Die Geschichte eines Provinzmäzens
Schon mehr als 40 Jahre ist Wolfgang Borchert Mitglied beim SV Rugenbergen. In den Siebzigern und Achtzigern spielte er für die Rot-Schwarzen. Seit 2008 ist er als Hauptsponsor und Gelegenheits-Visionär einer der wichtigsten Köpfe des Fußballs in Bönningstedt. Uns erzählt der tüchtige Privatier seine Geschichte als Provinzmäzen.
Wer es in das Hochhaus an der Hamburger Elbe mit dem elitären Titel „Der Kristall“ geschafft hat, der wird mit einem beeindruckenden Blick über den Hafen belohnt. Das gläserne Gebäude gilt zweifellos als Wohnobjekt der wohlhabenden Hamburger Bevölkerungsschicht. Für gewöhnlich begrüßen sich erfolgreiche Unternehmer verschiedener Branchen auf den Fluren oder verabreden sich gelegentlich zu einem Wein auf den Balkonterrassen oder in den unzähligen Restaurants, die sich in unmittelbarer Nähe des Prachtbaus befinden.
Wolfgang Borchert gehört zu den Bewohnern dieser begehrten Immobilie. Sein Geld hat der Hamburger Millionär jedoch nicht mit dem Sport gemacht, sondern mit Zeitarbeit. Seine Firma „Rehnelt“ ist in Norddeutschland branchenführend, mittlerweile aber in den Händen des eigenen Nachwuchses gelagert. Das schafft Freizeit. Zeit, die er länger als früher zum Plaudern über die vergangenen Fußballwochenenden nutzt.
An diesem Morgen unterhält sich Borchert angeregt mit dem Concierge des Hauses, beide sprechen auf Augenhöhe. Anders, als man vielleicht vermuten könnte, wird im Foyer nicht nur über die dahindarbenden Spitzenvereine der Stadt gesprochen. Sie sprechen stattdessen über unscheinbare Vereine des Hamburger Amateurfußballs. Über Halstenbek-Rellingen und dem SV Rugenbergen.
Jene Teams aus der Hamburger Oberliga, die an den Wochenendend vor ein paar hundert Fans spielen, wenn es gut an den Tageskassen läuft. Für wen Borcherts Herz dabei schlägt, ist kein Geheimnis, sofern man über die Farben und Embleme der Oberliga Hamburg Bescheid weiß.
Borchert trägt eine rote Cordhose, sein schwarzer Boss-Pullover überdeckt ein rotkariertes Hemd, die Gläser der Designerbrille sind ebenso rotgefasst. Rot-Schwarz-Rot – es sind die Farben des SV Rugenbergen. Seines SV Rugenbergen.
Der Hamburger ist dabei weit mehr als der bloße Fan einer Amateurmannschaft. Er ist der Nabel, der die Fünftligafußballer aus Bönningstedt am Leben hält. Borchert ist wichtigster Geldgeber des Vereins, den fast sechsstelligen Etat der Amateurmannschaft, der durch steigende Spielergehälter in den vergangenen Jahren beständig anwuchs, berappt er fast im Alleingang.
Borchert nimmt sich zurück beim anschließenden Frühstücksgespräch in einem der trendigen Läden der Hafenpassage, er begnügt sich mit einer dieser neumodischen Joghurtkreationen aus dem Plastikbecher. Fit wolle er bleiben, begründet er den kleinen Snack mit einem dezenten Lächeln. Der Neu-Siebziger ist gut gelaunt. Am Wochenende gewann sein Team die Hamburger Stadtmeisterschaft im Hallenfußball, besiegte Favorit um Favorit und gewann am Ende das Finale dramatisch. Vier Sekunden vor Schluss fiel die Entscheidung, und Borchert in die Arme der anderen Mitgereisten aus Bönnigstedt, der Heimat der „Roten Teufel“.
„Das war der größte Erfolg unseres Vereins. Zwar nur eine kleine Meisterschaft, aber dennoch unglaublich schön“, schwärmt der Finanzier zwischen den Löffelstichen.
Wolfgang Borchert ist dabei eigentlich nur einer von vielen Mäzenen im Hamburger Amateurfußball. Klubs steigen auf, triumphieren und finden sich, meist nur wenig später, in der Versenkung wieder, sobald die Gönner aus unterschiedlichen Gründen aussteigen oder sich schlichtweg übernommen haben.
Speziell in Hamburg gibt es viele Vereine, die man an dieser Stelle nennen könnte. Die nach wenigen Atemzügen an der Höhenluft wie übernächtigte Eintagsfliegen von den Schaufenstern des lokalen Spitzenfußballs purzelten.
Der Hamburger Unternehmer, der in Eimsbüttel aufwuchs und zunächst auf dem Martini-Acker mit Freunden kickte, manchmal sogar die Schule dafür schwänzte, hakt bereits an dieser Stelle ein. „Wenn es nach mir geht, dann würde kein Fußballer in dieser Liga bezahlt werden. Weil es kein Beruf, sondern eine Freizeitgestaltung ist. Früher, ganz früher, hat man ja auch noch für seine Mannschaft gespielt, weil man sich dem Verein verbunden fühlte und Spaß an der Sache hatte“, so Borchert. Man merkt es ihm schnell an, dieses Thema beschäftigt ihn. „In anderen Sportarten geht es doch auch ohne Geld. Mir wäre es am liebsten, wenn sich der Amateurfußball ohne Gehälter gestalten ließe.“
Was er damit sagen möchte, scheint einfach zu erschließen. Es ginge ihm nicht darum, Spieler wie Statussymbole zu verpflichten, sie mit Geld zuzuschütten. Sondern um den Verein und seinem erfolgreichen Fortbestehen.
Wenn Borchert über sich und den SV Rugenbergen spricht, dann holt er lange aus. Er beginnt bei den ersten nagelneuen Fußballstiefeln im Jugendalter und die Alu-Stollen, die er beim ersten Sprung von einer Treppe fast ramponiert hätte. Das sonore Klacken auf Beton und Linoleum hatte dazu einfach animiert, erinnert sich der Hintermann des Oberligisten.
Nach Jahren im Amateurfußball bei Eintracht Lokstedt ging es mit 27 Jahren in den Norden der Stadt, durch Freunde und Bekannte kam er 1973 zum SVR nach Bönningstedt. Als Linksaußen, der mit dem Ball etwas Gescheites anfangen konnte, aber im Zweikampf nicht allzu viel in die Waagschale warf, dribbelte er sich fortan für seinen neuen Klub durch die Hamburger Amateurligen.
„Ich war Stürmer“ sagt er. Mit 33 Jahren war Schluss.
Anschließend spielt er noch bis weit in die 80er Jahre hinein für die Alten Herren. Vereinsmitglied bleibt der Geschäftsmann zwar durchgehend, die Distanz zwischen ihm und dem heute 1300 Mitglieder starken Verein wird mit der Zeit aber größer.
Das liegt vor allem am steigenden Pensum in seinem Hauptberuf. Nach einer Ausbildung zum Reedereikaufmann war Borchert noch in jungen Berufsjahren auf eine Zeitungsannonce hin in die aufkeimende Zeitarbeits-Branche gewechselt, errichtet dort als talentierter Manager eine Niederlassung für eine Bremer Firma.
Er gründete 1986 mit einem Partner eine eigene Firma, der heutigen Firma „Rehnelt Zeitarbeit“, mit Hauptsitz in Lüneburg. Im Laufe der 90er Jahre wuchs das Unternehmen auf circa 30 Niederlassungen verteilt in acht Bundesländern mit 800 Mitarbeitern, spezialisiert auf handwerkliche und technische Berufe. In dieser Zeit profitiert Borchert von einer seiner größten Leidenschaften, dem Machen.
„Das Unternehmen war eine Leidenschaft, da es keine natürlichen Grenzen gab“, erinnert er sich.
Grenzen mag er auch heute noch nicht, selbst wenn das Geldverdienen nach Jahren des langsamen Abtritts mittlerweile andere im Betrieb übernehmen. Die Rolle als Sponsor und Förderer, ist die neue Aufgabe des Provinzmäzens* aus der Hamburger Bourgeoisie.
*Ein Mäzen ist eine Person, die eine Institution, kommunale Einrichtung oder Person mit Geld oder geldwerten Mitteln bei der Umsetzung eines Vorhabens unterstützt, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen.Wikipedia
Als der Verein 2009 an ihn herantritt und ihn zu einem gütigen Sponsoring bewegen will, willigt er bereits nach kurzem Überdenken ein. Das neue Kapitel beginnt erfolgreich, nur ein paar Monate nach dem Einstieg steigen die Rand-Hamburger, die eigentlich Schleswig-Holsteiner sind, in die Oberliga Hamburg auf.
Ein Abenteuer, wie der passionierte Amateurfußballfan die ersten Monate in der sechsten Liga beschreibt: „Trainer suchen, Spieler verpflichten und die ganze Bedingungen erfüllen. Die Mannschaft einkleiden. Es war eine Aufgabe, die mir in dieser Größenordnung gar nicht bewusst war. Aber eine, die mich herausforderte.“
Der Unternehmer ist dabei geblieben. Nur als Geldgeber zu fungieren, kommt für den Ferrari-Fahrer nicht infrage. Er begründet es einfach: „Ich möchte einfach sehen, was mit dem Geld passiert und Entscheidungen treffen, speziell im finanziellen Bereich.“
„Wolfgang“, wie er von den Spielern und Betreuern geduzt wird, sitzt seitdem bei den Vertragsgesprächen in der Regel dabei. Mittlerweile sieht und bewertet er Spieler anders, achtet schon im Vorfeld darauf, wie die talentierten Kicker abseits des Rasens auftreten. Erwischt hat er sich häufiger dabei, wie er zu anderen Oberliga-Partien im Raum Hamburg fuhr. Aus Interesse an der Liga. „Ich muss doch wissen, was anderorts los ist“, führt er darauf fast ein wenig lapidar aus.
Bewusst wird ihm dabei zusehends die Grenze, die der Fußballkosmos in Hamburg zwischen höherklassigen Fußball und der Oberliga zieht. Der nächste Sprung, die Regionalliga Nord, ist schwer realisierbar, auch mit einem Unterstützer von seinem Kaliber. Eine Folge: Die letzten beiden Meister verzichteten aufgrund finanzieller Motive auf den mit Risiken verbundenen Aufstieg in die nächsthöhere Liga. Noch kostenintensivere Kader, anspruchsvollere Auflagen, keine gesunde Perspektive. Regionalliga geht nicht. Der Ausdruck, der sich der Mimik Borcherts sammelt, macht die eigentliche Antwort überflüssig.
Eine andere Zielstellung hat sich für den Rugenbergen-Enthusiasten, der kaum eine Oberliga- oder Vorbereitungspartie verpasst, längst ergeben. Es geht um die Perspektive des SV Rugenbergen, um eine Zeit nach den „Rehnelt-Flocks“ auf den roten, gelben, schwarzen oder weißen Adidas-Trikots. Diese eine Frage, die die Handflächen Rehnelts hektischer über die polierte Tischplatte rotieren lässt.
Der SV Rugenbergen, nur ein Oberligist auf Zeit? Nach ihm, Borchert, die Sintflut?
Diese Frage beschäftigt ihn schon eine Weile. Er mag sich eine Oberliga ohne den SVR nicht vorstellen, das sieht man ihm an. Er wird leiser, erklärt dann: „Der Verein hat sich für die Zukunft viel vorgenommen. Aber im Fußball benötigt man ab einer gewissen Stufe immer Geld. Und daran arbeiten wir.“
Das Problem der Perspektive ist allgegenwärtig. Borchert sogar mit dem Verzicht auf die Trikot-Brust kokettiert, wenn dadurch das Unterstützergrüppchen neuen Zuwachs erhält, der Verein dadurch an Unabhängigkeit gewinnt. Ein Rückzug auf Raten? „Nein, ganz im Gegenteil“, sagt er, und berichtet dann stolz von einer Verlängerung bis 2017. Solange hat er sein finanzielles Engagement samt Management-Tätigkeit dem Verein zugesichert.
Die Geldfrage, die Finanzierung des Herrenfußballs ist aber nur ein Themenfeld. Ein anderes, zuletzt vernachlässigtes, ist ein leistungsorientierter Jugendbereich, der beim SV Rugenbergen quasi nicht existiert. „Da haben wir richtig Arbeit vor uns. In den letzten Jahren haben wir da zu viel liegen gelassen.“ Die Problemzone Nachwuchsfußball, auch die macht er zumindest vorläufig zur Chefsache. Die Suche nach einem Nachwuchskoordinator wird am Ende auch über seine Handynummer führen.
„Für den Fortbestand eines funktionierenden SVR brauchen wir einen leistungsstarken Unterbau. Dazu zählt eine U23, die Spieler für die Ligamannschaft entwickelt, und starke U-Mannschaften in allen Altersklassen. Da wartet Arbeit für die nächsten Jahre auf uns.“
An anderer Stelle liegen die Pläne für einen Umbau des Fußballgeländes an der Ellerbeker Straße. Architekten seien längst mit der Aufgabe betraut, Entwürfe für eine Modifizierung der Infrastruktur zu fassen, und ganz zuletzt läuft der Clinch mit der Politik um Genehmigungen und Rechte an.
Neue Bälle für die kommende Saison hat der Fußballmanager im Rentenalter wie in jedem Jahr schon in der Winterpause anvisiert. Die zweite Auflage eines Winter-Trainingslagers auf Mallorca ist bereits seit Oktober geplant. Ob das alles noch so wertgeschätzt werden würde, wie es eigentlich müsste, weiß Borchert nicht zu beantworten.
Schulterzucken.
Andere aus dem Umkreis des Vereins werden deutlicher, sagen, dass Mannschaft und Rundherum mittlerweile verhätschelt wären. Ein zaghaftes Kopfschütteln auf der anderen Seite der Tischplatte.
Zwei Minuten sind es von der Frühstückbar mit den kreativen Joghurts aus der Kühltheke zurück zum Hochhaus. Im Foyer stehen bequeme Sessel, durch die Fensterfront kann man die Hafenkräne bei ihrer täglichen Last beobachten. Kleine Schiffe seifen durch das aufgewühlte Wasser, das Blinken der Warnleuchten quillt durch das Mittagsgrau.
Im Hintergrund hört man sanftes Gelächter, das nun lauter wird. Schon wieder geht es um den Fußball, wieder um die Oberliga Hamburg. Während die Mannschaft des Concierge in der Tabelle weit vor Rugenbergen steht, kostet Borchert, der rasch in seine Wohnung geeilt war, den Sieg beim Hallenspektakel noch einmal genüsslich aus. Auch Halstenbek-Rellingen hatte an diesem Wettstreit teilgenommen.
„Halstenbek-Rellingen wird sicher Meister“, fachsimpelt er dann aber, ohne dass es sein davongeeilter Gesprächspartner hören kann. „Meister in der Oberliga – das wäre doch auch noch was für uns in Rugenbergen, oder?“, fragt Borchert in die Runde, den Rücken bequem in die Lehne gepresst, seinen neuesten Einfall, den Rugenbergen-Schal mit der Aufschrift „Einzig, nicht artig“, um den Hals gestülpt.
Eine Antwort verlangt er nicht – die hat er sich schon selbst gegeben.