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„St. Pauli ist mehr Hafenstraße als Reeperbahn“

Massimo Finizio ist im Besitz einer bewegten Vita. Stetig bemüht um den Frieden und den Fußball als Verständigungsinstrument zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, engagiert sich der Deutsch-Italiener, der seit Jahren in Hamburg lebt, für den FC St. Pauli. Wir trafen ihn (zufällig).

Erst war es ein Gespräch zwischen Tür und Angel. Wenig später verlängerten wir den Dialog auf eine Zigarettenlänge. Am Ende verabredeten wir uns auf eine Lasagne in Massimos Restaurant und sprachen unter anderem über das Gefühl St. Pauli. Das INTERVIEW.

Massimo, wie wird man als Italiener Fan vom FC St. Pauli?

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Das war 1983. Nach dem Finale im Europapokal der Landesmeister, der heutigen Champions-League. Mein Herzensverein Juventus Turin verlor damals gegen den HSV. Es war ein sehr trauriger Tag für uns Juventus-Fans in Athen. Ich schaute dann nach einen Klub, der das Gegenteil zum HSV verkörpert. So kam ich zum FC St. Pauli.

Bist Du dann auch Schalke-Anhänger?

Nein, gegen Dortmund habe ich nichts. Auch wenn München eines der bittersten sportlichen Erlebnisse für mich darstellte. Es war aber, anders als damals in Athen, ein wunderbares Fußballspiel zweier großer Mannschaften, das ich allerdings nicht besuchen konnte. Ich war aber im selben Jahr beim Finale im UEFA-Cup, Inter Mailand gegen Schalke 04, anwesend, wo ich tatsächlich Schalke unterstützte.

Warum?

Wegen Inter. Für uns Juventus-Anhänger ist Inter der schlimmste Rivale. Viele Juve-Fans haben damals die Daumen für den deutschen Gegner gedrückt und nach der Partie noch lange mit den Siegern gefeiert.

Nun sitzt Du aber nicht im Schalke-Trikot hier, sondern trägst die Farben vom FC St. Pauli.

Ja, ich kam damals wegen meines Studiums nach Hamburg und interessierte mich zusehends für den Klub und den Stadtteil. War begeistert davon, welche Werte er bereits damals vertrat und was für eine Familie die St. Pauli-Fans bildeten.

Und du bliebst nur deshalb in Hamburg?

Nicht alleine. Ich lernte zur selben Zeit meine heutige Frau kennen, eine Pauli-Anhängerin. Dann boten sich irgendwann, nach dem Studium, zwei Möglichkeiten an: Rom oder Hamburg. Wir entschieden uns gemeinschaftlich für Hamburg.

Was macht für Dich dann den Klub aus?

Der Mythos St. Pauli und die Realität die sich dahinter verbirgt. Wisst ihr, im Ausland sehen viele nur die Marke St. Pauli. Sie hören vom politischen Mythos, können aber nicht einmal erahnen, dass dieser Mythos mit Wahrheit hinterlegt ist. Das St. Pauli mehr als ein gedrucktes Label auf Klamotten verkörpert, sondern etwas Einzigartiges ausmacht. In Italien fällt das ganz besonders auf. Dort gibt es keine eingetragenen Vereine, nicht die Mitbestimmung der Vereinsmitglieder wie wir sie aus Deutschland kennen.

Also ist doch jeder deutsche Profiverein für Italiener besonders.

Nein, da St. Pauli dennoch anders ist als viele andere Klubs. Bayern München zum Beispiel ist trotz seiner vielen Mitglieder mehr Unternehmen als Verein. So wird dieser Klub auch geführt wie ein Konzern. Und andere große Klubs eifern den Münchnern nach.

Und bei St. Pauli ist es anders?

Ja, definitiv. Hier tragen wir Fans noch Ideen bis in die höchste Ebene, entwickeln Projekte, bestimmen noch mit. Vor allem aber haben wir Fans alle die gleichen Ziele auf und neben dem Platz, bewegen uns nicht in tausenden Splitter-Gruppierungen, sondern stehen geschlossen zusammen.

Für was denn geschlossen stehen?

St. Pauli muss St. Pauli bleiben.

Wie meinst Du das?

Wir sind deshalb besonders, weil St. Pauli so eng mit seinem Stadtteil verwurzelt ist. Für die gleichen Werte, für die Integration und das friedfertige Zusammenleben von Menschen steht. Wo jeder willkommen ist, der mitmachen möchte. Wo es überhaupt keine Rolle spielt, woher man kommt. Diesen Habitus müssen wir uns bewahren, dürfen davon nicht abrücken.

Da klingt eine Note Unzufriedenheit heraus.

Ich finde, unsere Mannschaft spielt anders als früher. Es fehlen die Talente aus dem eigenen Nachwuchs, die wirklich mit dem Verein verwurzelt sind. Wie früher Klasnic und Bajramovic. Es fehlt mir das Herz bei der Sache. 15000 Euro für zwei Tore im Monat stellen doch keine Herzensangelegenheit dar, sondern lediglich eine Vertragsbindung.

Die Jugend liest sich doch gut. Vor allem aber, kommen doch genug junge Spieler hoch. Alleine gegen Braunschweig spielten drei junge Nachwuchskräfte.

Aber das sind doch nicht unsere Jugendspieler. Wie holen sie erst in einem gewissen Alter von anderen Vereinen. Ausgebildet werden diese Spieler von kleineren Vereinen. Unsere U19 mag gut sein – das heißt aber noch lange nicht, ob es weiter unten genauso aussieht.

Und wenn sich das gebessert hat, was ist dann das Ziel?

Die Bundesliga. Da müssen wir spielen. Wir sind der viertbeliebteste Klub hierzulande, haben 14 Millionen Sympathisanten alleine in Deutschland, wie eine Umfrage zeigte. Deshalb gehören wir doch in die Bundesliga. Eigentlich noch mehr als Augsburg oder Paderborn. Wobei sich diese Klubs das auch verdient haben, das muss man ja schon klar sagen.

Fehlen dafür aber nicht die Mittel?

Wir haben doch das Potenzial dafür, diese Mittel zu generieren. Es gibt genug Sponsoren, in Deutschland und im Ausland, die sich für unseren Klub interessieren. Die sich mit dem Verein identifizieren und die als Sponsor passen würden. Dafür müssen wir aber zurück in die Bundesliga, und dafür müssen wir in unserer Nachwuchsabteilung deutlich mehr tun.

Welcher Spieler ist denn für dich in den letzten Jahren am meisten St. Pauli gewesen?

Deniz Baris. Ich habe nie verstanden, warum man ihn hat gehen lassen. Ich meine ja nur, nach seiner Zeit bei uns hat er für Fenerbahce noch Champions-League gespielt, und dann soll es nicht mehr für uns gereicht haben? Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Aber es geht ja nicht nur um den Sportler Deniz Baris, sondern vor allem um den Menschen. Da war er Vorbild, super integriert, immer bodenständig und nett. Ein toller Junge. Ein Hamburger durch und durch, das merke ich jedes Mal, wenn ich ihm noch heute in Hamburg begegne.

Der Baris-Abschied ist über zehn Jahre her. Gab es dazwischen keinen mehr?

Doch, natürlich gab es einige. Beispielsweise ein Max Kruse. Das war auch einer von uns. Jemand mit St. Pauli-Blut in den Adern, auch wenn er eigentlich aus Reinbek kam. Aber auch das ist Integration – das Herz war bei ihm immer dabei.

Und bei den Verantwortlichen? Uns fällt spontan Corny Littmann ein.

Ich glaube, dass er aus finanzieller Sicht ein Segen war. Und dass er sehr viel Richtiges für das Umfeld getan hat. Ob er sportlich immer richtig beraten wurde, ist die andere Frage.

Wie bist du mit dem Herzen dabei?

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Die Nähe zu seinem Klub lebt man nicht nur einmal die Woche über neunzig Minuten. Man tut es sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Zumindest ist das bei St. Pauli so. Und in dieser Zeit versucht man sehr vieles zu bewegen. Ich denke dabei an Schulprojekte, an die damalige Organisation des Tags der Legenden durch die AFM oder das Blindenradio, was wir damals als Pioniere installierten. Weit bevor es durch den Einsatz des DFB Usus in deutschen Profiligen wurde. All das fehlt mir heute, es kommt nicht wirklich etwas nach.

Zum Abschluss, Massimo, was regt Dich am FC St. Pauli fürchterlich auf?

Diese ständigen Vergleiche mit der Reeperbahn. Ich finde, wir sind mehr Hafenstraße als Reeperbahn, denn die Werte, für die die Flaniermeile mitsamt ihrer Lokalitäten steht, entsprechen aus meiner Sicht nicht denen unserer St. Pauli-Familie.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.