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Uwe Klein: „Wenn Ziemer leichter wäre, wäre er nicht bei uns“

Der schnelle Bickel-Abschied, der (mögliche) Gottschling-Aufstieg, eine sauehrliche Ziemer-Analyse und die enttäuschende Entwicklung der A-Junioren, es lag eine Menge auf dem Tisch, als wir mit Hansas Sportdirektor Uwe Klein das Fußballgeschäft in Rostock ergründeten.

Herr Klein, seit wann haben Sie ein gutes Gefühl, was die Qualität der Mannschaft betrifft?
Das kam nach und nach. Es gab durchaus die Bedenken, dass wir einen großen Nachteil gegenüber den Konkurrenten haben könnten, weil wir finanziell gesehen nicht an sie herankommen. Durch viel Überzeugungsarbeit, vom Trainerteam und mir, ist es uns gelungen, trotzdem unsere Wunschspieler zu verpflichten. Gut wurde das Gefühl, als uns die ersten Abschlüsse gelungen sind. Das war wichtig. Desto mehr Spieler dazugekommen sind, desto sicherer wurden wir unserer Sache.

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War der Umbruch im Winter leichter zu realisieren als der im Sommer? Immerhin war man dieses Jahr im ganz großen Getümmel.
Definitiv nicht.

Warum?
Die Wintertransferzeit war unglaublich schwierig. Bei mehreren, wichtigen Spielern waren uns die Abschlüsse erst kurz vor Transferschluss gelungen. Wir waren uns schon länger mit den Spielern einig, doch hing es letztlich an den abgebenden Vereinen. Die gaben erst kurz vor Ablauf des Transferfensters ihre Zustimmung.

Gab es beim Umbruch im Sommer eine Prioritätenliste?
Die Abwehr stand sehr im Fokus.

Warum?
Wir hatten einen großen Aderlass erlitten, mussten fast die komplette Viererkette ersetzen. Das ist uns mit Dennis Erdmann, Matthias Henn und Christian Dorda sowie Marcus Hofmann gelungen.

Wer hatte das letzte Wort bei den Prioritäten und beim Kader im Allgemeinen – Sie oder der Trainer?
Wir sind grundsätzlich sehr oft einer Meinung und verfolgen die gleichen Ideen.

Wie überzeugt der Verein seine neuen Spieler? Die letzten Jahre sind mit Trainerentlassungen, Krisen und finanziellen Nöten nicht die beste Voraussetzungen, um große Kaliber anzulocken.
Wir haben bei der Überzeugungsarbeit auch auf unseren lokalen Vorteil gesetzt. Wir bestanden darauf, dass keine Vertragsgespräche außerhalb von Rostock stattfanden. Wir haben klar betont, dass wir sie hier haben wollen. Sie sollten sich die Bedingungen ansehen, Trainingsplätze, Stadion und Kabine. Und die letzten Prozente kamen von der Ostseeküsste. Wir konnten den Spieler aufzeigen, dass man in Rostock Fußballspielen und Urlaubstimmung miteinander verbinden kann.

Das hat bis zur Stürmersuche sehr zeitig geklappt.
Wir haben mit Julius Perstaller sehr schnell einen Wunschspieler für die Position bekommen. Dass es diese Verletzungsprobleme mit Marcel Ziemer gab, war dann einfach Pech. Sie haben uns zusätzlich unter Druck gesetzt.

Marcel Ziemer ist ein guter Fußballer, ohne Frage. Aber nicht auch ein Spieler, der nicht alles aus sich herausholt? Der ein, zwei Kilo zu viel hat, selbst wenn er voll trainiert. Müssen Sie da psychologisch noch was machen?
Wer Marcel Ziemer kennt und ihn zuletzt beobachtet hat, der weiß, dass er in den Jahren überall seine Tore gemacht hat. Das möchte ich zunächst klarstellen. Dass sich Marcel Ziemer in ein paar Jahr Gedanken darüber machen könnte, ob seine Karriere ideal gelaufen ist, und ob er nicht noch mehr hätte erreichen können, kann ich mir vorstellen.

Profitierte der FC Hansa vielleicht von Ziemers Fitnesszustand?
Wenn Marcel Ziemer „ein, zwei Kilo leichter wäre“, wie sie es formulierten, würde er wahrscheinlich nicht bei uns, sondern eine Liga höher spielen. Und wir schätzen uns sehr glücklich, dass Marcel Ziemer bei uns spielt.

Nun spielt er nicht, er ist verletzt. Wann wird er zurückkommen?
Das können wir nicht sagen. Mal geht es bei einer Schambeinentzündung schnell, mal dauert es sehr lange. Wir werden in den nächsten Wochen regelmäßig kontrollieren lassen, wie die Heilung der Entzündung voranschreitet. Erst wenn sie abgeheilt ist, können wir mit dem leistungsfördernden Training beginnen.

Was kann man gegen eine Schambeinentzündung tun?
Wie sagt man so schön: Man sollte nicht zu sehr daran herumfummeln. Da zeigen Erfahrungen, dass es dadurch schlimmer gemacht werden kann. Marcel Ziemer muss pausieren und abwarten. Viel mehr können wir nicht machen.

Welche Rolle spielte die Art der Ziemer-Verletzung bei den Transfers?
Sie hat es komplizierter gestaltet. Bei einem Beinbruch oder einen Muskelfaserriss weiß man ungefähr, wie lange der Spieler ausfallen wird. Dann kann man verlässlich planen und abwägen. Bei einer Geschichte wie bei „Cello“ muss man auch auf Verdacht arbeiten.

Mit dem Ausfall von Ziemer war es nicht getan. Christian Bickel Abschied kam aus dem Nichts.
Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass er gehen würde. Mir war die Klausel natürlich bekannt. Aber nachdem lange nichts passierte, obwohl Christian eine starke Rückrunde gespielt hatte, ging ich eigentlich davon aus, dass er bleibt.

Immerhin hatten Sie noch zehn Tage Zeit, Ersatz zu verpflichten.
Das war ein Vorteil. Aber dass die Ausstiegsklausel überhaupt bis zum 31. August galt, war eine riskante Situation. Theoretisch hätte Christian auch am letzten Tag seine Option ziehen können. Uns wären dann die Hände gebunden gewesen, was Transfers angeht. Deshalb ist es besser, wenn Ausstiegsklauseln nur bis zu einem gewissen Datum gelten. Dadurch behält der abgebende Verein Handlungsspielraum.

Bei allem Stress: Konnten Sie den Wechsel aus Profisicht verstehen?
Ja, das konnte ich durchaus. Die sportliche Perspektive ist in der 2. Liga verlockend, dazu der finanzielle Aspekt. Christian wird bald Vater. Dass er deshalb auch die Zahlen im Blick hat, verstehe ich.

Ließen Sie in einfach gehen?
Natürlich nicht. Wir haben versucht, ihn davon zu überzeugen, noch ein Jahr bei uns zu bleiben. Aus meiner Sicht wäre es für ihn sogar besser gewesen: Hätte er seine Leistung bestätigt und noch etwas gesteigert, hätte im nächsten Sommer womöglich die Bundesliga angeklopft.

Den Bickel-Abgang und die Einnahmen durch die Ablöse kann man auch positiv sehen. So konnte man sich breiter aufstellen. Immerhin gab es zwei Ausfälle und drei Neuzugänge.
Wir hätten auch ohne den Abgang von Christian Bickel versucht, zwei weitere Offensivspieler zu verpflichten.

Nun fragen sich einige Fans: Warum wechselt ein ehemaliger Champions-League-Spieler wie Stephan Andrist in die 3. Liga.
Stephan ist ein Spieler im besten Fußballeralter, bei dem im letzten Jahr nicht alles funktioniert hat. Er möchte wieder durchstarten. Für ihn ist der FC Hansa Rostock deshalb interessant. Er sieht den Verein als Möglichkeit, sich für größere Aufgaben ins Schaufenster zu stellen.

Das gleiche vermute ich auch bei Michael Gardawski, meinem Lieblingsspieler.
Die Situationen sind vergleichbar, definitiv.

Stört Sie das nicht?
Überhaupt nicht. Es ist doch schön, zu sehen, dass der Verein für viele Spieler diese Strahlkraft besitzt. Sie sehen das Interesse am FC Hansa Rostock, auch in überregionalen Medien. Und außerdem ist es doch ganz einfach: Je mehr Angebote unsere Spieler erhalten, desto besser haben sie gespielt. Und wenn sie sich ins Schaufenster spielen, wird auch der FC Hansa davon profitieren.

Nun gab es in der Bundesliga die Diskussion, ob das Transferfenster nicht zu lange geöffnet sei. Wie ist Ihr Standpunkt?
Die Regularien stehen für alle fest. Es gibt Vor- und Nachteile. Am Ende starten aber alle unter den gleichen Bedingungen.

Wie ist Ihr Plan für die Zukunft? Uwe Vester hat damals formuliert: Er wolle Spieler auf dem zweiten Bildungsweg verpflichten und formen. Heißt: Profis, die es im ersten Versuch nicht gepackt haben. Beim FC Hansa wirkt es sehr gemischt.
Es kann nie schaden, wenn man erfahrene Spieler im Team hat. Bundesligareserven zeigen das ja. Um ihre Talente bestmöglich zu entwickeln, setzten sie auch auf ältere und erfahrene Profis, die jungen Spieler auf deren Weg begleiten und anleiten. Denn eins ist meiner Meinung klar: Nur mit Talenten wird es nicht funktionieren.

Wie sieht Ihre ideale Altersstruktur aus?
Wir kommen unserer Wunschvorstellung schon sehr nahe. Ein Großteil unserer Leistungsträger ist im Altersbereich von 24 bis 26 anzusiedeln, weitere wichtige Jungs wie Marcus Kofler haben die 30 auch noch nicht erreicht. Das ist uns wichtig. Diese Spieler haben schon Erfahrung, aber gleichzeitig noch Potenzial. Sie werden vielleicht noch besser.

Sieht man manche Spieler wie Marcel Gottschling als Kapital für die Zukunft an? Heißt: Dreijahresvertrag, zwei Jahre Hansa, dann für Ablöse x in die 2. Bundesliga?
Das machen ja viele Vereine. Wir haben Marcel Gottschling verpflichtet, weil er uns während der langfristigen Beobachtungen sehr gut gefallen hat. Und weil er jung ist. Wir dürfen ja die U23-Regel nicht außer Acht lassen. Grundsätzlich ist es so: Wenn er ein echter Shootingstar wird, was wir ihm zutrauen, dann wird es so sein, dass der FC Hansa den Gesetzmäßigkeiten des Fußballs unterworfen ist. Das ist nicht immer schön, aber man muss das Beste daraus machen. Ganz unabhängig von Marcel Gottschling. Es kann jederzeit auch andere Spieler treffen.

Nun kann man ja sagen: Der FC Hansa hat einen Investor. Hilft er nicht eher dabei, Spieler davon zu überzeugen, in Rostock zu bleiben, weil man Verträge anders gestalten kann?
Der Vorstandsvorsitzende Michael Dahlmann hat ja klar in der Öffentlichkeit betont, dass sich das Engagement vom Herrn Elgeti vor allem auf die Lösung der Stadionproblematik bezieht. Nur weil es einen Investor gibt, heißt es nicht,  dass wir auf einmal das Aufgebot mit frischen Mitteln füllen können.

Spieler informieren sich vorab über die Vereine, sehen, dass ein Investor mit einem Einstieg liebäugelt. Schraubt das nicht die Gehaltsvorstellungen in die Höhe?
Naja, es sind weniger die Spieler, sondern mehr die Berater, die so denken. Und ja, es hat tatsächlich einige Telefongespräche gekostet, um den Spielerberatern die Sachlage zu erklären. Bei den meisten Beratern traf ich aber auf Verständnis. Gerade, weil es in der dritten Liga schon ähnliche Fälle gab, bei denen externe Geldgeber bei strukturellen Problemen halfen, aber nicht gleichzeitig in den Kader investierten.

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Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben:  Die A-Jugend. In diesem Sommer gab es eigentlich keine neuen Aufrücker aus dem Nachwuchs. Wird das ab jetzt die Realität sein? Gerade weil die A-Jugend nur noch zweitklassig spielt?
Es ist nicht so einfach. Wenn im Profikader weniger Geld gesteckt wird, zeigt sich das auch im Jugendbereich. Damit muss man als Verein zurechtkommen.

Muss sich der Hansa-Fan vom Traum verabschieden, in regelmäßigen Abständen eigene Nachwuchsspieler bei den Profis zu sehen?
Es wird ein langer Weg. Wir sind aber dennoch zuversichtlich, dass wir in der Nachwuchsarbeit wieder Fortschritte machen werden. Wir haben sehr gutes Trainerpersonal, auf das wir stark vertrauen. Dazu kommt einfach etwas ganz Natürliches: Ein Toni Kroos wird eben nicht in jedem Jahr geboren.

Wäre Hansas neuer Kroos nicht weg, bevor er 13 ist?
Die großen Vereine haben ein sehr dichtes Scouting-Netz, sie verpassen kaum noch ein großes Talent und wollen diese Jungs möglichst schnell verpflichten, um sich hohe Ablösesummen zu sparen. Sollten wir so einen Spieler wieder entwickeln können, ist es wichtig, ihn früh langfristig zu binden. Um zumindest eine Ablöse generieren zu können. Denn dass diese Spieler tatsächlich bis in die Profiabteilung aufrücken könnten, ist schwierig bis unmöglich geworden.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.