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So anders, so gleich, so schmackhaft

BTB-Autor Hannes Hilbrecht hat sich endlich entjungfert. In der Oberliga Hamburg, versteht sich. Dort besuchte er zum ersten Mal ein Pflichtspiel, das Gemetzel zwischen Süderelbe und Rugenbergen. Und sein erstes Mal OL Hamburg verglich er dann prompt mit dem Verbandsligafußball in Rostock. Sein Resümee: So anders, so gleich, so schmackhaft.

Foto: noveski.com

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Hamburg Süderelbe. Irgendwann Ende Oktober, 19 Uhr 30. Flutlicht liegt über der Sportanlage, die den Charme einer Gesamtschule besitzt. Im Mantel der Dunkelheit aber viel sauberer ist, als ein mit Zigarettenstummeln zertretener Schulhof. Es ist kühl, der erste Glühwein des Jahres dampft aus den meisten Bechern. Lange dauerte es nicht, bis er abgekühlt schmeckt wie die billigen Sorten aus den Tetrapacks der Discounter.

Die Anlage für einen Freitagabend, wo viel mehr Couch als Amateurfußball lockt, ist überraschend gut gefüllt, es wird eifrig diskutiert, während die Mannschaften über den Kunstrasen stampfen. Jene Plätze, die ein wenig an Tiefkühlpizzen erinnern. Man zieht die Folie ab, bevor es losgeht, und dann sieht das Resultat immer gleich aus. Früher, das weiß ich noch aus meiner Jugend, haben wir nie gesagt: „Boah, der Kunstrasen sieht heute aber wieder gut aus.“ Und heute sagt man ebenso nie, dass die Steinofenpizza besonders lecker duften würde. Ich mag keine Kunstrasen. Sie sind künstlich, vorhersehbar und einfach unnatürlich. Ein Konstrukt aus Chemikalien und weiteren Zusätzen, die ich bei Hornbach, nicht aber auf einem Fußballacker finden möchte.

An diesem Abend ist es trotzdem erträglich, denn das Spiel präsentiert sich unterhaltsam. Süderelbe empfängt Rugenbergen. Das ist ein wenig wie Paderborn gegen Hoffenheim in der Bundesliga. Nicht der große Leckerbissen, aber Mannschaften, die interessant sein können. Eine Oberliga-Sorte, die man nie zuvor probiert hat. Die es vor Jahren weder in Erfahrungen noch in Erwartungen gab. Sie hat sich einfach so ergeben. Und das Ergebnis, auch wenn es sich zunächst unappetitlich anhört, schmeckt tatsächlich um einiges besser, als es der Serviervorschlag auf der Spieltagspackung im Vorhinein erahnen ließ.

Es wird schnell gespielt, es fallen Tore, später gibt es gleich zweimal den roten Karton. Das Siegtor der Roten aus Bönningstedt, einem Nachbarort von Norderstedt, ist ein krummes Ding. Hineingestolpert wäre eine Lüge von artistischem Ausmaß.

Nach dem Spiel ist der eine Trainer rasch weg, es wartet eine Faschingsparty auf ihn. Er darf feiern, seine Jungs haben gewonnen. Zum 2:1 gestolpert, in doppelter Überzahl versäumt, die Entscheidung schnell herbeizuführen. Der unterlegene Trainer gratuliert ehrlich, beklagt keinen Platzerweis, konsterniert nur die fehlende Nachspielzeit: „Wenigstens die Chance hätten wir verdient gehabt“, sagt Jean-Pierre Richter, Trainer des Aufsteigers Süderelbe, als er die Niederlage in Worte fasst. „Ein war offenes Spiel war es. Auch in Unterzahl“, fügt der junge Mann hinzu.

Er erntet anerkennendes Nicken von gegnerischen Spielern, die längst mit ihren Lippen am Bierbecher kleben. Sie hören zu, bejahen artig und verabschieden sich friedlich. „Ein guter Kerl“, schmatz einer der in Joggingjacken verhüllten Gäste hinterher, als Richter die Gruppe mit Schulterklopfern verlässt.

Gut 200 Kilometer weiter wird auch ansehnlicher Amateurfußball gespielt. Einer der etwas anderen Kategorie. Verbandsliga Mecklenburg-Vorpommern, Rostocker FC gegen den TSV Friedland. Einen Bierwagen wie in Südererlbe gibt es nicht, das Bier wird in einem Vereinsheim gezapft, indem sich Whiskyflaschen in den Regalen türmen und Bilder von Rockbarden an der Wand schmiegen. Es gibt Klops oder Tomatensoße mit Nudeln zum moderaten Preis, wenn man am Tresen nett fragt.

Beim Rostocker FC ist vieles anders als in Süderelbe. Vor allem aber der Teppich. Der ist natürlich Grün, ein wenig Motter schimmert durch. Zumindest von der Seitenlinie sieht er ganz gut bespielbar aus. „Dann geh erstmal auf den Rasen, bevor du hier großartig lobst“, sagt der Vereinspräsident, der nur mit einem kleinen Laptop und einem Mikrofon bewaffnet die Stadionunterhaltung übernimmt.

Es ist ein Spiel, das noch unterhaltsamer ist als der muntere Kick aus der Oberliga Hamburg. Alleine schon weil die vermeintlich ungleichen Kontrahenten die doppelte Anzahl an Toren produzieren. Sie diese am Ende freundlich mit einem 3:3-Remis teilen. Wobei der Gast aus Friedland die Rolle des moralischen Siegers einnimmt, drei ausgeglichene Rückstände nach Spielende in einer Spielertraube feiert.

Highlights der Partie sind aber die kleinen Dinge, besonders ein Ausruf eines Friedländers bleibt einigen Fans im Ohr: „Hört auf zu meckern, ihr habt doch eben schon einen Elfer geschenkt bekommen“, motzt einer der Gelben in Richtung Heimspieler. Das verschmitzte Lachen der Zuschauer, die die rhetorische Perle registriert hatten, lässt vermuten, dass diese Aussage durchaus Fürsprecher besitzt. Auch im Rostocker Lager. Die viele Angriffe fahren, intelligenter agieren als viele ihrer Gegner, mit Einsatz und dem Willen zum Extrameter glänzen. Die aber an sich selber scheitern, Chancen vergeben wie Borussia Dortmund in ihren miesesten Augenblicken.

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Abends, in einer Rostocker Lokalität, trifft man ein großes Spielergrüppchen. Sie sprechen über das Spiel, einer der Führungsspieler diskutiert lange mit einem RFC-Fan über das Spiel. „Für die Zuschauer interessant, für uns einfach eine Katastrophe“, sagt einer der RFC’ler. Die Atmosphäre ist locker, niemand beäugt Amateurfußballer kritisch, wenn ein Bier zu viel über die Bar wankt. Amateurfußball sind Trinkgespräche mit den kleinen Helden, ohne die scharfzüngige Bild-Journallie im Rücken.

Es sind diese Dinge, die den Amateurfußball schmackhaft machen. Er ist in sich selbst so grundverschieden, wie gleich. Zwischen Süderelbe und dem Rostocker Süden liegen ein paar hundert Kilometer, im sportlichen Können wohl nur Kleinigkeiten. Dennoch ist die Welt eine andere, vom Catering bis zum Bodenbelag, vom Stehplatz zum Stehplatz. Trainer und Spieler quatschen nach den Spielen beim Bier, man ist mittendrin. Kann noch mehr miterleben. Ist vielmehr Gast als Konsument.

An kalten Tagen wie diesen, wo man zusehends kalte Luftklumpen einsaugt und diesen wiederum als Dampf hinauspustet, braucht es dabei immer Glühwein. Auch weil die warme Wattierung des verstopften Blockes fehlt, keine Tribünen, sondern allenfalls Baumwipfel vor dem Wind schützen. So ist auch der Rostocker Glühwein ähnlich schnell erkaltet wie in Süderelbe. Vielleicht das Einzige, was sich an beiden Orten deckungsgleich überschneidet. Und genau das ist grandios.

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.