„Ich bin kein Freund von Intensiv-Interventionen“
Henning Thrien ist studierter Psychologe (Bachelor in den USA, Master in Deutschland) und arbeitet mit vielen Sportlern aus dem Fußball und Tennis. Auf seiner Homepage „Sportpsychologie im Fußball“ informiert er mit einem Kollegen über das Gebiet, das im modernen Fußball immer mehr Zuspruch findet. Wir haben uns mit ihm über die Drucksituationen zum Saisonende unterhalten und wie Vereine darauf reagieren sollten.
Psychologie im Sport. Was entgegnen Sie den Leuten, die sagen, das sei alles völlig überbewertet?
Ich sehe mich nicht als Bekehrer. Jedoch verweise ich gerne auf den Grundmechanismus unseres Körpers. Ein Muskel kann ohne einen funktionierenden Geist nicht arbeiten. Ohne klare Befehle vom Gehirn nutzt uns der besttrainierte Körper gar nichts. Deswegen ist die Psychologie im Sport viel näher an der sportlichen Leistung als der Name vielleicht verrät: Es geht darum, dass der Kopf mitspielt um im entscheidenden Moment da zu sein. Wer das versteht, der ändert möglicherweise seine Sicht.
Nun spricht man gerade am Saisonende davon, wie wichtig der mentale Zustand von Spielern für ihre Leistungsfähigkeit sei. Wie hält man Spieler über die Saison mental fit – Kann man prophylaktisch arbeiten und vorbereiten?
Da gibt es viele unterschiedliche Ansätze. Aber ja, präventiv zu arbeiten, ist definitiv wichtig. Um mental fit zu sein, sollte man zunächstmal im regenerativen Bereich die ganze Saison gut gearbeitet haben. Dazu gehört: Cool-Down Routinen einhalten, viel schlafen, Entspannung und Massagen durchführen. Und dann kann man natürlich in den unterschiedlichen psychologischen Bereichen im Sport langfristig immer wieder Schwerpunkte setzen. Stresssituationen können im Training simuliert werden, sodass die Mannschaft mit Drucksituationen, die häufig am Saisonende aufkommen, bestens vertraut ist.
Früher, erzählen Ex-Profis, waren Mannschaften vor wichtigen Spielen häufig gemeinsam auf einem Zimmer, es wurde getrunken. Nicht selten erfolgreich, das anschließende Spiel wurde gewonnen. Kann Alkohol oder der gemeinsame Spaß Spieler vor Schlüsselspielen tatsächlich stärken?
Ich möchte bezweifeln, dass der Alkohol der alles entscheidende Faktor war, der diese Siege ermöglichte. Was den gemeinsamen Spaß angeht, bin ich auch der Meinung, dass ein Team, dass sich als Team definiert und mit dem die Spieler sich identifizieren, eine besondere Stärke besitzt. In Schlüsselspielen macht oft der gezeigte Einsatz füreinander den Unterschied aus. In einem gut funktionierenden Kollektiv fällt der letzte schmerzhafte Schritt sicherlich einfacher; ein gutes Beispiel ist da die Weltmeisterelf von 2014.
Kommen wir zum bereits angesprochenen Saisonende: Unterscheidet sich die Angst vor dem Abstieg von der Furcht vor dem Nichtaufstieg?
Angst ist nur bedingt ein treibender Faktor im Sport. Nicht umsonst spricht man häufig von der lähmenden Angst. Deswegen ist weder die eine, noch die andere Furcht leistungsfördernd. Eher sollte in beiden Fällen eine Neubewertung der Situation stattfinden. Soll heißen: Warum die Angst in den Mittelpunkt stellen, wenn man auch die Challenge, die große Aufgabe, verstärkt beleuchten kann? Paderborn ist da ein gutes Beispiel: Beim Spiel gegen Schalke wirkten die Spieler nicht ängstlich, sondern begegneten der schwierigen Herausforderung mutig und zielstrebig.
Wen sehen Sie mental im Vorteil – jenes Team, das aufsteigen kann, oder das, was den Abstieg abwehren muss?
Für mich ist das Team im Vorteil, dass sich mit der Situation, die auf sie zukommt, besser auseinandergesetzt und alle möglichen Eventualitäten durchgespielt hat, dazu einen Masterplan für jede Situation abrufen kann. Da ist es ganz gleich ob man nun den Abstieg verhindern, oder den Aufstieg schaffen möchte. Das Team, dass sich vorher mit der Situation eines 0-1 Rückstandes befasst hat, mit Pfiffen der Fans oder einer schlechten Schiedsrichterleistung umzugehen weiß, das Team wird mit hoher Wahrscheinlichkeit triumphieren.
Die Mannschaft von Holstein Kiel hatte seit Dezember nicht mehr verloren, hat mit Ihrer ersten Niederlage nun den direkten Aufstieg verspielt. Nun steht einen Spieltag vor Schluss aber bereits fest, dass es für die Relegation reicht. Als wie bedrohlich würden sie diese Situation bewerten?
Prinzipiell als rein gar nicht bedrohlich. Die Mannschaft hat nun länger Zeit sich auf diese zwei Finalspiele optimal vorzubereiten. Aber auch hier kommt es wieder auf die Bewertung der Situation an. Hat man es nun verpasst, direkt aufzusteigen, oder hat man die Chance, in zwei stimmungsgewaltigen Spielen den Aufstieg perfekt zu machen? Die verschiedenen Ansichten unterscheiden sich brutal in ihrer psychologischen Wirkung.
Ganz plump gefragt: Ab wann braucht es einen Psychologen für Fußballprofis?
Ab dem Zeitpunkt, ab dem der Fußballer und die Mannschaft ganzheitlich an der sportlichen Entwicklung zur optimalen Leistungsfähigkeit arbeiten möchte. Die ausgereifte mentale Stärke gehört genauso zum Repertoire des Fußballers wie die technische, taktische und athletische Komponente. Nehmen wir die Nationalmannschaft: Seit 2004 begleitet Hans-Dieter Herrmann die Mannschaft bei Lehrgängen, Spielen und Turnieren. Sein Aufgabenprofil hat sich in der Zeit sicherlich verändert, beziehungsweise die Schwerpunkte haben sich verlagert. Festzuhalten ist: seit 12 Jahren bedient der DFB alle relevanten Aspekte in der Leistungsentwicklung.
Es gibt nicht wenige Menschen und demnach auch Sportler, die vielleicht den Gang zum Psychologen als vermeintliche Schwäche bewerten würden und ihn daher ablehnen. Wie öffnen sich Fußballer und Trainer, muss man Hilfe eher aufzwingen als anbieten?
Auch hier ist es wichtig zu verstehen, was Sportpsychologie wirklich ist. Auch ein Spieler der Probleme mit der Erwartungshaltung, dem Druck oder der harten Hand des Trainers hat, trainiert mit dem Sportpsychologen seine mentale Stärke; er trainiert seine psychischen Bewältigungsstrategien um seine persönlichen Ressourcen zu erweitern und leistungsfähiger zu werden. Das Wort Training ist dabei mitentscheidend. Das Problem mit der vermeintlichen Schwäche beruht auf Unwissen und Vorurteilen gegenüber der Psychologie. Sportpsychologie ist gewissermaßen Kopftraining. Gibt man dem ganzen einen cool-klingenden, englischen Namen (als Beispiel: „Train your brain“), findet man möglicherweise schon mehr offene Ohren. Viele Trainer und auch Spieler haben die genaue Rolle von Sportpsychologie bereits verstanden und begegnen uns mit deutlich mehr Offenheit als es vor der Ära Klinsmann der Fall war.
Der FC Hansa Rostock galt in der Dritten Liga bereits als gerettet, schwenkte nach Stadionumbenennung und Landespokal-Sieg in Euphorie. Rutschte nun aber aus dem Nichts in den Keller. Welche Rolle spielt es, ob man erwartet oder unerwartet in eine solche finale Situation gerät?
Eine sehr große Rolle. Menschen funktionieren immer besser, wenn sie sich in „bekannten“ Situationen, wir nennen es auch „Settings“, befinden. Eine Mannschaft, die bereits vor der Saison Worst-Case Szenarien wie zum Beispiel eine Saison voller Abstiegskampf bespricht und sich damit auseinander setzt, wird gefestigter und besser mental trainiert agieren können. Plötzlich auftretende Situationen wirken erst mal immer bedrohlicher, da es unklar scheint, was nun zu tun ist.
Der Verein fährt ins Trainingslager, ebenso der HSV. Ist das vor allem ein Ansatz, der die Psyche steigern soll. Raus aus dem gewohnten Umfeld, das vielleicht an den „Missererfolg“ erinnert?
Ja, gewissermaßen. Der enge Kontakt der Teamkollegen untereinander wird so sichergestellt. Die Chance besteht, dass man sich intensiver austauscht und gemeinsam Ziele festsetzt. Dass solche Aktionen allerdings nicht immer erfolgreich sind, zeigt das Beispiel Schalke. Horst Heldt wurde damals blinder Aktionismus vorgeworfen und die Nachhaltigkeit der Klosterwoche ist nicht erkennbar. Für mich sind solche Trainingslager auch immer ein Zeichen, dass man vorher Versäumtes nun mit aller Kraft aufholen möchte. Ich persönlich bevorzuge langfristige, kontinuierliche Arbeit, und bin kein unbedingter Freund von kurzfristigen Intensiv-Interventionen.
Was der HSV und der FC Hansa mit vielen anderen Teams gemein hat: Sie spielen gegen Teams, für die es um nichts mehr geht. Hat diese Ausgangslage eigentlich – und wenn ja, welchen – Einfluss auf den Gegner?
Ein Team, das seinen Platz in der Tabelle gefestigt hat und die Saison sorgenfrei beenden kann, befindet sich praktisch in einem ständigen „Trainingsspiel-Modus“. Der Druck ist gering und der Spaßfaktor möglicherweise hoch. Beim HSV und Hansa geht es hingegen um alles. Da treffen zwei Extreme aufeinander. Psychologisch ist das spannend, aber eine Vorhersage für den Ausgang solcher Spiele zu geben ist schwierig.
In Zeiten der „Ultras“, die sich immer stärker inszenieren und sich in den Vordergrund gebärden, gibt es zahlreiche Beispiele, in dem Spieler massiv unter Druck gesetzt werden, teilweise massiv gedroht wird. In Dresden wurden diese Drohungen in der letzten Saison während des letzten Spiels sogar auf Transparenten enthüllt. Lähmt oder motiviert dieser Input die Spieler?
Ich wiederhole mich, aber tue dies sehr bewusst. Es gibt keine Standardreaktion einer Mannschaft auf ein solches Verhalten der Fans, sondern die Reaktion definiert sich durch die jeweilige Bewertung. Wichtig ist, dass man als Mannschaft weiß, was auf sie zukommt und wie man damit umgehen kann. Daraus kann sich sicherlich eine „Jetzt-erst-Recht Mentalität“ entwickeln, genauso kann bei unzureichender Auseinandersetzung mit einer Situation eine Ablenkung dadurch erfolgen.
Und was könnten Sie tun?
Die Arbeit des Sportpsychologen ist vor dem Spiel abgeschlossen. Das Coaching im Spiel ist Sache des Trainers. Vor dem Spiel kann es eine Absprache zwischen Trainer und Sportpsychologen geben, was die Inhalte in der Ansprache angeht. Aber das ist die Sache des Trainers, ob er das nun möchte oder nicht.