Von Null auf Eins – Drochtersen-Trainer Enrico Maaßen
Enrico Maaßen ist Oberligatrainer vom → Niedersachsen-Tabellenführer SV Drochtersen-Assel. Ein ziemlich junger und erfolgreicher noch dazu. Mit gerade einmal 30 Jahren peilt er die Regionalliga-Nord an, und erzählt von seinem etwas anderen Karriereweg. Vom Fitnessstudio an der Hamburger Meile an die Seitenlinie der Regionalliga Nord? Vielleicht wird das alsbald Realität.
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Es waren zwei einfache wie grundsätzliche Fragen, die Sportvorstand und Vereinsmäzen Rigo Gooßen stellte. Fragen nach dem Motto: „Traust du dir den Trainerjob zu?“ und „Willst du es wagen?“ Enrico Maaßen, 30, beantworte diese Fragen nach entsprechender Beratung mit einem doppelten Ja.
Enrico Maaßen kennt man noch nicht allzu gut im Norden. Zumindest dem Fußballmainstream zwischen Niedersachsen und Mecklenburg Vorpommern ist diese interessante Personalie entgangen. Der Name eine Unbekannte, die höchstens Fußballjunkies aus dem Amateurbereich ein Begriff ist.
Dabei ist der gebürtige Wismarer, der in der U23 von FC Hansa Rostock spielte und in Verl und Goslar Regionalliga-Luft schnupperte, kein unbeschriebenes Blatt mehr. Maaßen ist einer der jüngsten Cheftrainer im semiprofessionellen Fußball. Ein Trainertalent, und ein ziemlich erfolgreiches noch dazu.
Sein Verein, der SV Drochtersen-Assel, führt die Tabelle der Oberliga Niedersachsen punktgleich vor dem Team aus Jeddelloh an. Er ist auf dem Weg in die Regionalliga, und dahin soll es auch schleunigst gehen, wie Maaßen ganz offen bekennt: „Wir spielen eine sensationelle Saison. Und wenn man einmal ganz oben steht, dann möchte man diesen Platz auch nicht mehr verlieren.“ Die Chancen stehen dafür gut, sehr wahrscheinlich haben nur noch drei Teams die Chance auf den direkten Aufstiegsplatz. Der Zweite darf immerhin noch als zweite Aufstiegschance die Relegation spielen.
Der einstige Mittelfeldspieler wirkt bei diesen Themen entspannt, seine Lockerheit versucht anzustecken. Es läuft für das noch frische Mitglied im Dreißiger-Klub. Auf und neben dem Platz.
So entspannte Maaßen zuletzt in Al-Kheimah am persischen Golf, während der norddeutsche Raum im Regen ertrank. „30 bis 35 Grad, viel Sonne, kein Regen“, fast er deshalb breitgrinsend seinen Urlaub in den Emiraten zusammen, den er, wie er sagt, „einfach mal perfekt gelegt“ hätte.
Es sei ein wichtiger Urlaub gewesen, formuliert er weiter. Noch einmal Kraft tanken für den Endspurt um die begehrten Aufstiegsplätze. Und Stress abbauen, denn von dem hatte der Trainernovize zum Ende des alten Jahres mehr als genug. Nach dem Saisonende rief schließlich eine zweiwöchige Trainertagung, die Vorbereitungen auf die zu bestehenden Trainer-Lizenzen schlauchten zusätzlich. Und allgemein waren da noch die ersten sechs Monate als Cheftrainer einer Männermannschaft, die in ihrer Intensität mehr Engagement verlangten als von Maaßen zunächst erwartet worden war.
Der Sprung an die Seitenlinie war plötzlich gekommen. Zwar deutete Maaßen bereits bei seinem Wechsel nach Drochtersen vor drei Jahren vage Perspektiven in der Trainerarbeit an, kokettierte jedoch nur mit der Rollle des Co-Trainers, den Chefsessel hatte er damals noch lange nicht ins Visier genommen. Das ändert sich, als das Schicksal beginnt, den Klub zu verändern.
Lars Jagemann, der zehn Jahre an der Seitenlinie des Klub die Geschicke führte und mehrere Spielzeiten als Cheftrainer amtierte, zog sich nach der vergangenen Runde zurück. Maaßens Karriere ist zu diesem Zeitpunkt bereits so gut wie beendet, zwei Innen- und Kreuzbandrisse im gleichen Knie beschleunigen das Ende seiner Laufbahn jäh. Schnell rückt er in den Kandidaten-Kreis um die Jagemann-Nachfolge, der Vereinsvorsitzende Rigo Gooßen, der unweit in Stade eine Steuerberatungs-Kanzlei unterhält, favorisiert von Beginn an eine interne Lösung, wie er heute sagt: „Wir haben es gerne, wenn wir mit Personen zusammenarbeiten, die den Klub bereits kennen, und wo wir wissen, dass sie perfekt hierher passen.“
Ein grobes Suchprofil, das sich kompatibel zu Maaßen erweist und ihn somit den entscheidenden Vorsprung um den Posten verschafft: „Seine Ansichten und Pläne vom Fußball stimmten mit meinen Gedanken überein, und er hat die Gabe, schnell auf Menschen einzugehen“, ergänzt Gooßen anerkennend.
Was folgt waren überraschenderweise nicht mühsame erste Tippelschritte eines Neulings in der Coaching-Zone, sondern mutige Umstrukturierungen. Aus dem letztjährigen Ergebnisfußball, der Drochtersen-Assel im umkämpften Pulk der oberen Tabellenhälfte einen guten sechsten Platz beschert hatte, und sich dabei durch die zweitbeste Defensive der Liga auszeichnete, wird das Tollhaus der Liga. Nach etwas mehr als der Hälfte der Saison hat die Maaßen-Elf fast mehr Tore geschossen als in der gesamten Saison, und das ohne defensive Einbußen zu beklagen.
Die Konsequenzen: Die zweitbeste Offensivabteilung der Liga, Platz 1 und nach 18 Spielen nur sechs Punkte weniger als im Sommer 2014.
Maaßen, der Restaurateur der offensiven Spielkultur, schmunzelt bei diesen Zahlen. „Genau das gibt mir an der Seitenlinie den größten Kick. Zu sehen, wie man so etwas Erfolgreiches nach sehr guter Vorarbeit mit seinen Spielern schaffen kann. Dass es möglich ist, dass man die Resultate der gemeinsamen Arbeit auf dem Platz erkennt und wiederfindet.“
Der Systemwechsel vom Ergebnisfußball mit seinen destruktiven Elementen zur konstruierten Dominanz bei eigenem Ballbesitz hatte dabei nicht nur sportliche Gründe, wie Maaßen ausführt:
„Als kleiner Verein müssen wir unseren Zuschauern Unterhaltung bieten. Damit die Leute gerne ihren Eintritt zahlen und regelmäßig kommen, muss auf dem Rasen einfach viel passieren. Das war unser Anspruch vor der Saison.“
Bisher danken es die Fußballinteressierten der Region ihrem Team. Der Zuschauerschnitt steigt, bewegt sich mittlerweile im Schnitt zwischen vier- bis sechshundert Besucher. Im Vorjahr kamen oftmals nur knapp über 300 Gäste ins Kehdinger Stadion.
Warum das alles so gut klappt? Maaßen weiß nicht, wo er anfangen soll. „Die Mannschaft harmoniert einfach perfekt“, sagt er dann etwas scheu, um Zurückhaltung bemüht. Ein Verhältnis, das kontinuierlich gewachsen wäre. Alte Mitspieler vertrauen ihrem neuen Chef, den sie nach wie vor duzen dürfen. Und auch die ersten Transfers, die Maaßen tätigte, schlugen ein.
Insbesondere Alexander Neumann, der als Regionalliga-Ass aus Rehden kam, erfüllt seine angedachte Rolle und schoss bereits zwölf Tore. Ein Wechsel, bei dem sich Maaßen seine eigene Karriere zu Nutze machte. „Ich habe häufiger gegen ihn gespielt, und dabei hat er mir einfach sehr viele Probleme bereitet, weil er einfach klasse gekickt hat“, so der hauptberufliche Fitnesskaufmann, der vor nicht allzu langer Zeit in einem Fitnessstudio an der Hamburger Meile arbeitete.
Das berühmte „Learning by Doing“ ist das Hauptrezept des Dreißigjährigen. Anders als andere Kollegen, die sich über Jahre in der Jugend hocharbeiten oder nach ihrer Zeit als Fußballprofis in die Fußballlehrerjahrgänge stürzen, besitzt der Wahlhamburger eine andere Vita.
So steht in Maaßens Lebenslauf eine semiprofessionelle Kicker-Karriere und die nebenbei absolvierten beruflichen Ausbildungen, in denen er sich auf die Fitness und Sporttherapie konzentrierte. „Ich kann das alles nutzen, wenn es um die Athletik meiner Jungs geht. Das können andere Kollegen vielleicht nicht“, schließt Maaßen voller Selbstbewusstsein an.
Viele Dinge, so erzählt er weiter, hätte er sich zudem von seinen ehemaligen Trainern abgeschaut. Positives wie Negatives. Das, worüber er früher den Kopf geschüttelt hat, versucht er heute in seiner aktiven Position zu vermeiden.
Was das zum Beispiel wäre?
Zum ersten Mal grübelt auch der Durchstarter länger, er sucht nach einer möglichst diplomatischen Antwort. Einen Ex-Trainer in die Pfanne zu hauen, sei nicht seine Art, schickt er voraus. Er verallgemeinert, hält sich kurz: „Sozialkompetenz. Oft wird gesagt, dass man als Trainer alle Spieler gleich anfassen muss. Das stimmt nicht. Jeder Mensch ist verschieden, und so muss ich mit den Jungs auch umgehen.“ Durchpusten. „Geschafft“, scherzt es zum Abschluss der eher ungewollten Erklärung.
Trotz des gewachsenen Selbstbewusstseins und dem etwas anderen Karriereweg an die Seitenlinie eines Oberligisten hat auch Maaßen seine Vorbilder im Repertoire, über die er gerne philosophiert. Der Name Lucien Favre fällt, ebenso wird Jürgen Klopp genannt. „Aber nicht was das Verhalten an der Seitenlinie angeht“, fügt er noch rasch scherzhaft in einem Nebensatz heran.
Der Traum, mal ein Kollege dieser Koryphäen zu sein, lebt bei Maaßen. Der dann jedoch wieder seine Contenance bemüht, sich bewusst bescheiden ausdrückt: „Den Fußballlehrer? Natürlich wäre das was. Aber es wäre doch ebenso vermessen, schon jetzt zu behaupten, dass man irgendwann so einen wertvollen Lehrgangsplatz bekommt.“ Zufrieden ist er dennoch mit sich und seiner Fußballwelt.
Enrico Maaßen, ein Name, den man sich merken sollte. Mit dreißig Jahren in die Regionalliga? Es wäre ein fulminanter Schritt – auch wenn er nicht der jüngste Trainer der Spielklasse werden würde.
Rigo Gooßen, der sich beim Stichwort „Regionalliga“ gelassen gibt, traut seinem Mitstreiter jedenfalls alles zu: „Ob er das könnte? Natürlich!“