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Lienen-Hospitant Brdaric: „Bei Ewald hat alles Hand und Fuß“

Thomas Brdaric wurde mit der TSG Neustrelitz sensationeller Meister, in diesem Jahr folgte der 2. Platz mit der U23 vom VfL Wolfsburg. Dennoch ist Brdaric auf Jobsuche. Wir sprachen mit ihm über seine Hospitanz bei Ewald Lienen und die Vorbereitungen auf sein Trainer-Comeback.

Foto: hammoniaview.de

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Herr Brdaric, Sie hospitieren in den letzten Tagen beim FC St. Pauli. Wie kam das zustande?
Der Kontakt zwischen Ewald Lienen und mir ist nie abgerissen. Wir hatten ein gutes Spieler-Trainer-Verhältnis, das von viel Vertrauen geprägt war. So bot sich mir die Möglichkeit, nun beim FC St. Pauli einen Einblick in die Zweitliga-Atmosphäre zu bekommen.

Und warum hat Ewald Lienen sofort „Ja“ gesagt?
Ich denke, dass er in mir als Trainer das Potenzial für mehr sieht und er mich auf meinem weiteren Weg unterstützen möchte.

Wie lang werden Sie den Kiez-Klub noch begleiten?
Das ist noch offen. Ich habe die Mannschaft zwei Wochen begleiten können, jetzt ist aber erst einmal eine Woche Pause. Die Mannschaft ist nämlich im Trainingslager und ich nutze die freie Zeit, um ein paar private Dinge zu erledigen. Wenn das Team in Hamburg ist, werde ich vermutlich zurückkommen.

Was bringt Ihnen der „Blick über die Schulter“?
Es ist mehr als nur ein Blick über die Schulter. Ich fühle mich sehr gut aufgenommen, bin ganz nah an der Mannschaft und bekomme vieles mit. Auch meine Einschätzungen werden gerne eingeholt. Dadurch kann ich viel lernen und neue Erfahrungen sammeln, habe aber gleichzeitig das Gefühl, etwas beitragen zu können.

Was können Sie von Ewald Lienen lernen?
Ewald Lienen besitzt durch seine lange Trainerkarriere sehr viel Reife. Alles, was er macht, hat Hand und Fuß. Es ist perfekt standardisiert, alle Abläufe sitzen. Vieles muss Ewald Lienen gar nicht mehr ansprechen, es wird von Mannschaft und Trainerteam einfach umgesetzt.

Wie können Sie von diesen Erfahrungen profitieren?
Ich bin ein junger Trainer und habe in Deutschland erst zwei Vereine im Herrenbereich trainiert. In Neustrelitz hatte ich einen ehemaligen Spieler als Co-Trainer und einen Torhüter-Coach, der maximal zwei Tage die Woche zur Verfügung stand. Andere Bereiche, wie Scouting, die Video- und Spielanalyse, das Athletiktraining oder auch die Arbeit mit den Torhütern haben wir häufig alleine umgesetzt. In Wolfsburg war das völlig anders, weil mir bei der U23 ein großes Team mit vielen Spezialisten zur Verfügung stand. Bei Ewald Lienen sehe ich nun aus bester Perspektive, wie das bei einem Zweitligisten umgesetzt wird. Dadurch kann ich meinen Horizont erweitern.

Wie unterscheidet sich ein Zweitligist wie der FC St. Pauli von einer U23-Mannschaft in der täglichen Arbeit?
In der Zweiten Liga wird fast alles auf das nächste Spiel ausgerichtet. Es steht der Liga-Erfolg im Vordergrund und man arbeitet in der Woche auf das gewünschte Ergebnis hin. In der U23 besteht ja eher das Hauptziel, die Talente möglichst weit voranzubringen und sie für den Profifußball zu rüsten. Die Ergebnisse sind zwar auch wichtig, aber primär geht es um die jungen Spieler. Was mir beim FC St. Pauli gut gefällt, ist die große Schnittstelle mit dem Jugendbereich. Obwohl der Ligaerfolg Priorität genießt, setzt der Verein konsequent auf seinen Unterbau.

Tickt ein Profispieler ganz anders als ein angehender Profi aus der U23?
Auf alle Fälle. Den Jungs beim FC St. Pauli merke ich ein ganz anderes Selbstverständnis an. Sie wirken sehr selbstbewusst, strahlen Sicherheit aus. Sie haben es ja bereits zum Profifußballer geschafft und genau das haben sie auch verinnerlicht. Bei den U23-Spielern war es anders. Sie brauchten fast täglich Motivation und das positive Zureden vom Trainer, dass sie es nach oben schaffen können.

Zuspruch und Motivation: Können Sie das derzeit auch gebrauchen? Immerhin sind Sie trotz zweier erfolgreicher Jahre vorübergehend vereinslos.
Ich muss mich damit kurzfristig zurechtfinden. Es ist für einen Trainer eine ziemlich blöde Situation, wenn man keine Mannschaft mehr hat, die man trainieren kann. Dazu kam noch, dass mein Ausscheiden aus meiner Funktion beim VfL Wolfsburg zu einem Zeitpunkt bekannt wurde, an dem die meisten Trainerpositionen bereits vergeben waren. Eine neue Aufgabe zu finden, war demnach nicht einfach. Es gab zwar Optionen und Gespräche, doch blieben diese bislang noch ohne Einigung.

Wie verfahren Sie denn neben Ihrer Hospitanz weiter?
Mein ganzer Tagesablauf dreht sich um Fußball. Ich überdenke meine Herangehensweise, mache mir Gedanken zu meinen bisherigen Arbeitsprozessen. Dazu die Beobachtung von Spielen und Spielern, die Pflege meiner Datenbank. Ich versuche auch, Präsenz zu zeigen, zum Beispiel mit der Hospitanz in Hamburg. Dadurch möchte ich mich in der Öffentlichkeit halten, das vorhandene Netzwerk ausbauen und nutzen. Falls sich eine Chance bietet, möchte ich vorbereitet und voll einsatzfähig sein. Deshalb arbeite ich akribisch jeden Tag an meiner Weiterentwicklung. Auch ohne eigene Mannschaft.

Beim VfL Wolfsburg ging es für Sie nach einem Jahr nicht weiter. Sie wurden Zweiter. Waren Sie mit Ihrer Leistung beim VfL zufrieden?
Wir haben ja alles andere als schlecht abgeschnitten, sind hinter Bremen knapp Zweiter geworden. Und ich glaube, dass wir eine gute Entwicklung genommen haben. Man darf ja nicht vergessen, dass Spieler den Verein verlassen haben, die in der Vorsaison zusammen über 50 Tore geschossen hatten. Das muss man erst einmal kompensieren, was uns auch gelungen ist. Ich wäre natürlich lieber Meister geworden und aufgestiegen, kann aber nicht sagen, dass ich mit den von der Mannschaft geleisteten Resultaten unzufrieden war.

Trotz des Rückschlags. Bleibt das Ziel Bundesliga bestehen?
Mein Traum bleibt natürlich die Bundesliga, und dahin möchte ich mich stetig hin entwickeln! Da ich jung bin, nutze ich jede Möglichkeit, an mir zu arbeiten und von den besten Trainern und Vereinen zu lernen! Ich bin auch dem Verein VfL Wolfsburg sehr dankbar, das ich die Chance bekam, mich dort in einem hochprofessionellen Umfeld entwickeln zu dürfen.

Wie sehr werden Sie dann beim nächsten Angebot auf die Ligazugehörigkeit des anfragenden Vereins konzentrieren?
Die Ligazugehörigkeit ist natürlich interessant, spielt aber nicht die Hauptrolle. Es geht doch um etwas Anderes. Passe ich in das Profil des Vereins und passt der Verein in mein Profil? Nur wenn das gegeben ist, kann man erfolgreich zusammenarbeiten. Deshalb schaue ich viel mehr auf den anfragenden Verein, als auf die Liga, in der die zu trainierende Mannschaft aktuell spielt.

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Macht man sich als Trainer Gedanken, was nach dem Fußball käme, sofern der große Schritt ausbleibt?
Gedanken mache ich mir immer. Ich denke Schritt für Schritt und möchte meinen Weg als Trainer weiter ebnen.

Was wäre denn die Alternative?
Außerhalb des Fußballs gibt es keine. Ich bin Trainer aus Leidenschaft. Ein Leben ohne aktiven Fußball ist für mich undenkbar. Meine Frau führt unser Restaurant, das „Fährhaus Bislich“, sehr erfolgreich. Wenn es die Zeit erlaubt, bin ich gerne vor Ort, denn auch dort geht es schließlich darum, ein erfolgreiches Team zu bilden und anzuleiten.

Herr Brdaric, zum Abschluss. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Bei einer ambitionierten und erfolgshungrigen Mannschaft. Auf dem Fußballfeld, versteht sich.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.