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Und ein Stadionsprecher, der nicht mehr allein gelassen wird

Der FC Hansa Rostock und Holstein Kiel hatten in jüngster Zeit wenig gemein. Der eine Klub schwang sich zu großen Abenteuern auf, während der andere bis zum Schluss ums Überleben kämpfte. Nun sind beide Teams mit der gleichen Ausbeute in die Saison gestartet. Eine Analyse zu beiden Teams–  Teil1: Hansa Rostock.

Dass der FC Hansa Rostock wieder der alte FC Hansa Rostock aus älteren Tagen werden kann, bewies der Klub am Mittwochabend. 17.000 Zuschauer hatten den Weg ins Ostseestadion gefunden, bei der Verkündung der Zuschauerzahl schwappe die gute Stimmung fast über das Stadiondach hinweg auf die Kopernikusstraße.

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17.000 Zuschauer – das hört sich zunächst nicht nach besonders viel an. Für die Rostocker war es jedoch ein erstaunlich guter Wert. Immerhin versprach der Gegner, die Stuttgarter Kickers, nicht die Attraktivität eines Ost-Derbys. Noch dazu kamen nur eine Handvoll Gästefans mit, die sich neben den komplett verwaisten Gästeblock platzierten. Nimmt man noch die ungünstige Anstoßzeit dazu, die gerade den Fans aus dem breiten Umland die Reise erschwerte, steigt die Zuschauerzahl in ihrer Bedeutung weiter an. Wahrscheinlich ist sie sogar aussagekräftiger als die geknackte 20.000er Marke aus dem Pokalspiel gegen Kaiserslautern.

Für den FC Hansa war der Mittwochabend unter dem Strich also ein guter Spieltag, obwohl die Baumann-Elf das Spiel gegen die Stuttgarter Kickers mit 0:1 verlor.

Da war neben dem großen Zuschauerinteresse die kämpferisch beeindruckende Leistung, die überraschte. Nicht etwa, weil man den Spielern den Kampfgeist nicht zutraute. Sondern vielmehr, weil man eine Mannschaft sehr nah am körperlichen Limit erlebte. Eine Mannschaft, die in der Vorwoche mit Marcel Ziemer (Verletzung) und Christian Bickel (Wechsel in die 2. Liga) zwei herbe Verluste n den ohnehin schwierigen Personalplanungen erlitten hatte. Die gegen Osnabrück bei spätsommerlicher Hitze ans Limit gegangen war. Die nach dem schnellen 0:1 in der zweiten Halbzeit allenfalls kurzzeitig mit sich und dem Rückstand verloren schien.

Tatsächlich gab der FC Hansa Rostock zu Beginn der 2. Halbzeit nur kurzzeitig ein müdes Bild ab. Wirkten die Hanseaten im ersten Durchgang noch spritzig und jederzeit zu einem gefährlichen Angriff in der Lage, sahen die Rostocker zu Beginn der 2. Hälfte schlaffer aus. Sie verloren mehr Zweikämpfe, kamen zu spät. In der 52. Minute, als die Kickers den schönsten Angriff des Spiels inszenierten, gleich mehrmals hintereinander. Im Stadion war es schon vorher etwas ruhiger geworden.

Der FC Hansa Rostock der letzten Hinrunde wäre nach so einem Nackenschlag womöglich eingebrochen. Hätte ein paar Bälle hin und her geschoben, die Schultern hängen gelassen und später das zweite Gegentor kassiert. Vor genau einem Jahr, ebenfalls unter der Woche in einem Abendspiel, hatten die Mecklenburger gegen Großaspach das erste Mal dieses furchtbare und im spätereren Hinrundenverlauf für die Existens des Vereins gefährliche Gesicht gezeigt.

Dass die Baumann-Elf eine andere ist, erkannte man gegen die Kickers schnell. Die Köpfe richteten sich auf, insbesondere der junge Marcel Gottschling tat sich hervor. Scheiterte wie seine Teamkollegen nur knapp an Torhüter Carl Claus. Die Stimmung war zurück. Auf und neben den Platz. Traf der Schiedsrichter eine Entscheidung gegen Rostock, wurde es auf der Nordtribüne so laut, dass sich die Hände eines kleinen Jungen mit roten Ohrenschützern über die bereits abgedämpften Ohren schoben.

Allgemein fiel auf: Schon nach der kleinen Erfolgsserie von sieben Punkten aus drei Spielen hat sich in Rostock Euphorie eingestellt. Man erkannte sie daran, dass die Fans – vollkommen unabhängig vom Sitzplatz –  den Spielverlauf aufsogen. Viel emotionaler involviert waren, mitgrätschten und mitschossen, natürlich auch mitmeckerten, selbst wenn es nicht den geringsten Grund zur Beschwerde gab.

Die noch fokussiertere Form der Unterstützung war auch daran erkennbar, dass die Südtribüne deutlich weniger Schmählieder im Repertoire hatten und sich die „Ultras“ fast ausschließlich darauf besannen, die eigene Elf voranzupeitschen.

Möchte man die Ursachen dafür suchen, wird man in der Mannschaft fündig. Das Team ist nahbarer für die Anhängerschaft, die Typen sind kantiger als in den Vorjahren. Sie werden dadurch greifbar für die Zuschauer. Auch deshalb macht das Publikum wieder mit, wenn der Stadionsprecher die Startaufstellung vorliest.

In den letzten Monaten war diese Tradition fast komplett erloschen. Stadionsprecher „Struppi“ las zuletzt lieber gleich den ganzen Spielernamen vor, um sich und den wenigen „Mitbrüllern“ die peinliche Stille zu ersparen.

Die Lieblinge der Fans sind dabei vielseitig. Es gibt mit Dennis Erdmann eine Art Sebastian Pelzer, einen grantigen Typen, der abseits des Platz aber weit weniger grantig ist. Dann Tobias Jänicke, den Heimkehrer. Oder Marco Kofler, den man einfach mag, weil er sich jedem Zweikampf wie in einen Ringkampf hineinsteigert und glücklicherweise die meisten seiner Duelle gewinnt. Ebenfalls beliebt: Maximilian Ahlschwede. Der rennt, wenn „Mann“ eigentlich nicht mehr rennen kann. Ein Ex-Mitspieler betitelte ihn kürzlich als „Pferdelunge.“

Mit Christian Dorda, der für eines der spektakulärsten Hansa-Tore der letzten Jahre einen Sonderapplaus bekam, und Marcel Gottschling stehen sogar weitere Neunankömmlinge an der Schwelle zum Publikumsliebling.

Gerade Gottschling, der sich immer wieder aus einer Mischung aus Mut und Kreativität Chancen erspielt, fehlen nur noch die Tore, um in der Hierarchie weiter aufzurücken. Als er gegen die Kickers wieder vergab, polterte kaum ein Fan gegen den „Chancentod“. Stattdessen schienen weibliche und graukäuzige Fans ihn gleichermaßen in den Arm nehmen zu wollen.

Allein ob dieser Eindrücke ist der Saisonstart aus der Hansa-Perspektive gelungen. Die Punkteausbeute ist zwar durchschnittlich, unter den Vorzeichen, dass die Hansa-Elf am personellen Limit spielt, aber dennoch ganz gut.

Damit man das „Ganz“ streichen kann, vielleicht sogar durch ein „Sehr“ ersetzt wird, steht nun Uwe Klein in der Verantwortung.

Schon vor der Ziemer-Verletzung und dem Abgang Bickels fehlt den Hanseaten mindestens eine Alternative. → Steven Ruprecht, zuletzt Mittrainierer, urteilte: „Der erste Anzug ist hervorragend. Die beste Mannschaft, die ich in Rostock kennenlernen durfte.“

Das Problem: Momentan ist dieser erste Anzug beschädigt, an einigen Stellen haben sich Löcher aufgetan. Die sind zwar gestopft, doch hat man – momentan – das letzte Flickzeug dafür aufgewendet. Und ob das überhaupt über die gesamte Saison halten kann – das Risiko scheint zu groß.

Das heißt nicht mehr, als dass Uwe Kleins letzte Transfers des Sommers zwingend sitzen müssen. Dieser plädierte im Interview (erscheint wahrscheinlich Ende nächster Woche) vor den jüngsten Kaderveränderungen, dass er den Kader bewusst eng halten wolle. Nun ist er zu eng. Als sicher gilt, dass er noch zweimal reagieren wird. (Update: Ein neuer Stürmer ist bereits gekommen, Maik Lukowicz von der Werder U23)

Gelingen die letzten zwei, vielleicht drei Verpflichtungen so, wie die ersten personellen Handgriffe mit den dazu geholten Jänickes, Dordas, Henns, Gardawskis und Gottschlings bereits gelungen sind, und kommt Aleksandar Stevanovic ungeschwächt und gesund zurück – der Upset, also das, was potenziell möglich sein könnte, ist gewaltig. Vielleicht sogar groß genug, um Holstein Kiel (Hansa-Fans sei auch die Kiel-Analyse empfunden, die später erscheint) wieder zu überholen. Was für die Platzierung in der Tabelle nur ein gutes Zeichen sein kann.

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Hierfür muss allerdings alles passen. Kein weiteres, übermäßiges Verletzungspech. Streitköpfe, die nicht anfangen zu streiten. Die letzten Neuzugänge. Ein unvoreingenommenes Publikum, dass die Mannschaft auch dann trägt, wenn Talent und Aufwand noch nicht zum erhofften Ertrag führen.

Der Mittwochabend hat gezeigt, dass man über Letzteres vorerst keine Sorgen machen muss. Und nach diesem Adrenalin-Kick, mit roten Karten, verpassten Chancen und der Aufregung der letzten Minuten werden die meisten ganz sicher wiederkommen.

Zwei ganz persönliche Anmerkungen des Autors:

  1. Pyros sind schick. Ich mag sie, am liebsten zu Silvester. Und sie sahen auch gegen Stuttgart gut aus. Aber sie werden dem Verein wieder Geld kosten. Und der sollte mehr zählen als die Lust  und der Eifer nach schönen Bildern und ein bisschen Selbstdarstellung. Deshalb vollkommen verständlich, dass ein Hansa-Fan des älteren Semesters von seinem Platz sprang um mit klarer Gestik seinen Unmut gegenüber den Leuchtfakeln zu bekunden.
  2. Hasan Ülker – bitte, bitte so weitermachen, junger Mann. Das sah richtig gut aus!
  3. Tommy! Komm wieder auf die Beine!
Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.