Wolfsburger Jugendarbeit: Vieles nur Show
Vor einem knappen Jahr sorgte der Wechsel von St. Paulis Ausnahmetalent → Sidnei Djalo nach Wolfsburg für Diskussionen. Die Gemüter um den fragwürdigen Transfer eines 13-Jährigen haben sich beruhigt, doch BLOG-TRIFFT-BALL schaut erneut auf die Nachwuchsarbeit der Wölfe – und findet: Da läuft irgendwas nicht richtig.
Foto: Patrick Franck
28. August 2015, 3. Spieltag der Bundesligasaison 15/16, der VfL Wolfsburg und Gegner Schalke 04 wollen mit einem Sieg im Freitagabendspiel einen erfolgreichen Saisonstart einfahren. In königsblauer Kleidung stehen mit damals Noch-Schalker Draxler, Sané, Matip, Kolasinac und Fährmann gleich fünf Spieler auf dem Feld, die zuvor im Nachwuchsbereich der Knappen (die Knappenschmiede) spielten, neben dem später eingewechselten Max Meyer nimmt zudem Eigengewächs Kaan Ayhan auf der Bank Platz. Dazu kommen der zu diesem Zeitpunkt verletzte Urschalker und Kapitän Benedikt Höwedes sowie Marvin Friedrich und Thilo Kehrer, die in jüngster Vergangenheit schon durch Ligaeinsätze oder starke Leistungen in DFB-Nachwuchsmannschaften auf sich aufmerksam machten.
Anders beim Verein aus der Autostadt: Nur die Bankspieler Maximilian Arnold und Robin Knoche stammen aus der Wolfsburger Jugend. Ansonsten stehen bei Wolfsburg Spieler auf dem Feld, für die der Verein über die Jahre an die 80 Millionen Euro ausgegeben hat. Zu den Wolfsburger Parolen auf der Vereinsseite passt dieses Verhältnis ganz und gar nicht. Immerhin fiindet man dort so Sätze wie: „Darüber hinaus sind wir bemüht, durch die Ausbildung ‚eigener‘ Profis die finanziellen Risiken des Vereins auf dem Transfermarkt zu mindern.“
Natürlich lässt sich argumentieren, dass der Vergleich mit den Schalkern etwas hinkt: hier ist der Gürtel trotz russischer Gasmillionen etwas enger geschnallt als beim lange Zeit aus dem millionenschweren Geldspeicher von Winterkorn scheffelnden Wolfsburgern; einige der genannten Spieler sind nur aufgrund von Verletzungen und Formschwäche ihrer ebenfalls millionenteuren Kollegen im Aufgebot; und zu guter Letzt das Totschlagargument: Wolfsburg ist erfolgreich(er), gewann nicht nur dieses Spiel sicher 3:0, sondern landete auch am Ende der vergangenen Saison auf Platz 2.
Dennoch: Der große Niedersachse hat inzwischen den Anspruch, in allen Bereichen zu den Spitzenteams zu gehören (und braucht deswegen auch zwingend als erster Bundesligist professionelle E-Sportler – das ist übrigens kein Scherz – → HIER!). Auch im Nachwuchs wird dieser Anspruch auf den ersten Blick gut umgesetzt: in der A-Junioren Bundesliga Nord/Nordost holten die Wolfsburger in den letzten neun Jahren gleich fünf Mal den Divisionstitel, dazu noch zwei zweite Plätze. Die viel beprochene Durchlässigkeit in den Profibereich scheinen die Wölfe zu beschränken. Aus dem aktuellen Kader haben nur die bereits angesprochenen Knoche und Arnold echte Chancen auf regelmäßige Erstligaeinsätze.
Warum das dauerhafte Einbauen von Wolfsburger Talenten in die erste Mannschaft nicht so recht klappen mag, offenbart ein Blick auf die bisherige Karriere von eben jenem Arnold: der sorgte erstmals im Frühjahr 2013 für Furore, als er in drei aufeinanderfolgenden Spielen netzte und damit plötzlich in den letzten Zügen des Abstiegskampfes eine wichtige Größe wurde. In der Saison 2013/14 konnte er diese starken Leistungen bestätigen, war ab dem 9. Spieltag im offensiven Mittelfeld oder auf den offensiven Außenpositionen gesetzt und überzeugte mit insgesamt zehn Scorerpunkten. Was seither geschah: die Wolfsburger warfen nach unglaublichem Verhandlungsgeschick an die 60 Millionen in die Kassen von Chelsea, verpflichteten dazu noch den ablösefreien Aaron Hunt. Dazu haben sich auch Ivan Perisic und Daniel Caligiuri an ihre fußballerischen Fähigkeiten erinnert. Für Arnold war in der Offensive kein Platz mehr. Selbst nach den zwischenzeitlichen Abgängen von de Bruyne, Perisic und Hunt sieht es dank der kostspieligen Verpflichtungen Kruse und Draxler für diese Saison nicht besser aus. Schon am Ende der abgelaufenen Saison durfte Arnold dann hauptsächlich im zentralen Mittelfeld aushelfen, wo aber nun neben Gustavo (16 Millionen Ablöse) Guilavogui (5,5 Millionen Leihgebühr!!!) gesetzt ist. Ähnlich erging es Robin Knoche – letzte Saison noch Stammspieler fiel er diese Saison plötzlich erst hinter Timm Klose zurück und bekam dann auch Dante vor die Nase gesetzt. Eigengewächsentwicklung sieht anders aus.
Der Verdacht liegt daher nahe: die Wolfsburger Jugendarbeit ist vor allem ein Prestigeobjekt, mit dem die Wolfsburger zeigen wollen, wie sie in allen Bereichen zur Spitze aufholen. Das „Sprungbrett zu den Profis“ (so steht’s auf der Vereinsseite) ist sie aber nicht, wie auch die auf der Wolfsburger Homepage als Erfolgsbeleg genannten Spieler zeigen: Michael Schulze, Bjarne Thoelke und Sebastian Polter taugen angesichts ihrer heutigen Stationen nicht wirklich als Beleg für die prächtige Durchlässigkeit. Bezeichnend für die tatsächliche Wertschätzung der Jugendarbeit in Wolfsburg ist dann auch eine Randnotiz der Dieselgate-Affäre: angesichts der angestrebten Einsparungen des Mutterkonzerns legt man auch beim VfL eine Millionen-Investition zunächst auf Eis – das neue Nachwuchsleistungszentrum.