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Kapitän Koch: Ein Effenberg werde ich nicht mehr

Ich hätte mich nicht ernst genommen.“ Das sagt Philipp Koch über sich selbst. Und auch sonst war es ein sehr ungeschminktes Gespräch mit dem Kapitän der Norderstedter Eintracht.

 

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Philipp, Platz 4 in der Regionalliga Nord, kannst Du Dir erklären, warum Ihr so gut da steht?
Nicht wirklich. Eigentlich ist das zweite Jahr nicht so einfach und davon bin ich auch ausgegangen. Aber grundsätzlich muss man schon sagen, dass letztes Jahr jedes Spiel besonders war, heute ist der Alltag eingekehrt. Ich habe kein Problem damit, dass es momentan so gut läuft.

Alltag also. Das wird der Trainer nicht gerne hören.
Na ja, also letztes Jahr waren wir bei jedem Spiel sowas von aufgeregt. Beim ersten Spiel in Havelse sind wir alle mit großen Augen auf den Platz gegangen und wollten mal gucken, was nun passiert. Und das war auf vielen anderen Plätzen auch so. Doch das hat sich irgendwann gelegt, weil die Anspannung kam die Liga zu halten. Wichtig ist aber, dass wir nun, nachdem wir letztes Jahr gesehen haben, dass wir mithalten können, nun keinen Schritt weniger machen. Wir haben Bock auf gewinnen und müssen uns nicht verstecken.

Wie weit hat Dich das letzte Jahr persönlich geformt?
Es war das erste Jahr als Kapitän. Das war die größte Herausforderung, weil ich nicht der Lautsprecher bin. Ich bin ja auch nur reingerutscht, weil ich irgendwann der Dienstälteste war. Und am Anfang hatte ich da echt ein Problem mit, weil ich mich in dieser Rolle überhaupt nicht gesehen hab. Das war schon komisch im Kreis vor dem Anpfiff reden zu müssen. Ich habe Tage vorher überlegt, was ich sagen soll und letztlich kam dann doch nur Mist raus. Hätte ich mir zuhören müssen, hätte ich mich gefragt, was für ’ne Scheiße der da sabbelt. Ich hätte mich nicht ernst genommen, weil ich Unsicherheit ausgestrahlt habe. Das war mir schon peinlich. Aber daran bin ich nun am meisten voran gekommen. Ich kann mich nicht mehr verstecken und muss nun auch in schlechten Phasen Eier zeigen. Das hat mir auch im Alltäglichen etwas gebracht. Ich mache nun schon mal den Mund auf, wenn mir etwas nicht passt und bin selbstbewusster geworden.

Jawoll! Raus aus der Komfortzone, Captain Koch.
Ja, das war die Aufgabe. Ich mache ja eigentlich nur den Mund auf, wenn ich ein paar gute Spiele gemacht habe und mir es mal erlauben kann. Und selbst dann ist das eher ein „Hey, können wir nicht ganz vielleicht mal….“ Aber das ist nun vorbei. Ich finde mich nun in Phasen wieder, wo man eigentlich am Allerwertesten geleckt werden will, aber in diesen Momenten muss ich nun voran gehen und Mentalität zeigen. Das muss aber gar nicht immer Fresse aufreißen sein, sondern es kann auf wie neben dem Platz ruhig gelöst werden. Ein Effenberg werde ich eh nicht mehr. Aber dennoch bin ich jetzt gerne Kapitän. Allerdings auch nur so lange, wie es der Mannschaft hilft.

Wo gab es denn die größten sportlichen Sprünge?
Körperlich. Ich bin stärker, robuster. Dadurch geht Fußball dann auch einfacher und in der 75. Minute kann man noch einen drauf legen. Ich kann das gar nicht so belegen, was derzeit besser läuft, aber den Vergleich zu meiner Anfangszeit ziehen. Da war ich immer Letzter beim Laufen, jetzt nicht mehr. Es strengt mich alles nicht mehr so an. Und in der Luft war ich eine Vollkatastrophe, heute kriege ich den Ball zum Mann. Ich werde nun durch diese Liga aber nicht der große Dribbler und gewinne jedes Sprintduell, aber ich komme klar.

Wie hast Du Dich dennoch auf dieses Niveau gehievt? Es gab ja auch Zweifler, die Dir die 4. Liga nicht zugetraut hätten. Und da nehmen wir uns nicht aus.
Was Zweifel angeht, war ich selbst der erste.

Hattest Du vor der Regionalliga Zweifel?
Total. Aber das habe ich aus der Jugend mitgenommen, eben weil mein Papa Präsident ist und es immer hieß, ich spiele nur wegen ihm. Das glaubt man dann, wenn es immer wieder gesagt wird. Dann begleiten dich eben Zweifel. Ich bin in den Oberliga-Jahren ja nun auch nicht sportlich durch die Decke gegangen, sodass ich dachte: „Na komm doch, Regionalliga“. Ich hatte mir den Schritt eher nicht zugetraut. Oder zumindest nicht so schnell.

Heute bist du Stammspieler und Kapitän. Hätte alles schlechter laufen können.
Das, wofür ich auf dem Platz zu langsam bin, muss ich in der Birne schneller sein. Und letztlich passt man sich dem Niveau automatisch an. Man kann sich kein Training mehr mit halber Kraft erlauben. Es ist keiner mehr dabei, wo Du sagst „Ich bin besser.“ Es ist ausgeglichen und wir schaukeln uns durch Leistung immer mehr nach oben. Alle werden besser, alles wird schneller. Und ich habe Blut nach Weiterentwicklung geleckt. Und mittlerweile sage ich mir und den Kritikern: In der Regionalliga kannst Du keinen Vollblinden mehr durchschleppen.

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Wie groß ist der Anteil des Trainers Seeliger an Deinem Fortschritt?
Also ich weiß pro Trainer immer ungefähr, was ich von wem mitgenommen habe. Und bei „Seele“ ist es sicher die persönliche Entwicklung. Er hat mich in die Pflicht genommen und mir dadurch auch Selbstvertrauen geschenkt.

Blut geleckt. Entwicklung. Selbstvertrauen. Vielleicht geht da sogar noch mehr nach oben?
Früher hätte ich Angst davor gehabt höhere Ziele anzugehen, aber heute reizt mich der Vergleich. Ich würde gerne mal sehen, wie weit es reichen kann. Aber ich weiß auch, dass ich 23 Jahre alt bin und der Zug längst aus dem Bahnhof raus ist. Ich mache nun meine Ausbildung zuende und dann gucken wir mal. Ruft jemand an und fragt: „3. Liga oder so, wie wär’s?“ – ich würde es ein Jahr mal probieren und würde sonst eben wieder kommen, aber wüsste, wo meine Grenze ist. Das würde ich mir überlegen.

Wir bleiben in der Regionalliga. Oder hat Norderstedt durch den guten Start nun doch andere Ambitionen?
Die aktuelle Tabelle war nicht annährend denkbar vor der Saison. Wir sind davon ausgegangen, dass es bis zum Ende gegen den Abstieg geht. Und nun brauchen wir noch 25 Punkte. Und dann gucken wir mal. Die Priorität ist in der Liga und obendrein muss auch der Pokal dieses Jahr machbar sein. Wir sind der klassenhöchste Verein und müssen langsam mal.

Harry Jurkschat

Seit Gründung mit auf dem brennenden BTB-Rasen. Im Gegensatz zu Semmler ist Jurkschat smart. Eine Mischung aus Mehmet Scholl und Günter Netzer. Der ewig 31-Jährige Insiderexperte harmoniert sich von Meppen bis Kiel, ist der Ausbügler und Staubsauger in der 2. Reihe. Dazu kommt aufgrund internationaler Fussball-Erfahrung (6 Länderspiele für Deutschland) Know-How im Wesentlichen. Manko: Bisweilen zu symphatisch und häufig mit den Sekretärinnen beschäftigt.