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„Ich kenne keine Avocado-Ultras“

Kevin Friedersdorf ist ein erfolgreicher Geschäftsführer einer Digitalagentur und ein Freund von BTB. Wir haben mit dem Mecklenburger über seine Vision des Sportmarketings gesprochen.

Foto: Mandarin Medien

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Kevin, bist du eigentlich Fußballfan?
Ich bin früher häufiger mal zum FC Hansa Rostock gefahren. Als Schweriner war man ja entweder Hamburger oder Rostocker. Das Ostseestadion und so manche Auswärtsfahrt waren damals ganz besondere Erlebnisse. Eigentlich ganz cool und wild. Einmal aber bin ich unverschuldet in eine Auseinandersetzung zwischen anderen Fans und der Polizei geraten. Da gab es ordentlich Pfefferspray in die Augen und einen Polizeiknüppel in die Rippen. Das hat meine Sehnsucht zum Fußball erheblich gedämpft. Mein Bruder, ein HSV-Fan, ist aber noch ganz aktiv dabei. Ihm merkt man auch an, wenn der HSV mal eins verliert. 

Trotzdem, das hat sich in persönlichen Gesprächen gezeigt, entwickelst du beruflich mehr und mehr Interesse am Sport. Wie kommts?
Wir machen bei MANDARIN MEDIEN digitales Marketing. Und im Content Marketing, einer unserer Lieblingsdisziplinen, geht es vor allem um die richtigen Zielgruppen und Stories. Und bei beiden Themen gibt es kaum so ein reizvolles Gebiet wie den Sport. Fast jeder von uns mag irgendeine Sportart so sehr, dass man sie mehr oder weniger intensiv verfolgt. Selbst Trendthemen wie Food haben nicht ansatzweise das emotionale Potenzial von Sportreportagen. Ich kenne jedenfalls keine Avocado-Ultras. Und welcher Gesellschaftsbereich schafft es so erfolgreich, sehr unterschiedliche Charaktere für wenige Stunden zu vereinen, zumindest regional? Ich habe es bei den Volleyballerinnen von Palmberg Schwerin erst kürzlich wieder gemerkt. Da machen alle mit. Die Vips in ihrem Bereich und die “gelbe Wand” auf den normalen Tribünen. Mit Sport kannst du fast jeden Menschen emotionalisieren und packen. Außerdem bietet der Sport unfassbar viele gute Stories. Siege, Niederlagen, Grenzgänge. 

Als Agentur habt ihr lange nichts mit speziellem Sportfokus gemacht. Wie kommt es zu der neuen Begeisterung?
Wir haben seit ein paar Monaten das Glück, für Garmin zu arbeiten. Das ist ein Kunde aus den USA mit sehr spannenden Produkten. Deren Wearables unterstützen Menschen aus allen Bereichen im Alltag, und das ist wirklich kein Marketing-Sprech. Ob Profisportler oder Spaziergänger – da ist für jeden das richtige dabei. Es ist eine hochtechnologisierte Marke, aber eben keine elitäre. Unabhängig von seinem Einkommen kann sich jeder die Produkte von Garmin leisten. Für diesen Kunden dürfen wir ein Onlinemagazin weiterentwickeln. Auf Beatyesterday.org geht es um Sport, Ernährung und Lifestyle. Die tägliche Arbeit macht vor allem deshalb viel Spaß, weil wir das Gefühl haben, authentische und ehrliche Geschichten zu erzählen. Die Spannung liegt vor uns. Wir müssen sie nur aufgreifen und gut erzählen. Als Marke wollen wir dem Nutzer helfen, sein Leben aktiver zu gestalten.

Und das ist so anders als der Alltag im Marketing?
Die Herausforderung ist im normalen Marketing oft die Frage der “Authentizität”. Bist du nicht authentisch, verlierst du bei den Endkunden schnell das Vertrauen und baust schon gar keine Loyalität auf. Gleichzeitig sind wir Menschen heute aber stark daran gewöhnt, dass alles über die Maßen spannend und aufregend ist. Das fängt beim Instagram-Filter an und hört bei Scripted Reality auf. Und im „normalen“ Marketing ist es auch deswegen oft schwierig, authentische, gute und spannende Geschichten zu erzählen, weil es viel direkter etwas verkaufen muss. Content Marketing hat den Vorteil, dass es den Menschen anders als Werbung nicht gegen ihren Willen gefallen will – sondern die Inhalte gefallen der Zielgruppe sowieso und das Marketing findet zurückhaltend nebenher statt. Im Sport funktioniert das perfekt. Hier ist nichts unmöglich und selbst die absurdesten Geschichten sind glaubhaft, weil sie tagtäglich passieren. 

Du hast mit GrowSmarter schon ein eigenes Marketing- und NewWork-Magazin aufgebaut. Haben die positiven Erfahrungen mit #BeatYesterday.org deine Lust auf Content Marketing mit Sportthemen noch bestärkt?
Seit einem Jahr grübeln wir mit ein paar Mitarbeitern über eine Vision. Genauer gesagt über eine Plattform, die neue Stories erzählt und mehr noch: Die mehr als Unterhaltung und Werbung macht, sondern tatsächlich einen gesellschaftlichen Impact erzielt. 

Zu oft beliebig und austauschbar

Ich bin gespannt.
Wir schätzen das US-amerikanische Magazin “The Players Tribune” sehr. Dort schreiben Spieler Gastbeiträge zu einem bunten Mix an Themen. Es ist mal politisch und mal nerdy, wie wir auf in unser Vision auf GrowSmarter beschreiben. Fakt ist: Man bekommt dort von Vorbildern aus der Welt des Sports ganz andere Seiten gezeigt. Sehe ich im Fernsehen Interviews nach Spielen, sind die Antworten oft beliebig und austauschbar. In einem Wort: öde. Das stört sogar mich als Laien. Ich frage mich, ob Sportler wirklich so wenig zu erzählen haben und so langweilig sind. Bei #BeatYesterday haben wir andere Erfahrungen gemacht, da gibt es Geschichten von Athleten outside the box. Ich glaube, mit der richtigen Plattform würden wir auch mehr Haltung und Insights von den Stars aus populären Mannschaftssportarten destillieren können. Es gibt sowohl bei Fans als auch bei den Protagonisten ein Bedürfnis danach. 

Beim Players Tribune schreiben Weltstars. Ganz schön ambitioniert so eine Idee. Und irgendwie unrealistisch.
Es ist die Frage, wie man so etwas aufzieht. Ein schickes Magazin-Design hinknallen und fünf, sechs Promibeiträge zum Start einkaufen? Das ist in unserem Konzept nichtmal im Ansatz die Lösung. So eine Content-Plattform, wie wir sie in der Werbung nennen würden, darf nicht von oben herab wachsen. Sie braucht Zeit und nicht gleich den totalen Pomp. Es geht darum, einen digitalen Ort zu schaffen, der den Lesern tatsächlich Mehrwerte, nämlich neue Geschichten aus neuen Perspektiven bietet. Dabei kann der Drittligaprofi mehr zu erzählen haben als ein Spieler vom FC Bayern München. 

„MagentaSport“ ist ein starker Brand

Wer könnte so eine Plattform in deinen Augen stemmen? Verlage oder eher große Marken, vielleicht ein Joint Venture?
Für Verlage sehe ich die Perspektive schwierig. Erstens ist das ja kein normaler Journalismus, was wir vorhaben. Da brauchen große Medienhäuser starke Trennlinien. Zweitens wird so eine langfristig gedachte Plattform nicht sofort den Return of Invest bringen, den Medien für die Finanzierung brauchen. Und übrigens finden wir nichts leserunfreundlicher als die blinkende Bannerwerbung. Auch eine Bezahlschranke wäre wieder ein elementarer Eingriff in die Zugänglichkeit für alle Leser. Eine Marke, also ein Unternehmen als Mutterschiff der Plattform, halte ich für die einzig plausible Lösung, weil sie langfristiger planen kann.

An was für Marken denkst du?
An Marken, die schon im Sport aktiv sind und die eine neue Bühne eröffnen wollen. Eine Plattform, die eben auch Haltung in die Gesellschaft übertragen will. Ich habe bei BTB letztens durch Zufall das fünf Jahre alte Interview mit Ewald Lienen entdeckt, in dem sich Lienen erschreckend präzise zum heutigen Rechtsextremismus äußert. Sowas Klares liest man im Sport viel zu selten. Vielleicht, weil den Sportlern und Trainern der Kanal dafür fehlt. Genau solche Themen müsste die Marke hinter dem Magazin fördern wollen. Und eben die nötige Geduld haben, da so eine Plattform Zeit für stetes Wachstum braucht.

Ich wiederhole mich: Welche Unternehmen sind konkret interessant?
Jedes Unternehmen, das genauso wie der Sport alle Bevölkerungsteile erreichen kann und möchte. Wenn ich an den starken Brand MagentaSport denke, ist die Telekom sicher für so eine Vision interessant. 

Diese Vision ist im Grunde nichts weiter als ein Abpausen des „Player Tribune?“
Nein. Im Grunde ist die einzige Gemeinsamkeit, dass die Protagonisten von den Sportplätzen und Eisflächen in die Autorenrolle schlüpfen. Wir glauben, dass es anders als beim “Players Tribune” eine richtige Verbindung zwischen den Autoren und den Lesern geben muss. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber das Ziel sollte sein, dass der Gap, also die wachsende Kluft zwischen dem Superstar, der Millionen verdient, und dem einfachen Fan, wieder nachhaltig schrumpft. Dass es wieder so etwas wie einen echten Austausch gibt. Und natürlich müsste unter den Beiträgen klar stehen, dass Redakteure die Artikel protokollieren. 

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Content Marketing: Der Klebstoff zwischen Kunde und Marke

Ich stelle mir das schwierig vor: Wenn eine Marke diese Plattform entwickelt, könnten andere Brands verhindern, dass “ihre” Vereine und “Athleten” dort mitmachen.
Das kann passieren. Aber das wäre kurz gedacht. Wenn ein Sportler, egal welche Schuhe er trägt, einen guten Beitrag zu erzählen hat und Einfluss als ein Vorbild für die Jugend nehmen kann, ist das doch nur positiv. Wir glauben sogar, dass durch die Plattform bislang unbekannte Role Models auftauchen können.

Wollt ihr die Vision verwirklichen? Also traut ihr euch das als kleine Agentur überhaupt zu?
Das ist eine schwierige Frage. Wir fühlen derzeit viel vor, wer überhaupt so eine Plattform inhaltlich mit aufbauen könnte. Vielleicht gibt es bald einen ersten Testballon. Allerdings ist uns auch klar: Wer so eine Idee als erstes auf das Feld bekommt, hat einen entscheidenden Vorteil. Aber selbst dann würden wir die Daumen drücken, damit so ein Pilotprojekt gewinnt. Die Medienlandschaft, die Protagonisten und die Fans könnten von so einer Plattform doch nur profitieren. 

Zum Abschluss: Warum würdest du als erfahrener Werber so ein Projekt empfehlen?
Unabhängig von den positiven Effekten für die Markenentwicklung und Kundenbindung: Content ist nachhaltig. Er ist teuer in der Produktion, ja, aber dafür verschwindet er nicht so schnell. Er ist immer auffindbar, kann blitzschnell wieder aktuell werden. Stell dir vor, Mats Hummels hätte vor drei Jahren einen öffentlichen, medial aufbereiten Abschiedsbrief an den BVB geschrieben. Jetzt ist er wieder zurück in Dortmund und der Beitrag wäre mit großer Reichweite wieder aktuell gewesen. Das kann nur guter Content. Guter Content ist der Klebstoff zwischen der Marke und den Usern. Und starker Content macht aus den Kunden loyale Fans.

Benny Semmler

Papa, Blogger, Mitgründer FRISCHER FILM, Seniorenspieler USC Paloma, Mitglied UnterstützerClub des FC St. Pauli, Towers-Fan und Gotnexxt.de-Follower.