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Hansa-Analyse // Da hilft auch kein Titan

Hansa verliert gegen Halle und das sogar verdient. Ein Hauptgrund: Dem FC Hansa entgleitet erneut ein Spiel, als es gerade richtig gut läuft. Sorgen machen ein Mannschaftsteil und ein Führungsspieler. Die Analyse zum 2. Spieltag.

Analyse: Hannes Hilbrecht
Illustration: Stefan Pede

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Am Wochenende war ich an der Seenplatte. Zwei DDR-Ferienhäuser, ein großer Hof mit eigenem Steg, mitten auf einer dicht bewaldeten Landzunge. Fernab von fremden Mitmenschen und doch 4G. Ein Paradies. 

Auf dem Handy verfolgten wir das Spiel gegen Halle. Meine Schwester, neun Jahre alt, sah das erste Mal überhaupt ein komplettes Hansa-Drama im Bewegtbild. Selbst das Wasser und die SUP-Boards konnten sie nicht vom improvisierten Picknickdeckensofa weglocken. Schießt Hansa noch das Siegtor? Der Bruder hatte es doch versprochen. Sie bangte.

Und was machte der FC Hansa Rostock? Er verlor ein Fußballspiel gegen einen guten Gegner, dass er nicht hätte verlieren müssen. 

Wenigstens lernte meine Schwester, dass Jungs mit Man-Bun, also die androgynen Typen mit Zopf, manchmal im Kopf nicht ganz gerade laufen (Moin, Moin Sebastian Mai!). Aber auch nicht alle Saalestadthipster über einen Kamm zu scheren sind – denn Björn Jopek schoss in Unterzahl ein tolles Siegtor. Muss man anerkennen. 

Doch starten wir bei #GoodMorningRostock mit wichtigeren Fragen:

Warum hat Hansa das Spiel verloren?

Auf diese Frage gibt es, wie nach einem Fußballspiel üblich, eine einfache und ein paar komplizierte Antworten. Zuallererst, und das fällt mit einem Tag Abstand leichter zu gestehen: Halle war die bessere Mannschaft. Der Sieg war verdient. Das Chancenplus gehörte den Roten. Nicht unbedingt in der schieren Menge, dafür aber in der Qualität. Wer das Spiel nicht sah, hier ein illustrer Vergleich im Sommer-Wording:

Beide Teams bauten bei der Urlaubshitze etwa gleich viele Sandburgen. Doch fertigten die Hallenser ihre Chancen, ähm Sandburgen, in der Schönheit von Warnemündes Promenade, während der FC Hansa seine Gelegenheiten mit dem Sexappeal von Halle-Neustadt kreierte. Das war also das Problem. Hansa machte es nicht so genau und schön wie Halle, die mit zwei Aluminiumschüssen wiederum fast zu präzise schossen.

Aber viel interessanter: Warum war Halle besser als Rostock?

Die ersten fünf Punkte auf meinem Notizblock:

1. Halle bekam in den ersten zwanzig und in den letzten dreißig Minuten viel konstanter Druck auf den Ball als die Rostocker. Hansa fand in diesen Phasen keine Spielkontrolle, konnte keinen Dampf ablassen. Selbst Bülow, der früher kam als gegen Köln, konnte das Spiel nicht beruhigen.

Die Hallenser waren relativ ballsicher und gaben Hansa nur selten ein kurzes Spielfeld Richtung eigenes Tor. Das Umschaltspiel, Hansas bestes Werkzeug gegen Köln, gelang nur in wenigen Szenen. Am besten vielleicht, als Korbinian Vollmann einen Freistoß kurz ausführte, doch Breier den Ball im Abschluss nicht voll traf.

2. Verlor Hansa mal wieder in einer ziemlich guten Phase die komplette Spielkontrolle. Dabei fing es nach dem Pausen-Eistee gut an. Hansa gewann früh Zugriff und sammelte fleißig Ballgewinne. Die Hallenser Verteidiger fanden keine freien Anspielstationen. Unmut schwelte im Stadion unter den Halunken. Ein Hansa-Tor schien in diesen Minuten sehr viel näher als ein Treffer des Gastgebers. Doch wie gegen Köln verlor Hansa den roten Faden komplett. Auf die beste Phase (46. bis 55. Minute) folgte die mit Abstand schwächste.

Schlimmer noch, dass dies gegen Halle nicht ruckartig durch ein überraschendes Tor oder einen Platzverweis geschah. Halle holte sich wie beim Tauziehen Meter für Meter vom Spiel zurück. Und weder die Mannschaft noch Trainer Jens Härtel fanden Lösungen dagegen. 

3. Das mag daran liegen, dass dem Rostocker Trainer bessere Wechseloptionen fehlen. Halle tauschte spätestens mit Toni Lindenhahn die Wende ein. Jens Härtel konnte darauf nur mit Not-Alternativen reagieren. Marco Königs kam bis auf eine starke Szene kaum nennenswert ins Spiel. Nils Butzen spielte nicht auf seiner Paradeposition. Bülow blieb nur der undankbare Job, die Socken im defensiven Mittelfeld zu stopfen. Gerade bei der Hitze sind gute, frische Kräfte extrem wichtig – Hansa konnte jedoch den ausgelaugten Korbinian Vollmann nicht einmal ansatzweise ersetzen. Ein Extra-Lob gebührt Halle-Coach Ziegner. Der riskierte extrem viel mit seinen drei frühen Wechseln – und konnte so das Spiel seiner Mannschaft wieder erfrischen.

4. Die Hallenser waren die schlauere Mannschaft. Bis auf den irren Linksverteidiger Niklas Landgraf (gelb-rot für die MMA-Grätsche) spielten die Roten durchweg smarter. Das äußerte sich zum Beispiel in einigen taktisch klugen Foulspielen. Halle zerstörte so sehr schnell sehr verlockende Situationen für die Hanseaten, während die Rostocker das adäquate Instrument “Foul” zu unentschlossen oder in den falschen Situationen einsetzten.

5. Hansas-Mittelfeldzentrale machte ein schwaches Spiel. Tanju Öztürk patzte vor dem Gegentor, als er eine Flanke völlig unnötig wieder scharf machte. Mirnes Pepic war beim Schuss von Jopek zu weit weg. Auch davor kam Halle zu oft durch die Mitte. Pepic, der offensiv ein paar Akzente hatte, und Öztürk hielten dem Hallenser Druck nicht genügend stand. Den Kollegen Wannenwetsch dürfte man nach diesem Spiel etwas mehr vermissen. 

Unbezahlter Hinweis: Alle Screenshots ©MAGENTA-Sport. Die Wiederholung der 90 Minuten könnt ihr euch hier ansehen!

Die Offensiv-Analyse

23. Spielminute: Pepic mit einem wirklich sehr schönen Freistoß. Er überspielt das rotblaue Menschenknäuel und gibt Adam Straith eine Chance, das 1:1 mit dem Gegenspieler zu gewinnen. Das gelingt dem Kanadier famos, er schafft alleine durch seinen besseren Laufweg zwei Meter Separation. Sein Kopfball wäre jedoch auch in der Pampers-Liga nicht gut genug gewesen.

Straith-Kopfball

43. Spielminute: Pascal Breier balanciert hier zwischen Genie und Wahnsinn. Den Ball von Eisele fängt er gut ab, er macht die Szene so überhaupt erst möglich. Doch sein Pass in die Mitte gerät zu steil. Vollmann war völlig frei, auch hier wird eine potenzielle Riesengelegenheit schlecht ausgespielt. Kleine Entschuldigung: Der Hallenser Verteidiger blockiert den leichten Passweg und auch der Sünder Eisele kommt schnell raus.

Breier-Fehlpass

82. Spielminute: Bülow mit einem gefühlvollen Ball an den Strafraumrand. Königs mit einer guten Brustablage, die dadurch noch besser wird, weil er schnell seine Füße zurückzieht. Breier löst sich im rechten Moment und startet – mal wieder – gut in den Raum. Den Schuss bekommt er unter doppelten Druck aufs Tor. Er ist scharf genug, aber leider zu ungenau. Hier fehlen Zentimeter zum Tor – und wohl auch zum Sieg.

Breier-zu-wenig-präzision

Bilanz der Offensive: 

Ärgerlich: Hansa kam in der Summe auf acht, neun gute Situationen, die man als unmittelbar torgefährlich oder sogar als sehr torgefährlich einschätzen kann. Gerade Pascal Breier lief wieder ein paar Mal gut in Position, doch brachte er aus zahlreichen gefährlichen Situationen nur einen Ball gefährlich auf das Tor. Das war dieses Mal leider nicht hitverdächtig.

Bei Breiers ungenauem Abspiel auf Vollmann oder dem schlechten Straight-Kopfball wurden Großchancen verschenkt. Auch Vollmann (rutschte beim vielversprechenden Fernschuss aus) und Hildebrandt (abgefälschter Kopfball) fehlte jeweils die Prise Glück. Gegen eine sehr gute Defensivmannschaft wie Halle ist das trotzdem eine ordentliche Chancen-Ausbeute für ein Auswärtsspiel.

Die Defensiv-Analyse

46. Spielminute: Hansas Umstellung von Vierer- auf Dreierkette verdichtete das Spiel im Mittelfeld zu Ungunsten der Hallenser. Doch in dieser Szene wird Hansas Abwehr perfekt attackiert. Straith nimmt Mai an der Mittellinie aus dem Spiel, doch Riedel und Rieble lassen sich überspielen. Am Ende entschärft Rieble nach starkem Sprint für seinen Kapitän. Der wiederum etwas zu behäbig nachtrabt und es versäumt, den Passweg in die Mitte zu schließen.

Riedel-46

59. Spielminute: Die Dreifachchance für Halle. Bei der ersten Hereingabe passt die Zuordnung nicht, Mai kann frei köpfen. Danach haben Hildebrandt und Riedel die Chance, die Situation zu klären, doch beide lassen den Pass auf die Außenbahn zu (roter Kreis).

Dreifachchane1

Anschließend lässt sich Riedel verladen. Als er das Bein zum Abblocken hebt, biegt der Flankengeber längst ab und bekommt so den notwendigen Vorsprung für die eigentliche Flanke. In der Abwehr herrscht das große Chaos. Gerade Öztürk, der am besten stören kann, pennt total. Der Hallenser Angreifer darf diese Torgelegenheit mit einem Handkuss begrüßen.

Öztürk-Riedel

Stark: Straiths langes Bein verhindert neben Kolkes Reflex die Führung. Er steht dem Hallenser trotz der schlechteren Position sofort auf dem Fuß. 

Straith

61. Spielminute: Hier hätte der Schiedsrichter wohl auch Foul für Hansa pfeifen können. Riedel geht an der Mittellinie zu Boden, danach kann Rieble nicht entscheidend foulen. Halle hat ein 3:1, weshalb Straith nicht offensiver rausrückt. So bekommt Lindenhahn (der Rote hinter Straith) ganz viel Platz. Öztürk kommt zu spät in die Szene und auch Riedel läuft nicht schnell genug zurück. Beim nachfolgenden Pfostenschuss hat Hansa großes Glück.

Hansa-Offen-Lindenhahn-Pfosten

88. Spielminute: Öztürk mit einer schwachen Klärungsaktion, die zur Farce gerät. Er köpft den harmlosen Ball unbedrängt in die Mitte und macht ihn so scharf.

88.Minute Öztürk fehler

Pepic wird von diesem Kopfball-Querschläger überrascht und ist anschließend nicht nah genug bei Jopek – das gilt aber beinahe für die gesamte Hintermannschaft des FC Hansa.

1-0-schuss

Bilanz der Defensive:

Hansa hatte bei Ecken und Flanken teils große Zuordnungsprobleme. Auch ließen sich die Innenverteidiger mehrmals überspielen. Dazu kamen individuelle Fehler und die fehlende Konsequenz in strafraumnahen Zweikämpfen. Auch Hansas Doppelsechs war der Aufgabe Hallescher FC lange nicht gewachsen.

Wer macht Sorgen?

Julian Riedel und die Mittelfeldzentrale. 

Es ist nur ein oberflächlicher Eindruck, aber Riedel war für mich erneut eines der schwächeren Glieder in der Hansa-Kette. Und das trotz seines starken Tacklings in der zweiten Halbzeit, als er unter dem Einsatz seiner unteren Extremitäten einen HFC-Vorstoß verhinderte. Auch holte Riedel ähnlich forsch den Platzverweis heraus.

Riedel wirkte mal zu übereifrig, dann wieder zu passiv. Er hatte (außer bei der besagten, sehr guten Grätsche im Strafraum) Probleme mit seinem Timing. Einmal klärte Nico Rieble dort, wo eigentlich Riedel hätte sein müssen.

Riedel, der mir letztes Jahr extrem gut gefiel, offenbarte wieder ungeahnte Schwächen, spielte unter seinen Möglichkeiten. Vielleicht ist es die Kapitänsbinde, die ihn nicht zusätzlich motiviert, sondern lähmt. Die dafür sorgt, dass sich Riedel im Kopf ein, zwei Prozentpunkte weniger auf das Abwehrspiel konzentriert, sondern das Gesamtgefüge der Mannschaft betrachtet. Diese Nuancen können das Spiel eines Innenverteidigers, der unglaublich viele schnelle und vor allem richtige Entscheidungen treffen muss, extrem beeinträchtigen. 

Riedel ist auf dem Papier ein würdiger Kapitän. Ein Spieler, der sich voll reinhaut und früh an Hansa langfristiger band. Der fußballerisch viele Stärken besitzt. Doch die Gründe dafür, warum er zurzeit mehr schlechte als gute Entscheidungen trifft, sollten schnell erörtert werden.

Noch problematischer: Öztürk und Pepic (der jedoch mit guten offensiven Impulsen) waren in den Schlüsselszenen zu weit weg. Das Hansa in den ersten 15 Minuten so gravierend taumelte, lag auch an den beiden. Durch die Umstellung von Vierer- auf Dreierkette bekam Hansa durch einen höherstehenden Ahlschwede mehr Kontrolle – doch daraus resultierten neue Probleme für die Hintermannschaft. Vielleicht braucht Hansa nicht nur zusätzliche Qualität auf der Außenbahn, sondern auch im defensiven Mittelfeld. 

Wer macht Mut?

Die Krake Markus Kolke. Schon in den Tagen vor dem Spiel beäugten wir Kolke als Wunschmotiv für unser wöchentliches Kolumnen-Bild. 

Hansa würde, so unsere Vorstellung, mit 1:0 beim HFC gewinnen. Kolke dabei grandios halten, Mirnes Pepic das Siegtor schießen. Wir Game-of-Thrones-Fanboys stellten uns Kolke als “Bluthund” und Pepic als “Arya Stark” vor, die gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten. Die Überschrift des geplanten Schreibwerks: “Nicht heute!”

Hat immerhin so semi geklappt. Kolke hielt wirklich großartig, doch manchmal ist auch ein Titan nicht genug.

Kolkes Taten waren fast durchweg Paraden, die nicht nur gut aussahen, sondern tatsächlich nicht jedem Keeper der Liga gelungen wären. Hansas Nummer-1 hielt die Null fast bis zum Ende und überzeugte nicht nur im Fünfmeterraum.

Ein paar seiner Abwürfe saßen perfekt, sie fanden in Halles engem Gegenspiel-Netz offene Räume. Auch beruhigte er in Stresssituationen das Spiel, indem er den Ball so lange wie möglich hielt. Und Kolke brachte Halles Forrest Gump Sebastian Mai zum Überschäumen. Game-Grade: 82,7.

Kolke gegen Halle, das war am Ende wie Kahn bei der WM 2002 – The Last Man Standing. Und anders als Kahn machte er keinen großen Fehler. Hehe. Unser Kolumnen-Motiv ist übrigens Kahns Trauerspiel von Yokohama nachempfunden.

PS: Über 30 Grad, pralle Sonne. Und Kolke spielte ganz in schwarz, langärmlig und Bein zeigte er auch kaum. Wie sieht sein Dress bei -10 Grad aus? Schal? Mütze? Neoprenanzug?

Warum wird es gegen Bayern II besser?

Hansa zeigte gegen Halle nicht nur die Anfälligkeit zum Kontrollverlust, sondern auch, wie man die Dominanz von einem zunächst übergelegenen Gegner zurückgewinnen kann. Zwischen der 20. und 55. Minute war Hansa besser im Spiel und stoppte Halles anfänglichen Offensivrausch bisweilen ziemlich stark. 

Vollmann, Breier und Opoku bringen alle gewisse Ballfertigkeiten, Mut und Tempo mit – es fehlt noch die Wucht und der sichere Abschluss. Verhoek hat zumindest die erstere Gabe im Gepäck. Kopfbälle sind bei Hansa in den bislang 180 Saisonminuten kaum eine Gefahr gewesen. Das dürfte sich bald ändern und eine neue Dimension eröffnen.

Imagefilme für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern

Hansa lief den Gegner einige Male gut an und erzwang beinahe zwei kapitale Fehler vom eigentlich guten Halle-Keeper Eisele. Auch gewachsenen Drittliga-Teams wie Halle kann Hansa also viel Stress bereiten, ohne überhaupt den Ball zu haben. Das ist eine Schlüsselqualität in der Liga. Am Samstag fehlte hier nur die Ausdauer. Lag es an der Hitze?

Markus Kolke und Adam Straith hatten extrem gute Szenen. Gerade Kolke rehabilitierte sich für seinen Fehler vom Köln-Spiel. Die Achse (zwei Neuzugänge von Pieckenhagen) der Defense steht, um diese kann etwas aufgebaut werden. Die Frage ist: Wie schnell gelingt das?

PS: Nach dem Spiel gegen München gibt es wieder einen PLAYER-GRADE-Artikel.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.