Kiels Weidlich-Coup: Die Hintergründe
Im November schrieb BLOG-TRIFFT-BALL den heißdiskutierten Text: → „Kiel – die neue Nummer 1 an der Ostseeküste.“ Was von vielen Lesern kritisch gesehen wurde, hat sich noch stärker als erwartet abgezeichnet. Nun gab Holstein Kiel einen Tag nach dem nur knapp verpassten Aufstieg in die 2. Bundesliga die Verpflichtung des vielleicht besten Rostockers bekannt – Denis Danso Weidlich geht nach Kiel. BLOG-TRIFFT-BALL hat die Hintergründe.
Es war der Glücksgriff vom Ex-Hansa-Duo um Andreas Bergmann und Uwe Vester. Mit viel Tamtam wurde Denis Weidlich im August 2013 aus Regensburg verpflichtet. Eine Verpflichtung, die anfangs kritisch gesehen und alsbald auch so bewertet wurde, als sich der Neuzugang damit schwer tat, in die erste Elf vorzustoßen und zunächst nur auf der Bank saß.
Mittlerweile denkt man in Rostock anders. Weidlich, von einem mit dem Rücken zur Wand stehenden Bergmann damals notgedrungen zum Innenverteidiger improvisiert, spielte sich nicht nur als unverzichtbare Stammkraft in den Vordergrund, sondern übernahm auch mehr und mehr Verantwortung. Aus einem Spieler, der in den ersten Wochen in Rostock von Teamkollegen als isoliert beschrieben wurde, entwickelte sich ein Kapitän, der die Mannschaft in der schwersten Phase dieser Saison zum Klassenerhalt führte.
Umso schwerer wiegt für die Rostocker der Weidlich-Schlag. Um ihn herum als Kapitän könne man eine Mannschaft aufbauen, schwärmte noch der ein oder andere Fan, als Weidlich bei den letztendlich überlebensnotwendigen Siegen gegen die Stuttgarter Kickers und Borussia Dortmund hervorragend Regie führte und zwei sehenswerte Tore zu sechs sehr wichtigen Punkten beisteuerte. Was keiner auf der Tribüne, nicht einmal der Verein selbst ahnte: Zu diesem Zeitpunkt war Weidlichs Unterschrift an der Kieler Förde bereits getrocknet. Sein künftiger Trainer schwärmte: „Er hat bei uns zugesagt, als längst noch nicht klar war, in welcher Spielklasse wir letztlich landen werden. Das spricht für ihn.“
In Rostock selbst schlug Weidlichs interne Mitteilung im Saisonschlussspurt, dass jegliche Vertragsgespräche hinfällig seien, hart ein. Sie kam unerwartet, auf dem Platz wirkte es schließlich so, als ob sich der Kapitän von Woche zu Woche mehr mit dem Verein identifizieren würde. Wo Spieler mit ihrer Leistung abfallen, wenn sie ihre Schäfchen anderorts im Trocknen wissen, setzte der Deutsch-Ghanaer weitere Briketts drauf. In der Rostocker Arena dankte man es ihm mit stehenden Ovationen. Weidlich selbst mühte sich dagegen zeitgleich darum, dass sein längst vollzogener Wechsel im Geheimen blieb, um den Rostocker Klassenerhalt durch den zu erwartenden Trubel nicht zu gefährden. „Auch wir im Verein haben mit der Veröffentlichung gewartet, weil wir darum wissen, dass eine zeitige Verkündigung nicht nur positive Folgen haben kann“, sagt sein künftiger Trainer Neitzel.
Dabei hätte ein so zügiger Wechsel des Rostocker Leistungsträgers noch im letzten Sommer mit Weitsicht und Kreativität verhindert werden können. Im Vergleich zu seinen Darbietungen auf dem Platz fiel das Gehalt des universal einsetzbaren Weidlich deutlich ab, Uwe Vester war es nämlich gelungen, Weidlich für ein bescheidenes Salär zu verpflichten. Ein neuer Mehrjahresvertrag samt Gehaltserhöhung im letzten Sommer – es wäre für den mehrfachen Familienvater ein schwer abschlagbares Angebot gewesen. Rostock ergriff diese unkonventionelle Option nicht, obwohl Weidlich schon in der Saison 2013/14 zu den Schlüsselspielern zählte. Stattdessen investierte der Verein das vorhandene Budget im letzten Transfersommer in Spieler wie Christian Stuff, Kai Schwertfeger, Christian Bickel und Marcel Ziemer.
Holstein Kiel bewies in der Personalie Weidlich dagegen einen langen Atem. Schon im vergangenen Herbst hatte man den wendigen Allrounder im Blick, hörte sich bei Personen um, die über Weidlich Auskunft geben konnten. Im Dezember zählte Neitzel Weidlich wie auch Teamkollege Marcel Ziemer in Hintergrundgesprächen zu den besten Spielern der gesamten Dritten Liga.
Spätestens mit dem Abschied von Kiel-Kapitän Rafael Kazior zur zweiten Mannschaft von Werder Bremen, der sich bereits Ende Januar andeutete, gewann die Weidlich-Personalie weiter an Fahrt. Immerhin trat der Kieler Routinier ebenso variabel auf wie der Rostocker Derwisch, der Kazior im kommenden Sommer ersetzen könnte. Allerdings könnte Weidlich ebenso als Alternative für die Innenverteidigung gelten. Nicht wenige Rostocker urteilten nämlich, dass der Deutsch-Ghanaer seine besten Spiele für den FC Hansa auf der Position des Innenverteidigers absolviert hätte.
Während Kiel einen Tag nach dem dramatischen Ende der Zweitligaträume eine Duftmarke auf dem Transfermarkt hinterlässt, muss sich die Hansa-Kogge nach adäquatem Ersatz umschauen.
Das Weidlich trotz seines früh feststehenden Wechsels so viel Charakter offenbarte und sich noch nicht einmal innerhalb der Mannschaft etwas anmerken ließ, macht die Aufgabe nicht leichter. Der FC Hansa steht vor der Mammutaufgabe, einen sportlichen wie charakterlichen Verlust kompensieren zu müssen.