, als der FC Hansa noch vor der Winterpause Karsten Baumann zum Vollmann-Nachfolger berief. Man dürfe den Trainer nicht verbrauchen, und ganz ohne Vorbereitungszeit, wäre dieser doch einem tristen Schicksal überlassen, hieß es von einigen Seiten.
Baumann selbst ist sich dagegen sicher, dass der damalige Schritt den guten Start in das neue Jahr maßgeblich mitbeeinflusst hat: „Es ist etwas Anderes, wenn man nur von draußen zuschauen kann oder tatsächlich die Chance besitzt, schon vorher einen Eindruck für das Innenleben der Mannschaft zu bekommen“, so Baumann.
Damit sind nicht nur die sportlichen Leistungen im Training und im Spiel gemeint, sondern auch die Muster im Verhalten der Akteure. Wie verhalten sich die Spieler in der Niederlage – resignieren sie schnell oder verkraften die Gemüter auch schlechte Resultate? Solche und viele andere Fragen konnte der 45-Jährige gerade durch die beiden deutlichen Niederlagen zu Beginn seiner Amtszeit beantworten und daraus die – bisher – überlebensnotwendigen Erkenntnisse ziehen.
Das machte es ihm möglich, auch unbequeme Entscheidungen schnell zu treffen. Zwar taten Baumann nach eigenen Angaben alle Verabschiedungen leid und gingen ihm menschlich nahe, doch schmerzte eine ganz besonders. „Christian Stuff ist ein ganz feiner Mensch, immer ehrlich und sachlich gerade aus, dabei ohne Fehl und Tadel. Ein toller Sportsmann, den man an sich gerne behalten würde“, erklärt Baumann zu einer seiner unliebsamen Personalentscheidung sehr ausführlich. Hinzu kam außerdem, dass der Hansa-Trainer Stuff zuvor als sehr guten Zweitligaspieler wahrgenommen hatte.
Ohne die beiden Klatschen in Erfurt und gegen Kiel, an denen Stuff seine Aktien hatte, wäre diese Baustelle wahrscheinlich nicht so offensiv angegangen worden und Oliver Hüsing, der von Woche zu Woche an Sicherheit gewinnt und mit Steven Ruprecht gut harmoniert, wäre mutmaßlich noch bei Werder Bremen in der U23 engagiert. Ein Verzögern bei Entscheidungen, die man eigentlich nicht treffen will, aber irgendwann muss, konnte dadurch unprätentiös vermieden werden.
Der US-amerikanische Star-Coach Pete Carroll (American Football) widmete diesem Prozess des durch „Niederlagen lernen“ übrigens ein ganzes Kapitel in seinem autobiographischen Bestseller „Win forever“ über die Sportpsychologie. Darin beschreibt Carroll, wie notwendig das zweimalige Scheiten für seinen späteren Weg zu den großen Erfolgen an der Seitenlinie war. Ähnliches kann auch in Rostock für den guten Start in die Rückrunde mitentscheidend gewesen sein, in dem die deutlichen Niederlagen Mitte Dezember noch einmal alle grundlegenden Probleme offenlegten, und so es der neuen sportlichen Führung einfacher machten, die Missstände genauestens zu sezieren und in der Winterpause zu lösen.
Punkt 2: Die Neuzugänge sitzen auf beiden Ebenen
Wenn fast immer sechs Neuzugänge spielen, und die Mannschaft auf einmal punktet, dann kann an der Transferpolitik nicht allzu viel verkehrt gewesen sein. Karsten Baumann sagt jedenfalls offensiv: „Es ist genau das eingetreten, was wir von den Jungs erwartet haben. “
Dabei ist insbesondere der neue Defensivverbund beachtlich. Inklusive Torhüter wurden vier von fünf Stellen neu besetzt, einzig der bereits in der Hinrunde überwiegend solide Steven Ruprecht blieb eine Konstante. Der Lohn: Aus einer Kuddelmuddel-Defensive, die sich in den 22 Spielen vor der Weihnachts-Unterbrechung im Schnitt 2,1 Gegentore fing, wurde im Jahr 2015 eine Abwehr des besseren Durchschnitts – genauer gesagt die momentan fünftbeste (allerdings wird die Position mit vier weiteren Tams geteilt) der Liga, die zwar noch kein einziges Mal gegentorlos blieb, aber immerhin den Gegentorschnitt auf 1,2 Einschläge im eigenem Netz herunterschraubte.
Diese Statistik hilft hierbei lediglich als grobe Orientierung: Viel interessanter ist, wie sich die Gegentreffer zusammensetzen. Zwei direkte Freistöße und ein Tor des Gegners nach einer Ecke sprechen zwar für Probleme bei Standardsituationen, zeigen aber gleichzeitig auf, wie schwer es den anderen Teams fällt, aus dem Spiel heraus ein Tor gegen den FC Hansa zu erzielen.
Doch nicht nur den sportlichen Mehrwert der Mannschaft hebt Baumann seit den Verstärkungen von außen hervor, auch die Stimmung in der Mannschaft veränderte sich durch den Zufluss im Winter.
Die Erklärung dafür ist recht simpel: Die Neuzugänge, die in Rostock allesamt neue Chancen bekamen (entweder für die Karriere generell oder auf Spielpraxis), brachten „gute Laune“ und ein besseres Gefühl in die Truppe. Der Optimismus steckte in der Winterpause an, es wurde wieder mehr gelacht, sodass daraus neue Energie gezogen werden konnte. Baumann selbst hatte nach dem positiven Verlauf der Winterpause gar einen noch besseren Start erwartet: „Ganz ehrlich? Ich dachte mir nach den ersten beiden Spielen, dass wir das eigentlich noch besser spielen könnten. Ich war überrascht, dass wir nicht ganz so gut waren, wie ich es eigentlich erwartet hatte.“
Zudem verdient sich einer der Neuzugänge ein zusätzliches Lob. Maximilian Ahlschwede spielt sich nämlich nicht nur auf dem Platz in den Fokus, sondern überzeugt auch als Führungsfigur. Damit hatte sein Trainer nicht unbedingt gerechnet, wie der einstige Bundesliga-Profi erklärt: „Ich wusste, dass er kicken kann. Aber dass er so vorangeht, ist besonders erfreulich.“
Insgesamt spricht man in der Mannschaft nun von einem echten Zusammenhalt, der sich trotz der zahlreichen Kader-Veränderungen über den Winter gefunden hat. Der Neid um die Stammplätze, der schon viele Mannschaften nach einer Transferperiode irreversibel schädigte, ist beim FC Hansa momentan kein Thema. „Einzelinteressen zählen nicht, alles schaut auf das Gesamtziel“, ist eine der typischen Aussagen, die derzeit aus Spielerkreisen zu vernehmen ist.
Punkt 3: Der Neuzugang aus der alten Garde
Neben den Neuverpflichtungen kommen momentan nur fünf bis sechs Spieler aus dem Hinrunden-Stamm regelmäßig zum Einsatz, die allerdings keine Ausnahmen bei der positiven Gesamtentwicklung darstellen. Steven Ruprecht hat bereits zweimal getroffen und ganz nebenbei seinen horrenden Gebrauch von verwarnungswürdigen Foulspielen gebremst. In mehr als jeden zweiten Spiel sah Ruprecht in der ersten Saisonhälfte gelb, seitdem Karsten Baumann den Cheftrainer-Posten besetzt, handelte sich Ruprecht nur noch eine weitere ein, was für eine Verbesserung der ganzen Defensivarbeit spricht.
Auch Sascha Schünemann und Marcel Ziemer wurden besser (im Falle von Ziemer noch), stabilisierten sich in ihren Leistungen. Dennis Weidlich macht dagegen das gut, war er schon in der Hinrunde zu großen Teilen gezeigt hat – wenngleich er noch ein Stück von seiner Idealform entfernt scheint.
Eine besondere Betonung liegt aber dennoch auf einen anderen Spieler. Auch wenn es Baumann nicht direkt betont – die Art und Weise, wie Christian Bickel aus den Startlöchern kommt, imponiert dem Fußballlehrer.
Selbst wenn noch einige Freistöße und Ecken misslingen, entweder viel zu kurz oder zu lang in den Strafraum geschlagen werden, hat sich der Spieler Bickel gewandelt. Wo in der Hinrunde noch gelegentlich die Schultern hingen oder überhastet Abschlüsse gesucht wurden, laviert sich Bickel nun Mannschaftsdienlicher durch verzwickte Situationen. Zudem wirkt er umtriebiger auf dem Platz, in dem er sich öfter für Anspiele seiner Mitspieler in Stellung bringt und so auch ohne die ganz großen individuellen Aktionen als wertvoller Bestandteil der Mannschaft wahrgenommen wird, weil er seinen Mitspielern deutlich unterstützender zur Seite steht.
Baumann selbst verzichtet jedoch auf die Herausstellung eines Einzelnen: „Die gesamte Mannschaft macht Fortschritte, sie sammelt Selbstvertrauen durch unsere Ergebnisse. Das spiegelt sich dann selbstverständlich in den Leistungen der Jungs wider.“
Punkt 4: Fortuna ist zurück
Bei aller Freude über die Ergebnisse – im Vergleich zu den Spielen in der Vorrunde scheint beim FC Hansa das Glück zurückgekehrt zu sein. Alleine in den Nachspielzeiten der ersten fünf Spiele standen insgesamt vier Punkte auf des Messers Schneide.
Wenn der Wiesbadener Torhüter bei seiner Aktion nicht den Pfosten, sondern das Tor trifft, verlässt der FC Hansa mit nur einem Punkt und der bitteren Gewissheit, eine Führung mit zwei Toren in der Schlussphase verspielt zu haben, den Platz.
Beim Halleschen FC fällt der Ausgleich quasi aus dem Nichts und das auch noch nach einem kuriosen Eckball, der den Pfosten im bestmöglichen Winkel streift. Der Lucky Punch in der Nachspielzeit setzte dann noch ein spektakuläres Finale oben drauf. Karsten Baumann möchte vom Glück jedoch nicht allzu viel wissen: „Ich denke, solche Dinger gleichen sich immer aus. Wenn wir gegen Regensburg Glück haben, dann gewinnen wir das Spiel, weil Savrans Kopfball rein und nicht ein paar Zentimeter vorbei geht“, so Baumann.
Dennoch können sich die Rostocker derzeit nicht über das Wohlwollen der Fortuna beklagen. Es sei in diesem Fall an den Schwerfeger-Duseltreffer von Wiesbaden oder an die zwei hundertprozentigen Chancen, die Mainz II liegen lässt, bevor die Hansa-Elf dank des Ahlschwede-Drucks über die rechte Seite ab der 55. Spielminute mit mehr Torgefahr besser ins Spiel kommt, erinnert.
Und auch Baumann nimmt das ominöse Wort dann noch einmal in den Mund, dieses Mal aber mit einer anderen Pointe: „Das Glück, das wir momentan etwas häufiger als in der Vorrunde haben, muss man sich auch erst einmal erarbeiten.“
Punkt 5: Das böse A-Wort
Gäbe es für Rostocker-Verhältnisse ein Unwort des Jahres 2014, dann wären „Athletiktraining“ oder „Fitnesszustand“ mit Sicherheit für die vorderen Plätze prädestiniert. Die Posse, die damals um Andreas Bergmann und Peter Vollmann betrieben wurde, gerät ob des jüngsten Erfolgstrends zwar langsam in Vergessenheit, doch muss diese Athletikfrage auch für Karsten Baumann gestellt werden.
Dieser gibt sich jedoch zunächst sportmännisch und nimmt Abstand von allen möglichen Vergleichen, wie er deutlich macht: „Ich kommentiere solche Dinge allgemein nicht.“ Doch fällt bei Betrachtung der Rückrundenwerte seit der Winterpause eines auf: Aus einer der schlechtesten Mannschaften der zweiten Halbzeit ist eines der besten Teams in dieser Sparte geworden. Die Torausbeute in den zweiten 45 Minuten. 7:3. Zudem wurden alle drei Rückrundensiege in der zweiten Halbzeit erspielt, nur in Großaspach war die erste Halbzeit der unter dem Strich bessere Abschnitt. Ein Resultat der Athletikeinheiten, die mehrmals unter der Woche unter dem Ausschluss der Woche absolviert werden? „Ich lasse nicht anders trainieren als bei meinen bisherigen Stationen auch“, bekennt der Trainer weiter geheimniskrämerisch. Zwar fühlten sich die Spieler sowohl im Sommer als auch im Winter fit, doch ist es offensichtlich, dass es in diesem Bereich Fortschritte gegeben haben muss. Und genau das besitzt einen Zusammenhang mit dem vierten Punkt.
Der FC Hansa scheint wieder in der Lage zu sein, sich das Glück in Eigenregie zu erarbeiten.