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Warum hasst man den HSV so?

Wer am Wochenende das Internet nach Reaktionen auf die DFB-Pokalspiele erkundigte, der sah Häme und Spott. Natürlich gegen den HSV. Warum der HSV vielleicht erst absteigen muss, um wieder erfolgreich zu sein, kommentiert Hannes Hilbrecht.

Vor ein paar Jahren war der HSV ein ziemlich sympathischer Fußballverein. Ein Klub mit viel Geschichte aus einer geschichtsträchtigen Stadt, wunderschöne, weil weitestgehend schnickschnacklose Trikots, ein possierliches Maskottchen. Dazu immer wieder Fußballer, die ihre Nische in der Bundesliga fanden. Spieler wie Bernd Hollerbach, Raphael Wicky, Mehdi Mahdavikia, und, und, und.

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Warum hasst man den HSV so?

Der HSV tat niemandem weh, er war einfach da, meistens im besseren Mittelfeld. Dank seiner Tradition auch ohne Titel immer ein Garant für volle Stadion und hohe Einschaltquoten.

Mittlerweile ist der HSV nicht mehr der Everybodys Darling, sondern ein Verein, der – natürlich nur im übertragenen Sinne – nach Katzenpisse mieft. Als der Klub am Wochenende mit 2:3 nach Verlängerung in Jena verlor und aus dem Pokal ausschied, lachte mal wieder halb Fußballdeutschland. Zum Beispiel in Rostock, wo am frühen Abend der FC Hansa spielte, klatschten 20000 Fans laut auf, als das Ergebnis aus Jena auf der Anzeigentafel eingeblendet wurde. Da die Stadiontechnik zu schnell war, das HSV-Ergebnis ganz unten stand und vor der eigentlichen Verkündung bereits verschwunden war, spulte sie eilig zurück, bis der Stadionsprecher das HSV-Desaster vorlesen konnte. Erneuter Applaus, wieder volle Schadenfreude. Wohlgemerkt von den Fans eines Vereins, der im letzten Jahr nur knapp dem Abstieg in die Bedeutungslosigkeit entgehen konnte.

Warum hasst man den HSV so? Liegt es am ständigen Theater, dass mal von Kühne, mal von rappenden Verteidigern oder dilettantischen Vorstandsposten gespielt wird? Eher nicht. Darüber lächelt der Fußballfan, sogar der ein oder andere HSV-Anhänger. Ein Rucksack mit wichtigen Dokumenten, unter anderem Gehaltslisten der Profis, aufgelesen in einem Hamburger Park? Was soll’s, passiert halt. Ist der HSV. Oder ein HSV-Fan-Shirt, auf dem auf einmal Anhänger von Hertha BSC zu sehen waren – beim HSV ist eben nichts unmöglich.

Aber nein, der HSV ist nicht so unbeliebt, weil er für unterhaltsames Chaos sorgt. Der HSV wird mittlerweile von halb Fußballdeutschland geächet, weil er so unverschämt viel Glück hat. Es ist nicht mal Neid, sondern Wut, darauf, dass die Hamburger dank Fortunas Gnaden immer wieder kleineren Vereinen schaden, die ganz im Gegenteil zu den Hamburgern aus geringen Mitteln sehr viel machen.

Da wäre zum Beispiel Greuther Fürth, das in der Relegation 2014 über 180 Minuten besser war. Oder Karlsruhe, dass im Hinspiel 1:0 führte, zweimal Aluminium traf, mit einem Spieler, der aus Fairnessgründen auf einen klaren Elfmeter verzichtete und stattdessen weiterspielte. Das Karlsruhe, das den Aufstieg vergab, weil der HSV in der Nachspielzeit des Rückspiels einen sehr zweifelhaften Freistoß verwandelte.

Der HSV kann für sein Glück meistens nichts

Man denke an den SC Freiburg, der nur direkt abstieg, weil der HSV im direkten Vergleich ein Duseltor in der Nachspielzeit zum schmeichelhaften Remis erzielte. Er in der Vorwoche erst durch einen abgefälschten Schuss, natürlich in den Schlussminuten, glücklich in Mainz gewann.

Der HSV kann für sein Glück meistens nichts. Ehrlicherweise hatte er sich den Dusel in Karlsruhe sogar ausnahmsweise erkämpft. Als man nach dem 0:1 einen komatös dahinraffenden Dino erwartet hatte,  beeindruckte die Labadia-Elf mit unermüdlicher Moral.

Das Glück ist das wahre  Imageproblem des HSVs. Er kann sich vor seinem Dussel nicht retten, nicht einmal mit einer miserablen Leistung wie in der 1. Pokalrunde. In Jena fiel der erste Ausgleich nach einer glasklaren Fehlentscheidung des Schiedsrichtergespanns, das fatalerweise übersah, dass der Ball weit im Toraus war, bevor er überhaupt in den Strafraum gespielt werden konnte. Der zweite Ausgleich fiel in der letzten Minute einer opulenten Nachspielzeit, wieder nach wildem Gestochere im Jena-Strafraum.

Die Reaktionen der Fußballfans in Foren und auf Facebook – niederschmetternd. Häme, ja blanker Hass wurde den Hamburgern entgegengebracht, sogar in hunderten Fremdkommentaren auf der eigenen Facebook-Page. Gut möglich, dass deshalb die HSV-Medienverantwortlichen lieber gleich darauf verzichteten, die spätere Niederlage zeitnah im Netzwerk zu verkünden.

Nun könnte diese Abneigung natürlich motivieren. Beim FC Bayern München hat man seit Jahren das Gefühl, dass Abneigung und sportlicher Erfolg proportional zueinander ansteigen.

Beim HSV macht es den Anschein, dass längst das Gegenteil eingetreten ist. Er vielleicht auch deshalb so schlecht wie gegen Jena spielt, weil er schon vorher schlecht geredet wird. Dass sogar die Spieler mittlerweile davon ausgehen müssen, einfach nur schlecht zu sein.

Wie sonst kann es sein, dass die unzähligen Versuche des HSV, sich sportlich zu reformieren, bisher so desaströs scheiterten? Im letzten Jahr verpflichtete man mit Ostrzolek, Behrami und Müller Spieler, die zuvor für gute Leistungen bekannt waren, beim HSV aber kaum ein Bein an den Ball brachten. Nun investierten die Hamburger in junge Talente, die in Jena, bei einem Viertligisten, ebenso enttäuschten. Trotz des Glücks, das der HSV weit mehr als der Gegner auf seiner Seite hatte.

An eine gesunde Entwicklung kaum noch zu denken

Die schier unendliche Talfahrt des HSV, sie ging nach dem Sommerloch weiter. Sie wird, wenn nicht ein Wunder geschieht, auch in München weitergehen. Die Gründe dafür sind rational kaum noch zu erklären. Man flüchtet sich auf der Suche nach Antworten in Metaebenen. Wie möglichen Auswirkungen durch den  landesweiten Hohn, der unbescholtenen Neuzugängen das nötige Selbstvertrauen raubt, bevor sie überhaupt das erste Mal in die roten Hosen schlüpfen dürfen. Der Druck ist nach all den Blamagen so groß geworden, dass an eine gesunde Entwicklung kaum noch zu denken ist.

Vielleicht muss die Bombe platzen. Vielleicht braucht der HSV den Abstieg. Um mit sich selbst und vor allem mit Fußballdeutschland ins Reine zu kommen, vor allem um neu anfangen zu können.

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Nicht direkt den Abstieg, sondern dass alles etwas erträglicher wird, haben die vielen armen Seelen verdient, die ohne Unterlass zum HSV halten. Die nicht nur häufig verlieren, sondern sich meistens auch noch dafür schämen müssen, wenn sie gelegentlich gewinnen. Die trotz einer gesunden Einordnung der – glücklichen – Ereignisse gewissermaßen zu Arschlöchern ernannt werden, weil sie sich auch über Duseltore freuen können.

Umso schöner, dass sich der gemeine HSV-Fan den Humor bewahren konnte. Wie Magazin-Macher und Edelfan Oliver Wurm, der am Sonntagnachmittag auf seiner Facebookseite voller Hoffnung und Selbstironie  bis in die letzten Minuten auf einen irregulären Siegtreffer in der Verlängerung hoffte.

Ein besorgter HSV-Beobachter.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.