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Derbys im US-Sport: Was die Amis besser können.

Viele Derbys nennen wir in Fußballdeutschland unser Eigen. Doch oft gehen sie mit markanten Polizeieinsätzen einher, mit Drohungen im Vorfeld und kontrastieren zu vielem, was wir als eigentliche Fußballwerte vernehmen. Fairness. Integration. Verständigung von Menschen unterschiedlicher sozialer Stellung. Von Spaß und Freude. Der US-Sport zeigt, wie’s geht.

Foto: © Paul Hill

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„Thanksgiving. Eines der schönsten Feste die es gibt, noch viel schöner als Weihnachten.“ Das sagte mir einmal ein Freund, der ein paar Monate drüben war. Und vom Thanksgiving-Fest schwärmte. Von Preiselbeeren-Soße, Kartoffelstampf und Truthahn. Von Football.

Jedes Jahr am vierten Donnerstag des Novembers feiern die Amerikaner ihr geliebtes Fest. Speisen im Kreise der Familie und schauen Football. Von mittags bis spät abends, manchmal sind es mehr als zwölf Stunden am Stück. Um 18.30 deutscher Zeit begann in diesem Jahr das erste Spiel, um 5.35 war es hierzulande beendet. Die Amerikaner und ihre Lieblingssportart verbindet einiges. Sogar ein ganzer Feiertag, von 12.30 bis 23.35.

Auf diesen freuten sich an diesem Donnerstag besonders viele deutsche Sportfans. Der Sport mit dem braunen Leder-Ei, der immer öfter als Flag-Variante im Schulsport-Unterricht gespielt wird, boomt in Deutschland. Die Superbowl-Einschaltquoten steigen, manch Medium hat seine Berichterstattung angezogen.

Zu einem echten Leckerbissen kam es dabei in der Nacht von Donnerstag zu Freitag. Die verfeindeten Teams aus San Francisco und Seattle trafen sich zu einem richtungsweisenden Duell. Beide Teams mögen sich nicht. Die Abneigung basiert auf Tradition, aufgrund der Ligakonstellation spielen sie seit 12 Jahren zweimal im Jahr gegeneinander. Sie haben Trainer, die sich öffentlich mit Salven von Vorwürfen bekriegen, und Spieler, die sich gegenseitig das Können abstreiten. Im letzten Jahr machten beide aus, welche Mannschaft gegen die Denver Broncos im Superbowl, dem größten einzelnen Sportereignis der Welt, antreten durfte. Seattle führte, zitterte bis in die Schlusssekunden, bis der Sieg feststand. Ihr Stadion kochte. Man stelle sich vor, Dortmund gewinnt Zuhause gegen Bayern ein Championsleague-Halbfinale. Durch einen gehaltenen Elfmeter in der Nachspielzeit. Nur, dass es in Seattle wahrscheinlich noch lauter sein dürfte.

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Für mich als Seattle-Fan hätten also viele Bilder im Kopf bleiben können. Es waren aber nicht nur die Erinnerungschnipsel an Touchdowns oder Interceptions, die blieben. Vor allem eine Gruppe San-Francisco-Fans, die sich aus ihren Sitzschalen inmitten eines Seahawk-Pulks empor hob, den umsitzenden Seahawks gratulierte, und dann die Arena verließ, sorgte für nachhaltigen Eindruck. Es gab viele bewegte Bilder von trauernden 49ers-Fans, die in ihren roten Trikots den Tränen nahe standen oder bereits weit darüber hinaus waren, und daneben sah man trostspendende Fans der Heimmannschaft, die zwei Wochen später über den Superbowl-Triumph jubelten. Und erneut für jene Bilder sorgten, auf denen sich die Blauen um die Niedergeschlagenen sorgten. Solche Szenen sind nicht die Regel, auch in den gigantischen Schüsseln der USA gibt es Hohn und Spott, manchmal werden Spieler beleidigt oder mit Essensresten beworfen, wenn sie vom Feld gebracht werden. Dennoch dominieren häufig die Impressionen, die den Sportsgeist und gegenseitigen Respekt dokumentieren. Auch bei vermeintlich hasserfüllten Rivalitäten.

Möglich ist das vor allem, weil es in den vier großen US-Sportarten keine Gästeblocks gibt.

Man besorgt sich sein Ticket über digitale Dienstleiter und landet manchmal als Anhänger der Heimmannschaft, unabhängig ob es nun Football, Eishockey, Bastketball oder Baseball ist, in einer Reisegruppe des Gegners.

Je nachdem, wie reisewütig oder verbreitet das eigene-Fanklientel ist, können sich vermeintlich fremde Arenen ziemlich ausglichen präsentieren. Nur ein paar Monate ist es her, da meckerte bei den Dallas Cowboys der Eigentümer lautstark darüber, fast nur rote Trikots gesehen zu haben. Die Cowboys, eine Institution im US-Football mit großer medialer Rezeption, tragen vor eigenem Publikum weiße Dienstkleidung.

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Wenn es einen Deutschen gibt, der sich mit Football und dem amerikanischen Drumherum auskennt, dann ist es Heiko Oldoerp (Foto oben). Der Journalist kommt aus Schönberg, gelegen im westlichen Mecklenburg-Vorpommern. Seit sieben Jahren lebt er in Boston, ist Korrespondent der DPA, und erreicht wenn er will, Sportstars wie Christian Ehrhoff, Sebastian Vollmer oder Dennis Seidenberg auf dem kurzen Dienstweg.

Beim Football war er in diesen Jahren oft. Und Oldoerp ist, obwohl er eigentlich gute Laune haben müsste ob der letzten Resultate seiner Lieblings-Footballmannschaft, zunächst ziemlich stinkig. „Wenn ich das schon wieder in Deutschland lese. Mit den Idioten, die den Sport beschmutzen. Dann bin ich nur froh, in diesem Land keine Steuern mehr zu zahlen“, lässt er von der fernen Ost-Küste ausrichten.

„Sowas gibt es in Amerika fast gar nicht“, sagt Oldoerp, und überlegt dann erst einmal eine Weile.

Ihm fällt Vancouver im Jahr 2011 ein, als Eishockeyfans randalierten, weil ihre Mannschaft das Finale verloren hatte. Und er muss an den Eishockeysport in seiner neuen Heimat denken, wo es zu Pöbeleien kommen kann, wenn Fans aus Montreal nach Boston reisen. Dann würde er sich auch manchmal schämen, wie er sagt: „Wenn betrunkene Boston-Fans die gegnerischen Anhänger bepöbeln, weil sie besoffen sind und sich in der Überzahl wiegen, dann schäme ich mich. Fäuste fliegen zum Glück nur selten, nicht öfter als früher in Discotheken“, berichtet er.

Auch Polizeieskorten, Massenaufgebote nach deutschem Maßstab gibt es nur in Ausnahmefällen. Meistens, wenn politische Brisanz in der Luft liegt. Der Sicherheitsdienst ist in den Hallen und Arenen im Normalfall privat angeordnet. Zu tun haben sie wenig. Im Football gab es mal eine Statistik, die von drei Verhaftungen bei NFL-Veranstaltungen sprach. Dort, wo meistens um die 60000 Zuschauer in den Stadien hocken und in vielen Fällen stark alkoholisiert sind.

Der Alkohol ist dabei oftmals der einzige Weg in den Konflikt, sportliche Rivalitäten werden in den USA auf Rasenplätzen, Eis oder Parkett ausgetragen. Gelegentlich auch im Trashtalk. Nur einmal in den letzten Jahren, und auch dort wird der sportliche Streitwert noch immer bestritten, kam es zu schweren Tumulten zwischen den rivalisierenden Oakland Raiders-Fans und den einheimischen Besuchern in San Francisco. Schüsse fielen, Menschen wurden verletzt. Es können genauso gut Drogen gewesen sein, um die es ging, sagte damals ein Kriminal-Experte in einer Sportsendung.

Das Rauschmittel Alkohol sind deshalb mancher Orts begrenzt. Beim Baseball gibt es ab dem 7. Inning (siebter von neun Spiel-Abschnitten) kein Bier mehr. So ein Spiel in den Ballparks des Föderalstaats kann lange gehen, und meistens hat dann der gelbe Gerstensaft schon die ersten Opfer verlangt.

Oldoerp, früher begeisterter Fußballer beim FC Schönberg und zuletzt WM-Reporter in Brasilien, muss lange überlegen, wenn er sagen soll, wo die Fußballkultur ihre Vorteile besitzt. „Vielleicht bei den Fangesängen“, rümpft er, „hier gibt es nur „Let`s go Celtics oder let‘s go Bruins.“ Mehr scheint dem 43-Jährigen nicht einzufallen.

Sind die Fußballfans aus Europa nicht begeisterungsfähiger, leidenschaftlicher bei der Sache?

„Den Fußball-Fan, der drei Stunden vor Spielbeginn im Winter in vielen Städten bei Temperaturen um Minus 15 Grad auf dem Parkplatz grillt und anfängt Bier zu trinken, der dann vier Stunden in einem komplett offenen Stadion sitzt und friert, um dann danach noch eine Stunde auf dem Parkplatz zu feiern, den musst du mir zeigen“, fordert Oldoerp mit deutlicher Intention.

Der leidenschaftlichere europäische Fußballfan? Ein Ammenmärchen, wenn es nach dem Journalisten geht. Zum Abschluss des Gespräches empfiehlt er nochmal jedem, der das bestreiten möchte, die Teilnahme an einem Tailgating. „Ein tolles Erlebnis, und das jedes Mal“, so der Ex-Mecklenburger.

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Gemeint ist mit dem spannend klingenden Begriff das bereits angesprochene Grillen und Biertrinken auf den Parkplätzen vor den Arenen. Wo sich selbst bei rivalisierenden Fans die Gelegenheit bietet, an den Ständen und Pick-Ups in den Genuss der einheimischen Spezialitäten zu kommen. Als Jets-Anhänger eine Portion „Clam Chowder“ im fremden Foxborough, oder als vermeintlich ungeliebter Rivale in Seattle auf ein Roggenbrötchen mit frittierter Salami und gedünsteten Zwiebeln auf Bacon Jam (Marmelade auf Basis von Speck)?

Kein Problem.

In San Fransico gab es am frühen Freitagmorgen Truthahn. Auch für die überlegen siegreichen Seahawk-Stars, die nach Spielende im Mittelkreis des Gastgebers speisten. Die Heimfans waren dann schon lange friedlich gegangen. Es geht auch so.

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Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.