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Vor dem Wagnis

Am Sonntag werden die Mitglieder des FC Hansa in einem Grundsatzbeschluss darüber entscheiden, ob der Vereinsvorstand die Ausgliederung der Lizenzspielermannschaft in eine GmbH & Co. KG vorbereiten darf. Ein Ja der Mitglieder gilt als wahrscheinlich, stimmen sie überwiegend mit einem Nein, wäre der Verein sehr wahrscheinlich erledigt. Eine Bestandsaufnahme, garniert mit BTB-Eindrücken.

„Das ist alternativlos“, kommentiere Hansa Vorstandchef Michael Dahlmann merkelresk vor einer Woche auf der Pressekonferenz des FC Hansa Rostock. Der Verein informierte damals die Medien über seine Pläne, die Profimannschaft aus dem Verein auszugliedern, um mit der Unterstützung eines Investors den Verein vor der Insolvenz zu bewahren. Wer der ominöse Rettungsengel sein würde, war damals noch unbekannt.

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Mittlerweile haben Hansa-Fans und viele andere Fußballinteressierte den Namen zur Kenntnis genommen, sich informiert, Wörter in die Suchmaschinen des World Wide Webs gestanzt. Rolf Elgeti heißt der Mann, der den Verein mit einem Millionen-Investment retten will. Aus Zuneigung zum Verein, nicht aus geschäftlichem Interesse, wie er es in seinem ersten Interview mit der Schweriner Volkszeitung betonte.

Die Vita Elgetis liest sich beachtlich, sie klingt wie ein modernes Märchen aus der Finanzwelt, das sich viele ambitionierte Wirtschaftsstudenten für ihre eigene Perspektive erträumen. Aufgewachsen als Sohn eines Bauern in der kleinen Gemeinde Brodersdorf östlich von Rostock, einem Dorf, in dem wirklich jeder jeden kennt. Aus der Provinz zum Studium in die Stadt, von dort aus in die Finanzmetropole London. Erfolg und Verantwortung, später  Millionen mit Immobilien. Aber auch Schlagzeilen, die den Finanzgenius an den Rand des Verrufs brachten.

Neben der großen Business-Karriere ist der 37-Jährige nach eigenem Bekunden leidenschaftlicher Hansa-Anhänger, seit über zehn Jahren Mitglied. Früher ging er als Kind mit seinem Vater ins Stadion. Der Verein, so drückte es Elgeti aus, sei eine Herzensangelegenheit. Aufgrund seiner trefflichen Lage könne und wolle er helfen,  und ja, ärgern würde er sich später, wenn er nichts unternommen hätte, sagte er der SVZ weiter.

Die Entschuldung bei der DKB und die medial längst medial lancierten Berichte über die Zurückerlangung des alten und von vielen Anhängern innig geliebten Stadionamens – es klingt wie eine Romanze, die man sich an der Warnow nicht mehr erträumt, geschweige denn erwartet hatte.

Aber ist es wirklich der Altruismus eines Mannes aus der Region, der aus alter Verbundenheit Millionen ohne klare Aussicht auf Rendite in einem angeschlagenen Verein pumpt, der in den vergangenen Jahren dazu neigte, sich mit hanebüchenen Fehlentscheidungen selbst zu demontieren?

Alleine diese Frage – der zweifelnde Unterton mag gänzlich unbegründet sein – hinterlässt fragende Mienen bei Hansa-Mitgliedern. Der Hansa-Blogger Hanseator fasste beispielsweise in seinem Beitrag „Kein Zurück“ zusammen: „Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Ich glaube nicht an gute Feen, bei solchen Stories spukt mir der Name Maschmeyer durch die Gehörgänge.“

Maschmeyer und Rostock – das war zugebener Maßen noch eine etwas andere Geschichte. Als Investor lieh der Finanzmogul dem Verein Geld, hatte einen saftigen Gewinn im Sinn. Da der Transfer, es ging um den dänischen Nationalspieler Martin Retov, in einem schwerwiegenden Malheur endete, hat der Verein noch sieben Jahre später an diesem Deal zu knabbern. Die Causa Maschmeyer hat demnach nicht nur Geld gekostet, sondern auch das bereits grundsätzlich gestörte Vertrauen von Fußballfans in Investoren und den Erfolg dieser Deals weiter geschwächt. Das weicht auch den Boden für die neuesten Hansa-Pläne auf.

Dabei sind die möglichen Probleme, die durch das Elgeti-Engagement entstehenden könnten, von anderer Natur als das finanzielle Verlustgeschäft um den lediglich für eine Tätlichkeit berühmt gewordenen Retov. Auch das Tohuwabohu, das beispielsweise der jordanische Geschäftsmann Hasan Ismaik bei den Münchner Löwen stiftet, ist in Rostock nicht zu erwarten. Elgeti, das glaubt man ihm auf dem ersten und zweiten Blick, ist emotional am Verein interessiert, begreift ihn nicht als Spielzeug oder als ein reines Instrument zur Kapitalvermehrung.

Dennoch: Wie wird der konkrete Einfluss des Spenders aussehen? Denn auch wenn das geschäftliche Interesse momentan glaubhaft verneint wird, Mitglieder in ihren Mitbestimmungsrechten bestätigt werden sollen – die gefühlte Macht des Investors ist groß. Er könnte seine Muskeln spielen lassen, wenn ihm Entscheidungen der Mitglieder brüskieren oder Personalentscheidungen getroffen werden, die nicht mit seinen Vorstellungen konform gehen.

Im Fußballgeschäft gab es schon einige absurde Kapitel, die durch den Einfluss von vermeintlich großzügigen Unternehmern geschrieben wurden. Trainer gerieten in Ungnade und wurden auf der Initiative von überpotenten Geldgeber abgeschossen, durch Kumpanei wurden neue Trainerverpflichtungen wiederum angeschoben. Es gibt Investoren, die Mittel für Transfers anbieten, die Verwendung aber gleichzeitig an einen Wunschspieler koppeln. Klaus-Michael Kühne handelte in diesem Muster beim Transfer von Rafael Van der Vaart von Tottenham zum Hamburger HSV. Für den Trainer kann sich daraus ein Vabanquespiel entwickeln, wenn er an der Leistungsfähigkeit und Form des Investoren-Lieblings zweifelt und ihn aus diesen Gründen nicht aufstellen möchte, aber gleichzeitig weiß, dass seine Person in kritischen Phasen auch von den Einschätzungen aus dem Sponsorenpool abhängt. Den Spieler verschmähen, den der Vereinspatron mit seiner gesamten Güte ankarrte – das kann für ihn teuer werden.

Selbstverständlich sind das betont negativ skizzierte Szenarien. Es gibt auch positive Erscheinungen, Investoren zum Beispiel, die sich auf das beschränken, was sie erfolgreich gemacht hat. Die ihren Instinkten folgen und guten Kräften zu vertrauen. Manch anderer Investor oder Gönner hat gewiss bereits mit festen Expertisen zum sportlichen Erfolg eines Vereins beitragen können. Und wenn es nur der frische Wind war, der bei größeren Verschiebungen innerhalb eines Vereinskonstrukts von ganz allein entsteht.

Gerade in Rostock kann das Engagement Elgetis eine komplett neue Chance eröffnen. Der Hintergrund: Durch die Entlastung vom finanziellen Knebel kann der Verein einen seiner vielleicht größten strategischen Fehler der letzten Jahre korrigieren. Mit dem finanziellen Kollaps vor Augen orientierte sich der Verein in den letzten Jahren zu stark auf das Wirtschaftsressort, überlud Aufsichtsrat und Vorstand mit Unternehmern und Verwaltungsexperten. Während sportliche Expertisen zusammengestutzt wurden, sodass mittlerweile kein einziger Fußballfachmann mehr im Vorstand sitzt, sollten Verantwortliche ohne Stallgeruch im Fußballgeschäft den Verein sanieren. Was sie betriebswirtschaftlich besonders in Person von Michael Dahlmann richtig machten, rissen sie sich aufgrund gravierender  Fehlentscheidungen im sportlichen Bereich selber wieder ein. Die überholte Denke: Ohne saubere Finanzen, keine tatkräftige und gesunde erste Mannschaft. Der Haken in dieser einfachen Logik war bloß, dass sie auch spiegelverkehrt zutraf. Denn ohne eine starke erste Mannschaft und dem damit verbundenen Erfolg, keine Zuschauer, weniger Sponsoren und demnach alles andere als die sehnlichst erhofften ausgeglichenen Finanzen. Gerade in der Hinrunde der laufenden Saison wurde sich der Verein dessen äußerst schmerzhaft bewusst.

Ist Rolf Elgeti ein Investor, der kluge Dinge mit dem Druck seiner Finanzeinlage betont, kann die anvisierte Ausgliederung folglich viel mehr als das „notwendige Übel sein“ sein, nämlich der Aufbruch in eine noch besser vorbereitete Zukunft. Die alleine deshalb vielversprechend ist, weil sich ohne das finanzielle Damoklesschwert über den Köpfen die Chance ergibt, Vorstand, Aufsichtsrat und die Führung der neuen Gesellschaft wieder mit dem verstärkten Blick auf das sportliche Ressort auszutarieren. Ein Gleichgewicht zwischen dem Sport und den Finanzen im Verein herzustellen. Bei Holstein Kiel ermöglichte genau das den rasanten Aufstieg. Und das Lernen aus Erfolgen der Konkurrenz muss in manchen Fällen auch mit dem Abpausen von Erfolgsmodellen einhergehen.

Das Risiko der Investoren wird den Verein unabhängig von ersten Planspielen selbstredend begleiten. Alleine schon weil der sportliche Erfolg, wie es in Hamburg unter HSVplus eindrucksvoll bewiesen wurde, nicht so einfach programmiert werden kann. Und wenn es ums Geld geht, ist schon so manche Liebesbeziehung jäh zerbrochen.

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Aber hat der Verein überhaupt eine andere Chance, als sich mutig der Herausforderung der Ausgliederung zu stellen? Wohl kaum. Ohne Investor steht die Lizenz in den Sternen, die Insolvenz würde drohen. Im schlimmsten Fall wäre auch die Löschung aus dem Vereinsregister eine mögliche Konsequenz. Die Fanszene Rostock, die eindringlich betonte, die traditionellen Werte weiterhin schützen zu wollen, gab deshalb ihre an Bedingungen geknüpfte Zustimmung in einer Mittelung bekannt.

Der FC Hansa wird mitsamt seinen Mitgliedern also sehr wahrscheinlich am Sonntag dieses Wagnis einleiten. Ob es komplett abgesegnet wird, entscheidet sich erst bei der finalen Abstimmung im Herbst.

Fest steht aber schon jetzt: In jedem Wagnis steckt eine Portion Hoffnung. Und die kann man an der Ostsee  jederzeit gut gebrauchen.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.