Der Tahlente-Traum ist geplatzt
Viele Vögel pfiffen es bereits von den Leverkusener Dächern – der HSV verkauft seinen einstigen Hoffnungsträger Jonathan Tah an Bayer Leverkusen. Wird der Medizincheck bestanden, sollen schätzungsweise 10 Millionen Euro versüßen, was aus Sicht des Fans nur noch bitter schmeckt.
Foto: hammoniaview
BLOG-TRIFFT-BALL setzt sich für Euch mit dem Großtransfer des HSV auseinander und erklärt, warum der Verkauf des jungen Abwehrspielers im Moment richtig und zugleich auch wichtig ist.
1. Der HSV braucht das Geld
Über diesen Punkt ist sich mittlerweile wohl die gesamte Bundesliga im Klaren: „Ohne Moos nix los!!!!!!!!!!“. Das gilt gerade für den Hamburger Sportverein. Verträge von Spielern aus dem bisherigen Kader zu verlängern, das ist eine Sache. Eine andere Sache ist das Feilschen in einer Transferkonstellation, wie sie beispielsweise bei dem Österreicher und Noch-Bochumer Gregoritsch der Fall ist, denn sowohl Bochum als auch Hoffenheim sind an der zu erwartenden Ablöse beteiligt – das treibt den Preis in die Höhe. Circa drei Millionen Euro werden aufgerufen, eine Summe, die für einen bisherigen Zweitligaspieler doch recht stolz erscheint. Doch der HSV ist dem Vernehmen nach auch mit dem Schweden Albin Ekdal einig, dessen Klub Cagliari Calcio trotz des Abstieges aus der Serie A wohl nur mit etwa 5 Millionen Euro einverstanden ist. Viel Geld für vermeintlich klamme Hamburger, insbesondere im Lichte der teuren Verpflichtung von Lewis Holtby.
Labbadia, Knäbel und Beiersdorfer dürften insgesamt einen Handlungsbedarf ausgemacht haben, zugleich aber auch die finanziellen Zügel spüren. Will sich der HSV verstärken, muss er zuvor Geld einnehmen. Geld, welches die Verkäufe (Behrami) und Auflösungen (Sobiech, Beister) noch nicht ausreichend erbracht haben. Darüber hinaus setzte der HSV mit der Verpflichtung von Emir Spahic bereits ein klares Zeichen, woher der Wind weht. Tah ist das, was gemeinhin als Tafelsilber bezeichnet wird und ein Verkauf in diesem Sommer war wohl nur noch eine Frage der Zeit. Bleibt zu hoffen, dass die Ablösesumme mit Sinn und Verstand investiert wird.
2. Auch ein neuer Weg muss mit passenden Steinen gepflastert werden
Der HSV hat mit der Ausgliederung und Berufung von Dietmar Beiersdorfer versucht, alles anders zu machen. Dazu gehört auch die Verzahnung von Jugendspielern und Profimannschaft, die in der Vergangenheit eine einzige Baustelle war. Künftig sollte wieder vermehrt nach Talent statt nach Namen gesucht und verpflichtet werden. Ein Spieler wie Tah erscheint dabei beinahe als Idealfigur – talentiert, in Hamburg verwurzelt und ausgebildet. Große Begeisterung herrschte in Hamburg, als Jonathan Tah zu seinen ersten Einsätzen in der Bundesliga kam. Das Talent, die Physis und eine starke Spieleröffnung zeichneten eine verheißungsvolle Zukunft. Doch mit dem großen Profivertrag (und den Ausstiegsklauseln) begannen die Probleme des heute 19-Jährigen. Auf offiziell unbekannten Wegen – und einem plötzlich medial präsenten Vater – gelangte der Vertrag des Youngsters in die Öffentlichkeit und seine Leistungen brachen ein. In Konsequenz wurde später – leider – eine Leihe zur Fortuna nach Düsseldorf vereinbart. Doch Tah konnte dort auch nur in der Hinrunde überzeugen, in der Rückrunde folgte ein Einbruch. Es wäre müßig, über die Ursachen (psychisch oder physisch) zu spekulieren.
Wie kommt es nun, dass sich Dietmar Beiersdorfer über einen einstigen Hoffnungsträger so äußert:
„Wir möchten aber mit den Spielern arbeiten und unseren Weg gehen, die sich auch mit der Aufgabe hier beim HSV identifizieren können“, sagt Beiersdorfer. „Das hat für mich etwas mit einer Haltung zu seinem Klub zu tun.“
Es gibt dazu nur eine klare Schlussfolgerung: Jetzt und nur jetzt war die passende Situation für einen Verkauf. Der Weg war wie vorgezeichnet, durch die überstandene Relegation geebnet für Tah, er hätte für künftige Spielzeiten als Vorbild in Hamburg bleiben, reifen und wachsen können.
Die Fehler des HSV aus der Vergangenheit, insbesondere im Einbau von Talenten und im Umgang mit Tah, sie forderten jedoch ihren Tribut. Der schlechte Ruf des HSV als Talenteverschleuderer, dazu das für Tah verlockende Angebot aus Leverkusen, nicht zu vergessen das damit verbundene internationale Geschäft. Werte, die der HSV im Moment nicht bieten kann.
Jonathan Tah hat schlicht kein Interesse, den neuen Weg des HSV mitzugehen. Das ist legitim und der Spieler scheint seinen Wechselwunsch intern deutlich kommuniziert haben. Was sollten Knäbel und Beiersdorfer dagegen unternehmen? Die überragenden Anlagen von Tah sind offensichtlich, doch das waren sie bei Eljero Elia und Marcus Berg auch.
Jonathan Tah hat bislang noch keine 30 Spiele in der Bundesliga absolviert. Niemand könnte mit Sicherheit ausschließen, dass in der Großstadt Hamburg eine neue Presseenthüllung den nächsten Leistungseinbruch des jungen Spielers ausgelöst hätte. Es ist überhaupt bemerkenswert, dass Leverkusen sich zu einer derart hohen Ablösesumme bereit erklärt. Doch für den HSV hätte die Situation nicht besser sein können. Ein starkes Jahr von Tah hätte seinen Wert zwar sicher um einige Millionen in die Höhe getrieben, doch ob es überhaupt dazu gekommen wäre, oder ob nicht viel eher Djourou und andere in der Innenverteidigung gespielt hätten?
Bis dato kam Tah aus einer schwachen Zweitligasaison und präsentierte sich nicht herausragend in einer schwachen deutschen U19-Mannschaft. Würde er ein schwaches Jahr in Hamburg absolvieren, wäre sein Marktwert bedeutend geringer. Würde der HSV nun in der kommenden Saison absteigen, wäre sein Marktwert bedeutend geringer. Würde der Spieler zerknirscht auf einen Nichtwechsel reagieren, wäre sein Marktwert bedeutend geringer.
Der HSV hat, genauso wie Jonathan Tah, eine richtungsweisende Entscheidung getroffen. Eine Trennung zu diesem Zeitpunkt ist eine saubere wie lukrative Sache – für beide Seiten. Der Verkauf von Tah war angesichts wirtschaftlicher Zwänge scheinbar alternativlos und ist, sollte die Mannschaft nun punktuell verstärkt werden können, richtig und wichtig. Für den Moment. Erst in ein paar Jahren wird man wirklich beurteilen können, welcher Verein die richtige Entscheidung getroffen hat.
Der Verkauf von Tah ist ein bittere Pille für den HSV und seine Anhänger. Doch angenommen, es wäre aus Jonathan Tah durch Verletzungen und Missverständnissen ein zweiter Fall Maxi Beister geworden. Das wäre nicht mehr nur bitter, sondern schon toxisch für den Verein.
Für den Moment ist er geplatzt, der Tahlente-Traum.