Hansa-Analyse // Voll Clutch!
Hansa gewinnt gegen Bayern II – und das gleich doppelt. Im Angriff naht die schönste Bromance seit Right Said Fred. Mirnes Pepic setzt ein Ausrufezeichen. MC Härtel rockt die Seitenlinie. Und ja: Dieser Sieg tut verdammt gut.
Spies. Akpoborie. Brand. Jakobsson. Hirsch. Jetzt Vollmann. Sechs Namen, die unzählige Bilder und Emotionen in unseren Köpfen auslösen.
Der FC Hansa gegen den FC Bayern – das ist wie der Hund, der den Mond anbellt. Deshalb sind Siege gegen die Müncher so schön und einprägsam. Auch wenn es am dritten Spieltag “nur” die kleinen Münchner waren, die zurück in ihre bairischen Hobbithöhlen geschickt wurden.
Für mich ist das auch ein familiärer Triumph. Einer meiner beiden Brüder ist Bayern-Fan. Er ist ein super netter Kerl. Eigentlich. Aber er ist eben auch einer dieser Irren, die ihre kleinen Stammeshalter in Bayern-Socken stecken. Da tun sich Abgründe auf.
Ich toleriere ja eigentlich alles. Sogar Erbsen in meiner Bolognese und Katholiken. Aber wie zum Kalle Rummenigge kann man seinem eigenen Nachwuchs diese Bürde auferlegen? Das gibt zurecht Dresche im Fegefeuer der Kindergartensandkiste.
Also, mein hasserödertrinkender Bruderschatz: Diese Kolumne ist dir gewidmet. Und jeder, der sie mit seinen Schwestern, Brüdern und Kumpanen teilt, ist ausdrücklich dafür, dass wir meinen Neffen rechtzeitig und friedlich umdrehen.
Warum hat Hansa gewonnen?
Weil die richtigen Spieler in den richtigen Szenen funktioniert haben. Im US-Sport gibt es ein eigenes Wort dafür: Clutch. US-Sportler wie mein Handshake-Buddy LeBron James, Russell Wilson, Drew Brees oder Tom Brady Megan Rapinoe verdienen sich diese Lobeshymne regelmäßig. Am Dienstag reihten sich ein paar Koggen-Hemden ein – sie waren voll clutch!
Auch wenn diese Euphorie nach dem ersten Sieg seit Monaten gut schmeckt – nach Mittwochabend um 23 Uhr im Rostocker Studentenkeller zum Beispiel – dieses Spiel hätte auch anders ausgehen können. Die Bazi-Bubis waren besonders in der ersten Halbzeit richtig gut. Doch anders als gegen Halle machten Hansas Schlüsselspieler in den wichtigsten Szenen fast alles richtig. Breier und Vollmann, das weltweit einzige magische “Dreieck” mit nur zwei Ecken, schossen tolle Tore.
Torhüter Kolke zeigte erneut eine wahnsinnige Parade und trägt eindeutig das Schober-Gen in seiner Spieler-DNA. Straith machte zwar ein unglückliches Eigentor, entschärfte aber das potenziell viel blödere 0:1 mit einer Helden-Grätsche. Mirnes Pepic, der manchmal unterschätzteste Rostocker, strahlte in der letzten Minute mehr Ruhe aus als ein deutscher Bundeswehrsoldat am Freitagvormittag. Gut gemacht! Und diejenigen, die Angst haben, ich könnte jemanden vergessen haben: ruhig Blut. Ahlschwede bekommt noch seinen FAME.
Die Szenen des Spiels*
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Offensiv
18. Spielminute: Der Königs Kopfball
Ahlschwede mit einem überragenden Ballgewinn. Mirnes Pepic macht es genauso gut. Eine Körpertäuschung und schon segelt seine perfekte Flanke wie ein Quarterback-Pass in den freien Raum. Für den Torwart ist sie schwer erreichbar, er kann hier nur schlecht aussehen. Königs, der die Flanke aktiv forderte, nimmt sie mit dem Hinterkopf. Im Replay sieht es aus, als hätte er auch die Option „Stirn“ gehabt.
Zur Zusammenfassung: Alle Screenshots ©MAGENTASPORT
41. Spielminute: Breiers Tor
Gegen Viktoria Köln überspielte Pepic den blanken Breier noch. Hier trifft er ihn perfekt in den Lauf. Was Breier in der Anfangsphase der Torentstehung sehr gut macht: Er läuft hinter dem Linksverteidiger ein und ermöglicht so Pepic den leichteren Pass über die Außenlinie.
Anschließend entscheidet sich Breier gegen den Querpass auf Königs. Das vermeintlich einfache Abspiel zum sicheren Tor wird durch die Schnelligkeit von Münchens #15 extrem erschwert. Wie die folgenden Screenshots zeigen, schließt sich das Passfenster binnen weniger Augenblicke. Der eigene Abschluss war die richtige Entscheidung – unabhängig vom Ausgang der Szene.
50. Spielminute: Eine Torvorbereitung ohne Ballkontakt
Korbinian Vollmann mit einem tollen Schuss. Da wir diesen Hammer aus gut 25 Metern so schnell nicht mehr vergessen werden, hier nur das Detail, das Vollmann schon im Interview nach dem Spiel erklärte: Es ist Ahlschwede, der durch einen langen und tempovollen Sprint diese unberührte und saftige Traumtorweide (blauer Kreis) für Vollmann öffnet.
58. Spielminute: Episch von Pepic
Breier macht richtig ekelhaften Druck. Und der Stress für den Verteidiger beginnt schon „lange“ vor der Eckfahne, an der Breier den Ball gewinnt und direkt auf Pepic weiterspielt.
Auch der Pass von Pepic auf Vollmann kommt richtig gut. Dabei wirkt er in der TV-Perspektive fast ein bisschen unabsichtlich. Vollmann steht übrigens viel besser als der ebenso freie Königs, der jedoch mit einem schlechteren Winkel zum Tor anläuft.
Defensiv
31. Spielminute: Die Krake Kolke
Die Großtat von Kolke beginnt mit einem Fehler von Nico Rieble. Er spielt in der Vorwärtsbewegung einen schludrigen Fehlpass. Anschließend verliert Rieble Wriedt in seinem Rücken, weil er nur auf die #7 an der Mittellinie achtet.
Das bringt Hansas Riedel und Straith in eine ungünstige Lage. Sie müssen zwei Münchner (und damit zwei Räume) und den ballführenden Angreifer verteidigen, der mit viel Geschwindigkeit heranprescht. Straith macht Druck auf den Ball, er spannt so auch eine Abseitsfalle auf. Doch der Münchner passt im perfekten Moment. Der Ball passiert Straith haarscharf und Wriedt vermeidet eine Abseitsposition.
Der Stürmer läuft allein auf Kolke zu. Doch der verkürzt nicht nur den Winkel und bleibt lange stehen, sondern wehrt den Ball auch aktiv mit dem Arm ab.
37. Spielminute: Straith von der Torlinie
Auch an der zweiten Großchance der Münchner ist Rieble (roter Kreis) beteiligt. Er kann einen Doppelpass nicht verhindern. Und dieser erzielt eine verheerende Wirkung auf Hansas Defensive. Er nimmt nämlich fünf Rostocker aus dem Spiel. Gerade Öztürk und Pepic sehen hier nicht ideal aus. Sie lassen den Spieler, der die Großchance final initiieren wird, blank stehen. In dieser Szene ist es vor allem Pepic, der nicht mitdenkt. Öztürk war Augenblicke zuvor noch in einem Zweikampf gebunden. Pepic hatte hingegen die Zeit, den Münchner aus dem Spiel zu nehmen.
Erneut müssen Riedel und Straith eine schwierige Situation ausbaden. Besonders Riedel steht unter Stress. Er kann die Lücke in die Mitte nicht weiter schließen, da diese Bewegung sofort den Passweg in die Mitte öffnen würde. Straith zieht rein, ermöglicht aber so das kleinere Übel – das Abspiel auf die Außen. Der spätere Pass in die Mitte wird von Riedel noch knapp touchiert.
Doch direkt vor dem Tor verteidigt Hansa bärenstark. Butzen, Kolke und Straith machen den Abschluss für den Stürmer maximal schwer, der grüne Bereich ist nahezu vollständig abgedeckt.
84. Spielminute: Out of Order
Eine komische Szene: Hansa kann den Ball nicht klären, die Zone vor dem Strafraum ist wie gegen Halle verwaist. Interessant ist: Genau in dem Moment, als der Münchner auf das Tor schlenzt, sucht Straith den Kontakt zu Wriedt. Der Kanadier rechnet mit der Flanke. Er sieht die nahende Gefahr, den Schuss, schlicht zu spät, weil er Wriedt decken will. Kolke hätte diesen Ball wohl pariert.
Wer hat ein Extralob verdient?
Markus Kolke: Gegen Münchens Wriedt hielt er grandios. Die nächste 100-Prozentige, die Kolke vereitelte. Der vierte Riesen-Save innerhalb von drei Tagen. Noch wichtiger: Seine Körpersprache. Kolke ist laut, er ist giftig, er provoziert den Gegner. Kurzum: Er strahlt Stärke aus. Ein guter Torwart hält nicht nur sein Tor sauber – sondern auch seine Mannschaft zusammen. Auch den 2:1-Anschluss, den Straith unhaltbar ins eigene Tor lenkte, hätte Air-Kolke pariert.
Mirnes Pepic: An drei, vier sehr gefährlichen Situationen war Pepic unmittelbar beteiligt. Am Ende stand ein Assist – es hätten aber auch drei sein können. Gegen München spielte Pepic so vertikal wie lange nicht. Das heißt: Er suchte den Weg nach vorne, machte im Pressing viele Extrameter. In den letzten vier Minuten war er mit seiner Ballsicherheit Hansas effektivster Verteidiger. Er war der, der mit der Eckfahne tanzt.
Pascal Breier: Ich kann es nur wiederholen: Pascal Breier ist ein richtig guter Drittliga-Stürmer. Nicht nur, weil er wieder ein wichtiges Tor erzielte, sondern auch Torchancen für seine Mitspieler kreierte. Bestes Beispiel: Als er vor der großen Vollmann-Großchance einen Ball an der Eckfahne stibitzte und perfekt auf Pepic ablegte. Seine teils langen Laufwege zogen die Abwehr auseinander.
Korbinian Vollmann: Der Junge ist verdammt klug. Das erkennt man auf dem Spielfeld. Er ist extrem ballsicher und traf gedankenschnell viele richtige Entscheidungen. Er klaute sich ein paar Bälle nicht mit einem Stemmeisen von Fußballerbein, sondern mit seinem Köpfchen. Auch im Interview bei MagentaSport kam jeder Satz gerade raus, war klug und reflektiert. Vollmann verdiente sich so unsere Kolumnen-Bild-Ehre. Wann wurde ein Bayer jemals so schnell zum Mecklenburger umgedreht?
Die Defensive in den zweiten 45 Minuten: In der ersten Halbzeit hielten Kolke und Abwehr-Gorilla Straith die Abwehr zusammen. Nico Rieble brachte seine Kollegen jedoch zweimal aktiv in Bedrängnis. Doch im zweiten Abschnitt kamen die unbequemen Münchner nur bis zur Strafraumgrenze. Die Dreierkette zeigte im Kollektiv eine extreme Leistungssteigerung. Kapitän Julian Riedel war wieder der Alte – und eine positive Erscheinung.
Marco Königs: Der Statusstürmer für alle, die keinen Statusstürmer brauchen – ich kritisierte Königs in der vergangenen Saison harsch. Doch sein Auftritt gegen Bayern II war vielleicht das beste Königs-Spiel, dass ich seit Ewigkeiten sah. Ihm gelang nicht alles, aber er war oft genug da, wo es gefährlich wird. Königs zeigte etwas, dass ich ehrlicherweise schon stark bezweifelte: Er kann noch wichtig werden für den einen oder anderen Impuls in dieser Saison.
Der Player-Grade des Spiels
Maxi Ahlschwede. Der Speedy Gonzales in der Ginger-Version war überall, wo er gebraucht wurde. Bereitete ein Tor vor, erst mit einem Pass und dann mit dem anschließenden Laufweg. Er startete überraschend oft sehr effektiv in offensive Räume. Ahlschwede ist zweikampfstark, fleißig und immer noch schnell wie eh und je. Dass er als Rechtsfüßler auf Linksaußen spielte, das ahnte man nur dann, wenn eine Flanke mit dem schwachen Fuß zu kurz geriet. Player-Grade nach einmaliger Betrachtung: 81.5.
Den ausführlichen Player-Grade inkl. Szenenanalyse mit Mirnes Pepic gibt es am Donnerstagabend.
Die Trainerleistung
Härtel arbeitet derzeit unter verschärften Bedingungen. Der ohnehin dünne Kader schlägt Leck. Noch immer fehlen wichtige Spieler, von Woche zu Woche werden es derzeit eher weniger als mehr Optionen. #FckVrltzngn.
Gegen die Bayern-Bambis zeigte Hansa trotzdem ein sehr lebhaftes Spiel. Die Mannschaft kreierte mit unterschiedlichen Stilmitteln hochwertige Chancen. Die Neuen in der Startelf gliederten sich sofort ein. Der hochmotivierte Königs beschäftigte die Münchner, Butzen blieb unauffälig. Nicht das schlechteste Zeugnis für einen Defensivspieler.
Ahlschwede auf Linksaußen zu stellen, das war unkonventionell – aber die ertragreichste Entscheidung des Abends. Besonders positiv: Nach dem 1:2 stellte sich Hansa nicht hinten rein. Es wurde offensiv und weit weg vom eigenen Tor verteidigt, der Gegner am eigenen Strafraum gepresst. Mutig und erfolgreich.
Noch auf dem Notizblock
Das Publikum: Schietwetter. Dienstagabend. Gegen die Zweitvertretung eines Bundesliga-Zirkusvereins. Und dann über 17.000 Zuschauer, dazu diese Lautstärke. Und nicht vergessen: Der Saisonstart war ja kein 180-minütiges Gelager in der Eiswerkstatt. Das war großartig, von Boizenburg bis Rügen. Kommt bitte alle wieder. Rostock gewann nicht nur das Spiel, sondern auch einen fantastischen Fußballabend vor großer Kulisse.
Bromance: Korbinian Vollmann und Pascal Breier – direkt nach dem Abpfiff gab es ein kleines Drückerchen zwischen den beiden Torschützen. Harmonie ist zwischen Offensivspielern manchmal genauso wichtig wie die fußballerischen Basics. Breier und Vollmann, das sah man auf dem Spielfeld, bilden das Korsett des Rostocker Angriffs. Oder wie wir es sagen: Es naht die schönste Bromance seit Right Said Fred.
MC Härtel: Seine fachlichen Entscheidungen saßen, der Spielplan ging auf. Eine vermeintlich verunsicherte Mannschaft spielte gar nicht verunsichert. Doch besonders einprägsam waren auch Härtels Emotionen an der Seitenlinie. Als kurz vor dem Ende ein Einwurf herausgeholt wurde, platzte die Freude aus dem Trainer. Er zappelte, klatschte, brüllte. Diese Energie übertrug sich auf die Mannschaft, als diese sie am meisten brauchte. Und: Mit seiner durchnässten Kappe wirkte Härtel bereit für Marterias Hip-Hop-Crew.
Was der Sieg wert ist: Auch wenn es nur gegen einen Aufsteiger ging – der Sieg war extrem wichtig. Und nicht vergessen: Aufsteiger profitieren gerade zu Saisonbeginn von der Eingespieltheit (denken wir an Cottbus). Ebenso positiv: Mit zwei, drei potenziellen Neuzugängen, Neidhart, Opoku und Verhoek sind einige wichtige Spieler noch nicht da, noch nicht gesund oder noch nicht richtig fit. Keine Drittliga-Mannschaft wird in den kommenden Wochen so viel Auffrischung erhalten wie der FC Hansa.