Tobi Jänicke: Ein kleines bisschen Paule
Mit Tobi Jänicke wechselte ein Publikumsliebling vergangener Tage zurück an die Ostseeküste. Das sorgte nicht nur für viel Fan-Euphorie, sondern ist gleichzeitig ein gutes Omen.
Im Sommer 2006 feierte ganz Deutschland vermeintlich nur ein einziges, großes Fußballmärchen. Dieses begann bekanntlich mit einem der schönsten Tore der WM-Auftaktspielgeschichte, dem Schlenzer von Philip Lahm mitten in das costa-ricanische Fußballherz, und endete schließlich mit einem zufriedenstellenden, weil nicht unbedingt erwarteten dritten Platz für die gastgebende Nationalelf. Es waren vier tosende Wochen zwischen Fanmeile und Autokorso, die sich noch heute in den Gedanken der damals freudentaumelnden Menschen einer regelmäßigen Erinnerung erfreuen.
Während zwischen bayrischen Biergärten und norddeutschen Strandkörben ein gemeinsames Fußballfest gefeiert wurde, hatten die Fußballfans in Rostock besonders viel Glück. Denn bevor Lahm überhaupt den Startschuss zur großen WM-Sause in den Winkeln setzten konnte, wurde in Rostock bereits an einem zweiten Fußballmärchen geschrieben.
Hansa-Ikone Stefan „Paule“ Beinlich hatte nämlich bereits im Mai für Freudensprünge an der Ostseeküste gesorgt. Der Publikumsliebling aus den Neunzigerjahren besiegelte damals samt Zweijahresvertrag seine Comebackpläne in Rostock, selbst Anfragen aus der Bundesliga konnten seine Ambitionen auf eine Heimkehr nicht zum Erliegen bringen.
Beinlich kam jedoch nicht nur zurück, sondern er siegte auf ganzer Linie und stieg ein Jahr später unter → Frank Pagelsdorf in die Bundesliga auf. Es war letzte Bundesligaaufstieg des FC Hansa Rostock, und rückblickend der Beginn einer schier endlosen Abwärtsspirale, die sich im letzten Jahr beinahe bis in die Regionalliga weiter gedreht hätte.
Wenn sich Tobias Jänicke, damals 17 und Jugendspieler beim FC Hansa Rostock, an diese langsam in Vergessenheit geratene Episode glücklicher Hansa-Tage erinnert, lächelt er zunächst in sich hinein, bevor sich ein Grinsen schwungvoll über das noch immer jugendliche Gesicht legt: „Logisch. Natürlich hat mich das gefreut, als „Paule“ zurückkam. Und es hat ja auch super geklappt, muss man sagen“, so Jänicke, der längst weiß, wohin der Schnack an dieser Stelle führen soll.
Dabei ähneln sich die Geschichten der beiden Rückholaktionen mehr, als man zunächst denken mag. Wie Beinlich kehrt der gebürtige Neubrandenburger nicht in einer euphorischen Situation, sondern in einer der dunkelsten Stunden des Vereins zurück.
Als der etwas rüstige, aber noch immer technisch beschlagene Beinlich im Sommer 2006 an die Küste zurückwechselt, ist der FC Hansa in der Tat am Boden. Aus dem erhofften direkten Wiederaufstieg aus der 2. Bundesliga wurde ein von dramatischen Aufs und Abs begleitetes Zweitligajahr, mit einem zehnten Tabellenplatz, der am Ende nur zwei Punkte Vorsprung auf den ersten Absteiger garantierte. Beinlich zieht es trotz dieser schweren Hansa-Krise zurück, verzichtet auf Geld und sportlich bessere Perspektiven.
Für Jänicke galten in diesem Sommer sehr ähnliche Vorzeichen. Während die Hansa-Kogge in den letzten Monaten mehrmals Leck schlug, sie sich letztendlich nur mit Schützenhilfe über die Ziellinie zum mühsamen, zwischenzeitlich arg bezweifelten Klassenerhalt in der Dritten Liga wand, spielte Jänicke in Wiesbaden so gut, dass ihn die dortigen Verantwortlichen mit Kusshänden behalten wollten. Auch andere Drittligisten fragten an, unter nur etwas anderen Umständen hätte sogar die 2. Bundesliga unter dem zusätzlichen Pluspunkt der regionalen Nähe gelockt. Jänicke lehnte diese Offerten wegen seiner eigens aufgestellten Prämisse „Dritte Liga – nur bei Hansa“ ab, bekennt aber dennoch: „Hätte ich nur nach der sportlichen Ausgangsposition und den finanziellen Aspekten entschieden, wäre ich wohl nicht zum FC Hansa gegangen.“ Er scheint es noch vorsichtig auszudrücken.
Jänicke ging also trotz der Vielzahl an Verlockungen zurück – und das ganz ohne Brimborium bei der Vertragsgestaltung. Ein Dreijahresvertrag in einer Liga, in der die meisten Leistungsträger schon bei zwei veranschlagten Jahren zetern, um sich etwaige Aufstiegschancen zu Zweitligisten nicht zu verbauen? Für Jänicke kein Problem. „Ich will so schnell nicht wieder weg, keine Sorge“, grinst er. Und schnell wieder flüchten, sofern seine Hansa-Mission anfangs doch erheblich stocken sollte, will der Mittelfeldspieler schon gar nicht, weshalb auf Aufstiegsklauseln im Vertrag gleich komplett verzichtet wurde.
Warum sich der Fan-Liebling so unwiderruflich dem Verein und der neuen Aufgabe verschreibt, hat aber nicht nur mit der früh geborenen Sympathie zum neuen und alten Arbeitgeber zu tun, den er seit Kindesbeinen als seinen Lieblingsverein bezeichnet. Die Entscheidung fußt auch auf ganz menschlichen Erfahrungswerten der letzten drei Jahre.
In Wiesbaden, wo es sportlich fast immer lief, wurde die junge Familie Jänicke samt kleiner Tochter nie richtig heimisch. Was schon bei lapidaren Dingen des Alltags wie einem Familientag am Wasser ersichtlich wurde. Was für die norddeutsche Fußballfamilie lange selbstverständlich war, galt in der neuen Heimat als schwer realisierbar. Die Küste hunderte Kilometer weit weg. Badeseen mit Mecklenburger Idyll? Mangelware. Und auch die überfüllten Freibäder waren gar und gar nicht nach dem Mecklenburger Geschmack, wie Jänicke noch heute etwas verstimmt darlegt und die Hände zum erheiterten Schimpfen über den Tisch kreisen lässt.
Dazu der fast täglich vorgetragene Wunsch der kleinen Tochter, doch bitte die Großeltern zu besuchen. „In den Jahren merkte ich einfach, dass Fußball nicht alles ist“, sagt Jänicke, der in der letzten Saisonfast wöchentlich von Wiesbaden in den Norden pendelte und auf einer dieser Fahrten dem Klassenerhalts-Helden Maximilian Ahlschwede vom FC Hansa und seinem Umfeld vorschwärmte. Auf diese Weise für seinen nie vergessenen Herzensklub warb und ihn aus der Ferne zumindest etwas auf dem holprigen Weg zum Klassenerhalt unterstützte.
Mit ein paar Jahren Profifußball und viel vertrauter Heimeligkeit in den Gefilden der Dritten Liga soll es jedoch nicht getan sein. Jänicke spricht offen über das, was in Rostock nach den letzten beiden Jahren noch nicht wieder als Saisonziel gelten kann: „Ich will noch einmal in der 2. Bundesliga spielen, und das natürlich mit Hansa“, so Jänicke.
Dafür erkundigte er sich trotz der schnellen Vertragsgespräche nach den Plänen vom Sportlichen Leiter Uwe Klein. Konkrete Namen wurden zwar von Spielerseite nicht erfragt, aber die grobe Richtung der Planungen zumindest abgesteckt. Der Rostocker Manager versprach einige Kaderverbesserungen und hielt wenig später sein gegebenes Wort. Auf Jänicke, dessen Personalie die aufkeimende Panik nach einigen Stammspieler-Abgängen ersticken ließ, folgten prominente Namen. Auch in der Offensive, genauer gesagt auf der Jänicke- Position, soll dem öffentlichen Vernehmen noch etwas getan werden. Was ganz im Sinne des Wieder-Rostockers wäre: „Konkurrenz belebt immer das Geschäft, auch bei mir“, betont der Neubrandenburger.
Doch nicht nur Konkurrenten um den Stammplatz, auch neue Aufgaben in der Kabine warten auf den 26-Jährigen. Die Führungsverantwortung liegt dabei ganz in seinem Interesse. Die Frage nach der Binde – ein breites Grinsen. Aber auch eine deutliche Antwort, die in Windeseile folgt: „Ich muss nicht Kapitän sein, um Verantwortung zu übernehmen. Ich werde auch ohne Binde für unser Team vorangehen.“
Das Kapitänsamt – es würde den Jänicke-Vergleich zu „Paule“ Beinlich weiter nähren. Und tatsächlich, zum Abschluss des Gespräches, kommt der Flügelflitzer bei der Frage nach dem Rostocker Saisonziel von alleine auf die Hansa-Ikone zurück. „Ein Aufstiegsplatz wie damals mit Paule wäre am Ende sicherlich zufriedenstellend“, scherzt er offensiv, um schnell wieder auf Ernst umzuschalten: „Es wäre falsch, auch nur irgendeine Platzierung auszuloben. Wir haben einen guten Kader und möchten diese Möglichkeiten nutzen, um den Fans ansehnlichen Fußball zu bieten und keinesfalls in den Keller abzurutschen. Der Rest wird sich entwickeln.“
Stefan Beinlich hatte bei seinem letzten Hansa-Wechsel übrigens andere Töne angeschlagen. Er sagte im Mai 2006: „Ich komme für den Aufstieg.“ Gut möglich, dass Jänicke erst in den kommenden Jahren verbal nachzieht. Anders als der damals 34-jährige Stefan Beinlich befindet sich Jänicke in den besten Fußballjahren. Am Alter wird seine „Mission Hansa“ demnach wohl kaum scheitern.