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„Der Junge aus Eimsbüttel“ – Daniel Brückner im Portrait

Daniel Brückner ist 34 Jahre alt und erst seit einem Jahr offiziell Bundesliga-Profi. Sein Weg war steinig, mit 19 spielte er noch achtklassig in der zweiten Mannschaft eines Landesligisten. Wir verfolgen seinen Weg, sprachen mit einem Förderer aus frühen Zeiten, seinem ersten Trainer im professionellen Fußball und mit Daniel Brückner selbst. Ein Portrait.

Foto: privat

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Klaus Enghusen ist ein stattlicher Mann, mit dichtem Wollbart und einem Blick, der sehr ernst wirken kann. An diesem Samstag, es ist ein sonniger Tag im August, mit klarem Himmel und spätsommerlichen Temperaturen, sitzt er im Stadion und beobachtet das Treiben seines Hamburger Lieblingsvereins gespannt. Der 66-Jährige ist seit Jahrzehnten bekennender Anhänger der Rothosen. Schafft er es nicht ins Stadion, schaut er die Bundesligapartien im eigenen Wohnzimmer. Und seit einiger Zeit blickt Enghusen fast immer argwöhnisch, wenn der HSV im Ligabetrieb vor seinen aufmerksam musternden Augen aufläuft.

Auch an diesem Nachmittag hätte er allen Grund dazu, seine Gesichtszüge aufzurichten. Der HSV tritt enttäuschend auf, nach dem akzeptablen Saisonstart von Köln wird dieser gerade vom Außenseiter aus Paderborn vorgeführt. Die Zuschauer um Enghusen herum monieren, meckern – sie bellen unsanfte Worte Richtung Rasen. Enghusen grinst in seiner Sitzschale dagegen zufrieden, ruht wie ein Fremdkörper in der ansonsten emotional aufgewühlten Imtech-Arena. Später sagt er: „An diesem Tag ist ein Traum von mir in Erfüllung gegangen. Und alleine deshalb war ich ausnahmsweise gegen den HSV.“

Der wahrgewordene Traum trägt an diesem Nachmittag, wie seit einigen Jahren gewohnt, ein dunkles Trikot mit der Nummer 21, dazu beackert der Linksverteidiger seine Seite in der Paderborner Hälfte mit schnellen, raumgreifenden Schritten. Als er das 3:0 vorbereitet, steht Enghusen sogar kurz auf, reißt die Arme hoch. Der Spieler, der ihn an diesem Tag auf die Haupttribüne eingeladen hatte,  bediente Stoppelkamp mit einem Zuspiel, und der war Augenblicke später in der 87. Minute ganz cool geblieben.

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In Scharen verlassen die brüskierten HSV-Fans daraufhin die Arena, Enghusen sieht derweil, wie sein alter Bekannter Daniel Brückner vom Torschützen den Dank für die Vorarbeit empfängt, sein geschorener Kopf von tätschelnden Händen vergraben wird, er dann zurück auf seine Position trabt. „Ein tolles Spiel hat er da gemacht, ich war unglaublich stolz. Damals, als er unseren Verein verlassen hat, hatte ich mir genau das sehnlichst gewünscht“, erinnert sich Enghusen heute, an einem nasskalten Tag im Februar.

Bald sechs Monate ist es her, dass sein „Ziehfußballer“ Daniel Brückner mit 33 Jahren sein Bundesligadebüt feierte und Enghusen ihn eine Woche später das erste Mal live im Oberhaus beim HSV gesehen hatte. Das erste Spiel der Paderborner gegen Mainz wurde selbstredend im Fernsehen verfolgt.

„Daniel und ich“, schickt er voraus, das sei eine „lange Gesichte“. Sie beginnt in Eimsbüttel, mitten in den Neunzigerjahren.

Daniel lebt damals schon seit einiger Zeit in Hamburg. Seine Geburtsstadt Rostock hatte er bereits mit vier Jahren verlassen, nach einem weiteren Jahr im Heimatland seines algerischen Vaters lässt sich seine Mutter mit ihm in Hamburg nieder. Der aufgeweckte Junge kickt in Eimsbüttel im Jugendfußballbetrieb, am liebsten aber auf der Straße, wie er verrät: „Ich war ein Straßenfußballer. Ich hatte überall Spaß am kicken, Hauptsache ein Ball und Freunde waren dabei“, so Brückner.

Beim HEBC, dem Hamburg-Eimsbütteler Ballspielclub, nimmt jedoch zunächst niemand Kenntnis von den Fähigkeiten des Jungspielers, der von seinen Mannschaftskameraden „Bohne“ gerufen wird, weil Brückners noch üppiges Haupthaar an die Fuchsschwanzmütze von Fess Parker aus der US-Serie „Daniel Boone“ erinnert.

„Ich habe ihn erst wahrgenommen, als er bei den Männern war“, erzählt Enghusen, als er sich zu Brückners Jugendzeiten ratlos zeigen muss. „Für mich wurden die Jugendspieler in der Regel erst ab der A-Jugend richtig relevant. Vorher hatte ich das nicht genau im Blick. Wer kann denn ahnen, dass so eine Granate dabei ist.“ Erinnerungen an Daniel Brückner im Jugendbereich sucht man in seinen Gedanken vergebens.

Fast hätten sich die Wege zwischen Brückner und seinem späteren Förderer gar nicht gekreuzt, denn bevor der damalige Offensivspieler in die Männermannschaften des sechstklassigen HEBC aufrücken kann, versucht dieser sein Glück in Billstedt. Der Versuch, sich anderorts zu etablieren, scheitert nach nur drei Monaten. Er kehrt zurück zu seinem Heimatverein, wird dort in der zweiten Mannschaft aufgenommen. Daniel ist damals 19 und spielt achte Liga. An den Profifußball verschwendet niemand aus seinem Umreis einen Gedanken.

Insgesamt lief nicht alles nach Wunsch des verkappten Talents, auch abseits des Rasens waren die Zeiten problematisch. Brückner fliegt von der Schule, zieht zuhause aus, lebt danach bei seiner Schwester und übernachtet häufig bei Freunden. Der HEBC bekommt Wind von der Situation und beginnt seinen Spieler mit kleinen finanziellen Beträgen zu unterstützen: „Wir haben versucht, was möglich war. Damit er wenigstens etwas hatte“, sagt Enghusen beim Zusammentragen von Geschichten, die alsbald fünfzehn Jahre alt werden.

In der zweiten Mannschaft der Eimsbütteler fühlt sich Brückner derweil wohl. Mit Freunde kickt er im lockeren Amateurbereich, viel weiter nach unten geht es im Hamburger Fußball gar nicht. Brückner dominiert die Liga, ist der mit Abstand beste Spieler. Seine Beine sind zu schnell für die gegnerischen Defensivspieler, seine Instinkte funktionieren auf dem Feld und die meisten seiner Schüsse prasseln viel zu scharf und platziert auf die ihn gegenüberstehenden Torhüter ein.

Trotz des Wunsches von Vereinsseiten, ihn zu den 1. Herren zu beordern, mag das Übertalent  zunächst nicht aufrücken: „Ich hatte Spaß am Fußball, das Team war großartig. Ich kann nicht sagen, dass ich unbedingt hoch wollte“, berichtet der 34-Jährige. Stilianos Vamvakidis, der damals die zweite Mannschaft trainiert und zum Freund von Daniel Brückner wird, bewegt seinen besten Spieler am Ende doch noch zum Aufstieg in die Landesliga-Auswahl des Vereins: „Genötigt wurde ich nicht, aber es brauchte wirklich Überzeugungsarbeit. Denn eigentlich wollte ich ja bei meinen Jungs bleiben.“

Die Leistungen des HEBC-Stars werden auch bei stärkeren Gegnern nicht schlechter. Er diktiert das Geschehen, kaum ein Gegenspieler kann mithalten. Die größeren Vereine der Stadt beginnen Interesse zu signalisieren, und auch die Brückner-Vertrauten werden sich nach und nach bewusst, dass ihr Schützling, mittlerweile 23, höher Spielen muss, um sein Talent immerhin etwas zu vergolden.

Doch weder Enghusen noch andere im Verein möchten ihn gerne innerhalb Hamburg abgeben, wo er eine Klasse höher zwar etwas mehr verdienen würde, das große Potenzial aber noch immer verschwendet wäre. Enghusen, der das „Juwel“ mittlerweile in jedem Spiel bestaunen darf, ruft einen Freund an.

„Skeptisch“, meint Thomas Wolter, sei er gewesen, als Enghusen sich mit der Bitte um ein Probetraining an ihm heranwandte. Bremens ehemalige Bundesliga-Ikone ist zu Beginn des Jahrzehnts Trainer der zweiten Werder-Mannschaft geworden, die von ihm betreute U23 spielt in der drittklassigen Regionalliga-Nord. Wolter und Enghusen kennen sich gut, weil Wolter ebenfalls aus Hamburg kommt, er wie Brückner beim HEBC das Fußballspielen erlernte.

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Brückner ist zum Zeitpunkt der Enghusen-Bitte bereits Mitte zwanzig, eigentlich viel zu alt für eine Nachwuchsmannschaft, deren Kontingentplätze für erfahrene Spieler arg limitiert sind. Nach einem guten, aber nicht ausreichenden ersten Probetraining darf Brückner ein paar Monate noch einmal kommen. Dieses Mal reicht es, auch weil der Linksfuß in einem Testspiel ein Zaubertor schießt. Das Potenzial war einfach enorm und es gab ja genügend zu verbessern, erzählt Wolter mit einem breiten Schmunzeln. Eine fußballerische Ausbildung, die junge Talente in Leistungszentren genießen, war Brückner fremd geblieben. Was sich Wolter am häufigsten dachte? „Wäre er bloß fünf, sechs Jahre früher bei uns gewesen. Wer weiß, was dann gekommen wäre“, antwortet der momentane NLZ-Chef vom SV Werder Bremen.

Insgesamt zwei Jahre spielt Brückner in Bremen. Der Verein ermöglicht ihm die Führerscheinprüfung, bei den Profis darf er gelegentlich mittrainieren. Als klar wird, dass es perspektivisch nicht für de Bundesliga reicht, muss Wolter seinen Schützling abgeben. Immerhin kann der Verantwortliche für die zweite Mannschaft, der im Fall Brückner nach der einstigen Devise von Trainerlegende Otto Rehhagel gehandelt hatte, („es gibt keine alten und jungen Spieler, sondern nur gute und schlechte“) einen Wechsel innerhalb der Liga organisieren. Der mit Wolter gut bekannte Erfurt-Trainer Pavel Dotchev nimmt Brückner nämlich mit Kusshänden in seinem Team auf.

Der spielt auch in Thüringen gut. Langsam auf die Dreißig zugehend, darf Brückner zwei Jahre später mit 27 Jahren in die zweite Liga wechseln. Auch noch zu Greuther Fürth, einem Zweitligisten mit Bundesligaambitionen. Aber der Motor stottert, das erste Mal  seit Jahren bewegt sich Brückner auf eine Sackgasse zu. „Ich hatte weiterhin meine Träume, wusste aber schnell, dass ich was verändern muss“, sagt Brückner zu seinem Wechsel von Fürth nach Paderborn. Nur acht Einsätze hatte er für die Kleeblätter absolviert.

In Paderborn kommt Brückner dagegen bestens an, die Karriere behält ihren Schwung. In jedem der Rückrundenspiele wird er eingesetzt, ganze acht Tore legt er vor. Sein Verein hält in der Relegation die Klasse, das Märchen vom Paderborner Aufstieg nimmt bedächtig Fahrt auf. Ob er damals noch an die Bundesligakarriere glaubt? „Nicht wirklich. Aber ich habe immer weiter gehofft.“

Fünf Jahre werden Brückner und seine Teamkollegen nach dem geglückten 2009 Klassenerhalt noch benötigen, um das Überraschungsprojekt Bundesliga zu realisieren: „Es wäre auch nur mit  Paderborn gegangen. Das ging nur mit dieser Mannschaft – für jeden Bundesligisten wäre ich doch zu alt gewesen“, macht Brückner deutlich, ohne sich über den harten Weg zu beklagen. „Warum sollte ich mich beschweren? Es hat doch alles geklappt“, legt er nach. Und grinst zufrieden.

Dabei bot auch das Paderborner Erfolgskapitel eine Portion Ironie. Denn bei den Westfalen wird Brückner von der offensiven Flanke in die Abwehrkette zurückgestellt. Ein geglückter Versuch, der vor ein paar Jahren noch zum Scheitern verurteilt war, wie Thomas Wolter von Bremen aus anmerkt: „Ich habe das auch einmal mit ihm probiert. Aber das nur ein einziges Mal. Wir legen darüber lieber den Mantel des Schweigens – er wirkte in der Abwehrarbeit total verloren.“

Brückner kann sich daran nicht mehr so gut erinnern, auch was er seitdem anders mache, wisse er nicht genau. „Ich bin wohl einfach erfahrener geworden. Aber eigentlich bin ich auch kein Abwehrspieler. Ich bin vom Kopf her ein Offensivspieler, der ganz gut verteidigt“, so der mittlerweile 18-malige Bundesligaspieler.

Der Kontakt zu seinem Heimatverein lebt dabei beständig weiter. Mindestens zweimal im Monat tauschen sich Brückner und Enghusen aus, vor dem Spiel der Paderborner gegen Bayern München diskutierten beide angeregt. Brückner war die Woche zuvor verletzt ausgefallen, und Enghusen interessierte es, ob Brückner gegen Bayern wieder spielen könne. Ja, er wolle das auch, hatte der gebürtige Rostocker geantwortet. Sein Förderer und väterlicher Freund widersprach: „Ich habe Daniel gesagt, dass er nicht spielen soll. Gegen Arjen Robben kann man ja nur verlieren.“

Enghusen hatte nämlich am Wochenende zuvor mitansehen müssen, wie Ronny Marcos, der junge Linksverteidiger vom HSV, gegen Arjen Robben schwindelig gespielt wurde. Jenes wollte er Brückner ersparen. Dieser aber verdutzte seinen wichtigen Unterstützer und meinte hartnäckig: „Ich will gegen Robben spielen.“

Am Ende sah sich der erfahrene Eimbüttler gleich doppelt bestätigt. Der Niederländer brillierte, Bayern gewann mit 6:0 und Brückner sah dem Ganzen nur von der Bank aus zu.

Das Verhältnis zwischen dem einstigen HEBC-Verantwortlichen und einem der ältesten Bundesliga-Debütanten der laufenden Saison beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Fußball. In den Sommerpausen besucht Brückner seine Heimatstadt regelmäßig, im Sommer steht ein obligatorisches Abendessen mit alten Mitspielern und Verantwortlichen aus dem Dunstkreis des Bezirksligisten an. Im Winter hatte sich Brückner in einer Fußballhalle mit alten Mitspielern aus Hamburg zum Kicken getroffen, zu jedem Heimspiel reisen Freunde von der Elbe nach Paderborn. „Der HEBC ist für mich wie eine Familie“, betont Brückner mit Nachdruck. Der ganzoffen damit kokettiert, nach seiner Profikarriere zurück „nach Hause“ zu gehen.

Klaus Enghusen glaubt jedenfalls jedes dieser Worte. „Er ist der freundliche und feine Kerl wie damals, als er uns verlassen hat. Wo andere abheben, bleibt er am Boden.“

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Einen richtigen Wunsch, was sein Daniel im Herbst seiner Karriere noch anstellen könne, habe er nicht mehr, bekennt Enghusen. Für den HSV sei er wohl eh zu erfahren, schnaubt es, ein bisschen den HSV anpieksend, aber doch aus ihm heraus.

Vielleicht ist es ja das Gerücht, das seit einiger Zeit um den HEBC herumschwirrt. Einmal, so ist zu vernehmen, soll Brückner in Gesprächen ein Comeback mit vierzig in seiner alten Mannschaft angekündigt haben. Als Libero.

Sein Förderer, der mittlerweile ein Freund ist, lacht daran erinnert auf, die Augen strahlen, sie haben ihren Ernst mittlerweile komplett verloren. „Daniel als Libero?“, fragt Enghusen, um sich die Frage selbst zu beantworten. „Dafür ist er dann doch noch viel zu schnell. Auch mit vierzig.“

Hannes Hilbrecht

Hannes Hilbrecht schreibt und schrieb nebenbei für ZEIT ONLINE, NDR.de und den Berliner Tagesspiegel. Füllt ein Marketing-Magazin mit Liebe (GrowSmarter.de) Und er liest eine spannende Case Story genauso gerne wie den neuen Roman von Ralf Rothmann.