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Vor Burghausen: Kiels „Sido“ im BTB-Interview

Nach dem durchwachsenen Saisonstart der Kieler Störche in der Dritten Liga mussten wir einfach mal nachhaken: Wo klemmt’s derzeit beim Krisen-Holsteiner? Und wie will man in so einem Zustand gegen den Tabellenletzten aus Burghausen bestehen? Tim Siedschlag, von uns zum Torschützen des Monats August nominiert, gestand allen unbequemen Antworten.

 

Tim, wir fangen emotional an. Wenn ein Spieler bewusstlos auf dem Boden liegt, was geht einem dann durch den Kopf?
Was mit Clement Hallet passiert ist, war wirklich furchtbar. Wenn jemand kreidebleich und bewusstlos am Boden liegt, ist es nebensächlich, ob Gegenspieler oder Mitspieler. Es fiel echt schwer sich danach auf Fußball zu konzentrieren. Ich saß nach dem Spiel bei der Dopingprobe und traf dort den Mannschaftsarzt von Preußen. Er verließ immer wieder den Raum, um Telefonate zu führen. Als dann klar war, dass er auf dem Weg der Besserung ist, war ich echt sehr erleichtert.

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Kommen wir zum Positiven. Als Artikelfoto dient Ihr Hackentor zum 3:0 in Münster. Wir wollten damit Ihre Gefühlswelt noch einmal durcheinander bringen.
Das schafft ihr damit auch. Das Tor war für mich ein persönliches Highlight. Es war schon das kurioseste und wohl auch schönste Tor in meiner bisherigen Laufbahn. Und zudem ein super Ergebnis für unser Team.

VIDEO: Die Münster-Meuterei inkl. Siedschlags Traumtor!

Trainer Karsten Neitzel meinte vor dem Spiel, dass in Münster durchaus was zu holen sein kann. Beschreibt so eine Ansage die derzeitige Storch-Stärke?
Alles andere wäre doch auch der falsche Weg. Wir gehen in jede Partie mit dem Ziel, die Begegnung auch zu gewinnen. Da tickt, denke ich, jede andere Mannschaft genauso. Und so ein Saisonstart beflügelt nicht nur die Mannschaft, sondern auch den Trainer. Wir alle genießen den Moment total.

Dass das Startprogramm überragend war, braucht man niemandem sagen. Aber: War es auch überraschend?
Zunächst einmal war es sehr schwer einzuschätzen, wie gut wir sein würden. Das lag vor allem daran, dass wir in der Vorbereitung hauptsächlich gegen dänische Mannschaften spielten. Da ist es schwierig zu vergleichen, wie stark diese im Vergleich zu Drittligisten in Deutschland sind. Umso schöner ist nun zu sehen, wie gut der Saisonstart verlaufen ist. Aber dennoch, oder gerade deswegen, wissen wir im Verein immer noch, dass wir ein Aufsteiger sind.

Mal ehrlich: Rostock, Saarbrücken, Halle, Stuttgart und Münster. 11 Punkte, die beste Abwehr, den zweitbesten Sturm der Liga. Geht mehr?
Das ist sicherlich eine Momentaufnahme. Wer die 3. Liga in den letzten Jahren verfolgt hat, der wird erkannt haben, dass es immer sehr eng zugeht. Es ist nicht unmöglich, dass wir die nächsten drei Spiele verlieren und auf einmal nur noch Zwölfter sind. Es kann im Fußball verdammt schnell gehen und deshalb müssen wir fokussiert bleiben.

Dürfen wenigstens die Fans im Ausnahmezustand bleiben?
Dass die Fans euphorisch sind, spornt uns natürlich auch an. Natürlich lachen wir sehr viel und die Stimmung ist sehr positiv. An dieser Stelle möchte ich aber ein großes Lob in Richtung meiner Teamkollegen loswerden. Viele Spieler sitzen nur auf der Bank und spielen relativ wenig. Dennoch gibt es keine kritischen Töne innerhalb des Teams, alle halten zusammen und bilden eine Einheit. Das ist nicht überall der Fall und zeigt wie stark wir als Truppe harmonieren.

Wo ist gesetzlich geregelt, dass man floskeln muss, wenn man erfolgreich ist?
Das muss man einfach machen. Wie vermessen wäre es denn, wenn wir jetzt schreien würden: „Wir wollen aufsteigen?“. Natürlich wollen wir möglichst erfolgreich abschneiden und Spiele gewinnen, aber wir müssen doch trotzdem realistisch bleiben.

Es gibt also Dinge, an denen ihr unbedingt arbeiten müsst.
Sachen, an denen man arbeiten muss, gibt es immer. Wir sitzen ja nicht nur in der Kabine und freuen uns über die Ergebnisse. Wir haben zum Beispiel in Stuttgart schlecht gespielt, daraus aber die richtigen Lehren gezogen. Wir haben Luft nach oben. Wie das konkret aussieht, kann ich aber leider nicht verraten.

 

Hat sich das holsteiner Spiel im Vergleich zum letzten Jahr verändert?
Nein. Die Mannschaft hat sich kaum verändert, die Spieler kennen sich schon sehr lange. Das machte es dann auch einfacher die Neuen zu integrieren. Die größte Umstellung war natürlich der neue Trainer. Aber auch da haben wir auf Anhieb eine gute Chemie gefunden. Was man auch daran merkt, dass die Trainingseinheiten unwahrscheinlich viel Freude bereiten.

Letztes Jahr waren die Kieler Heimspiele immer die Highlight des Monats. Jetzt geht es auch auswärts mal vor 10.000 Zuschauern ran.
Das ist neben der größeren sportlichen Anforderung der größte Unterschied im Vergleich zum letzten Jahr. Vor großen Kulissen zu spielen, ist immer etwas ganz besonderes. Das sieht jeder Profifußballer so.

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Nächste Woche wartet nun Burghausen. Der Tabellenletzte.
Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich uns trotzdem nicht als Favoriten sehe. Das hört sich abgedroschen an, aber in der 3. Liga kann wirklich jeder jeden schlagen. Burghausen ist eine sehr erfahrene Mannschaft, die sich auch in den letzten Jahren im Saisonverlauf stetig verbesserte. Ich erwarte ein offenes Spiel.

Dass ARD zeigt eine Zusammenfassung in der Sportsschau. Gibt’s dann eine extra schicke Frisur?
Also die Spielvorbereitung vor dem Spiegel fällt deshalb sicher nicht länger aus. Da muss ich mir nicht extra einen besonders harten „Iro“ machen. Was die Sportschau angeht – es ist natürlich großartig, direkt vor der Bundesliga im Fernsehen zu laufen. Das Publikum ist unglaublich groß und es bietet eine fantastische Bühne, unsere Mannschaft und unseren Fußball den Menschen zu präsentieren.

Zum Abschluss: Was ist momentan schwieriger: Sich auf das nächste Spiel zu konzentrieren, oder Marcel Gebers einfangen?
Ganz klar B: Marcel ist zurzeit besonders heiß und hat richtig Spaß am Toreschießen gefunden. Was auch nicht verwunderlich ist, wenn man als Abwehrspieler an der Spitze der Torjägerliste steht. Heute Abend war er übrigens besonders gespannt. Nach dem Training ging es ganz für ihm ganz eilig zum Auto, damit er ja seine Bayern nicht verpasst. Der wird gerade, während wir hier quatschen, im Schweinsteiger-Trikot auf der Couch hocken und hoffen, dass der FCB gewinnt.

Foto: Nawe/Holstein Kiel
Harry Jurkschat

Seit Gründung mit auf dem brennenden BTB-Rasen. Im Gegensatz zu Semmler ist Jurkschat smart. Eine Mischung aus Mehmet Scholl und Günter Netzer. Der ewig 31-Jährige Insiderexperte harmoniert sich von Meppen bis Kiel, ist der Ausbügler und Staubsauger in der 2. Reihe. Dazu kommt aufgrund internationaler Fussball-Erfahrung (6 Länderspiele für Deutschland) Know-How im Wesentlichen. Manko: Bisweilen zu symphatisch und häufig mit den Sekretärinnen beschäftigt.