Luxus, Doping, HW4 – Paul Scharner erklärt das Fußball-Business
Paul Scharner ist ein Mann der klaren Worte. Egal ob in der Premier League, der Bundesliga oder der Nationalmannschaft – er nahm nie ein Blatt vor den Mund. Das brachte ihm nicht nur Sympathien ein, sondern auch jede Menge Kritik. Aber der Österreicher ließ sich nicht verbiegen und galt bis zu seinem Karriereende als einer der letzten echten Typen im Fußball-Business. Im Interview blickt er auf seine Zeit als Spieler zurück und äußert sich zum HSV und das Problem mit Heiko Westermann.
Foto: bwin / Getty Images
Sie galten als Typ im Fußball, als Querdenker. Fehlen diese Typen heute?
Definitiv, weil es das Ausbildungssystem nicht mehr wirklich zulässt. In den ganzen Akademien wird auf die individuelle Förderung gepfiffen. In Österreich werden Spieler so erzogen, dass sie nicht dagegensprechen, wenn der Trainer etwas sagt, dass sie pflegeleicht sind und dass man sie überall hinschieben kann. Das Resultat ist, dass die Spieler sich nie auf eigene Beine stellen und auch im Bedarfsfall nicht auf den Putz hauen und ihre Meinung sagen, geschweige denn aussergewöhnliche Leistungen in schwierigen Momenten und Situationen bringen können.
Wie war denn der Zusammenhalt in der Mannschaft, wenn Sie irgendwo angeeckt sind? Sie haben ja oft von brutalen Ritualen gesprochen, die man erdulden musste.
Das sogenannte „Pastern“ war gang und gäbe bei vielen Vereinen, wo einem mit Schlapfen der Hintern versohlt wurde. Da haben sich die „Führungsspieler“ bemüßigt gefühlt so die Hierarchie klarzustellen. Nur weil Fußball ein Teamsport ist, heißt das nicht, dass da überall elf Freunde auf dem Platz stehen. Mit dem Teamgeist hört es sich ganz schnell auf, wenn zum Beispiel zwei Rechtsverteidiger um einen Platz in der Startelf kämpfen. Es muss natürlich jeder auf sich schauen und zusehen, dass er spielt. Wenn er einen bonusbezogenen Vertrag hat und nur auf der Bank sitzt, dann bekommt er ganz einfach weniger Geld. Man muss im Idealfall die Situation herstellen, dass jeder weiß, wenn ich spiele, dann muss ich das Beste für das Team geben, weil es im Fußball schwierig ist alleine Erfolg zu haben. Aber das war öfter nicht der Fall in meiner Karriere.
Glauben Sie, dass die Profis heutzutage zu weit entfernt sind vom „realen Leben“? Leben sie in einer Blase?
Auf jeden Fall, das war bei mir dasselbe. Während der Karriere leben die Spieler definitiv in einer Parallelwelt. Man muss sich nur Statistiken zu Ex-Fußballern ansehen. In England lassen sich 80 Prozent der Fußballer nach der Karriere scheiden. Das ist ja irre. Und das nächste Problem ist der Verdienst. Zuerst baut man sich ein Leben auf, das sich ein Normalsterblicher nie leisten kann und das nur aus Luxus besteht und dann ist das regelmäßige Einkommen plötzlich weg. Das kann einen ganz blöd erwischen, wenn man nicht vorbereitet ist.
Wie sollte man denn vorsorgen?
Schon während der Karriere sollte man sich darüber Gedanken machen. Auch wieder so eine Sache, die wir bei uns in der Karriereberatung einbauen wollen. Beratung auch nach der Karriere, damit man nachher nicht ins Bodenlose stürzt.
Haben Sie während der Karriere vorgesorgt?
Zu wenig. Diese Erfahrungen möchte ich ebenso weitergeben.
Glauben Sie, dass im Fußball gedopt wird?
Ich denke schon, ja. Ich habe es nicht direkt miterlebt, außer, dass uns Schmerzcocktails gegeben wurden, auf die ich aber gerne verzichtet habe. Damit habe ich nichts anfangen können, weil es mich nur betäubt hätte. Der Umgang mit Schmerzmitteln und Substanzen wird in jeder Gesellschaft anders aufgefasst. In England ist es ganz normal, dass schon Kleinkindern und Säuglingen Schmerzmittel gegeben werden, damit das Kind ruhiger ist und besser schläft. Und die Einstellung hat auch den Profisport beeinflusst. Ich habe mich oft gefragt, wie meine Kollegen nach den Cocktails überhaupt spielen konnten.
Weiß man da als Profi überhaupt noch, was einem verabreicht wird?
Der Daniel Agger, der bei Liverpool gespielt hat, ist ein gutes Beispiel. Der hat über Jahre alles genommen, was ihm die medizinische Abteilung verabreicht hat. Dann ist er zurück nach Dänemark gekommen, hat vor einem Spiel Medikamente eingenommen, wie er es gewohnt war und auf den Weg zum Match ist er im Bus eingeschlafen. Dann hat er sich wieder aufputschen müssen und während des Matches war er dann so voll mit Substanzen, dass er kollabiert ist, weil sein Körper einfach genug hatte. Er hat dann später in einem Interview gesagt, dass man vielleicht nicht alles nehmen sollte, was einem gegeben wird. Das ist ja das Problem, viele Clubs quetschen die Spieler aus und wenn es nicht mehr geht, werden sie verabschiedet. Da sind wir wieder beim Thema der fehlenden Querdenker. Natürlich ist es ein Karriererisiko, wenn man nicht alles tut, was einem gesagt wird, aber die Gesundheit ist mindestens genauso wichtig. Die Spieler sollen nicht denken: Der Verein weiß alles und der Verein darf alles.
Wie sehen Sie den HSV?
Heribert Bruchhagen als Verantwortlichen zu holen, war sicher die richtige Entscheidung. Das große Problem in Hamburg ist, dass es zu viele Leute gibt, die mitreden und ihren Senf dazugeben wollen. Das zu überwinden ist sicher die größte Herausforderung. Derzeit sieht es ja fast nach einer Trendwende beim HSV aus, den Ausrutscher beim FC Bayern ausgenommen.
Die Beziehung zwischen Ihnen und dem HSV war eine leidgeprüfte. Was haben Sie falsch gemacht und welche Fehler wurden auf Seiten desVereins begangen?
Mein Fehler war sich anfangs zu verletzen (lacht). Ich bin damals als Garant für den Nichtabstieg
geholt worden. Dieser Garant war ich mehr oder weniger bei Wigan und bei West Bromwich. Mit dem Trainer Thorsten Fink hatte ich leider kein besonders gutes Verhältnis, noch dazu hat dann ein Machtkampf zwischen ihm und dem Sportdirektor Frank Arnesen angefangen. Plötzlich waren die Spieler, die von Frank Arnesen geholt wurden, außen vor und es haben nur die Spieler gespielt, die Thorsten Fink geholt hat. Das hat dann damit geendet, dass Frank Arnesen rausgeschmissen wurde und Thorsten Fink der neue starke Mann war. Das Paradoxe war, dass er Oliver Kreuzer als neuen Sportdirektor wollte, der ihn dann im Endeffekt gefeuert hat. Den Schock stelle ich mir sehr groß vor, wenn du einen guten Bekannten als Sportdirektor holst und der dich dann raus wirft.
Gab es in der Mannschaft Probleme mit anderen Spielern?
Eigentlich nur mit Heiko Westermann, der im gesamten Verein eine riesige Lobby hatte. Ich glaube, ich hatte noch nie einen Mitspieler, der so viele Tore verschuldet hat wie er und trotzdem immer gesetzt war. Von den 60 Toren, die wir bekommen haben, hat er gefühlt 30 verschuldet. Da gibt es ein interessantes Video, das gerade im Netz kursiert. Ich glaube das heißt „Slapstick Westermann“ oder so ähnlich.
Bereuen Sie die Zeit beim HSV?
Nein, es war eine schöne Zeit mit der Familie in einer wunderschönen Stadt. Privat haben wir viele Freunde gewonnen. Außerdem wäre ich nicht FA-Cup-Sieger, wenn es beim HSV funktioniert hätte (lacht).
Dieser Beitrag ist zuerst auf sports.bwin erschienen. Dort bekommst du übrigens noch eine Menge mehr Beiträge und Interviews aus der Welt des großen Sports.